Fernwärmeversorgungsunternehmen im Fokus des Bundeskartellamts: Preisänderungsklauseln als Konditionenmissbrauch im Sinne des § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB?

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​veröffentlicht am 13. Dezember 2023


 

Am 16. November 2023 wurde bekannt, dass das Bundeskartellamt gegen insgesamt sechs Fernwärmeversorgungsunternehmen in vier verschiedenen Bundesländern Verfahren wegen des Verdachts auf missbräuchlich überhöhte Preissteigerungen im Zeitraum von Januar 2021 bis September 2023 eröffnet hat1. Im Fokus der Prüfung steht insbesondere die Ausgestaltung und Anwendung der Preisänderungsklauseln im Sinne des § 24 Abs. 4 AVBFernwärmeV.

 
Fernwärmeversorgungsunternehmen schließen mit Ihren Kunden in der Regel langfristige Versorgungsverträge, die bei Versorger und Kundschaft gleichermaßen zu einer gewissen zeitlichen Bindung an die Abnahme und Lieferung sowie entsprechenden beidseitigen Investitionen in die Fernwärme führen. Sie unterliegen den kartellrechtlichen Missbrauchsverboten im Sinne der § 19 Abs. 1 und § 29 GWB.

 
Das Bundeskartellamt geht der Frage nach, ob die konkret verwendeten Preisänderungsklauseln gegen die gesetzlichen Vorgaben des § 24 Abs. 4 AVBFernwärmeV verstoßen und so zu einer ungerechtfertigten Preissteigerung aufseiten der Kundinnen und Kunden geführt haben. Ein Verstoß gegen das kartellrechtliche Missbrauchsverbot liegt vor, wenn ein marktbeherrschendes Unternehmen Entgelte oder sonstige Geschäftsbedingungen fordert, die von denjenigen abweichen, wie sie sich bei wirksamem Wettbewerb ergeben hätten, § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB.

 
Gemäß § 24 Abs. 4 S. 1 AVBFernwärmeV dürfen Preisänderungsklauseln nur so ausgestaltet sein, dass sie sowohl die Kostenentwicklung bei Erzeugung und Bereitstellung der Fernwärme durch das Unternehmen als auch die jeweiligen Verhältnisse auf dem Wärmemarkt angemessen berücksichtigen.

 
Gegenstand der Untersuchung des Bundeskartellamts sind insbesondere Fälle, in denen der Verdacht besteht, dass durch die Auswahl der Preisindizes die tatsächliche Kostenentwicklung nicht angemessen abgebildet, sondern deutlich überzeichnet wurde. Exemplarisch werden Preisänderungsklauseln genannt, die ausschließlich an einen Erdgasindex gebunden sind, obwohl die tatsächliche Erzeugungsstruktur der Fernwärmeversorgungsunternehmen hiervon abweicht. Dies ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht mit den gesetzlichen Vorgaben hinsichtlich der kostenorientierten Ausgestaltung von Preisänderungsklauseln gemäß § 24 Abs. 4 S. 1 AVBFernwärmeV vereinbar (BGH, Urteil vom 13.07.2011 – VIII ZR 339/10, Rn. 25).

 
Neben der Umsetzung des Kostenelements steht auch die Gewichtung des Marktelements in der Kritik. Preisänderungsklauseln dürfen nur so ausgestaltet sein, dass sie sowohl die Kostenentwicklung bei Erzeugung und Bereitstellung der Fernwärme durch das Unternehmen als auch die jeweiligen Verhältnisse auf dem Wärmemarkt angemessen berücksichtigen, § 24 Abs. 4 S. 1 AVBFernwärmeV. Indem der Wortlaut der Vorschrift keine bestimmte Gewichtung von Kosten- und Marktelement vorgibt, geht die ständige Rechtsprechung im Grundsatz von einem Gleichrangverhältnis aus. Abstufungen hiervon sind nur im Rahmen der Angemessenheit zulässig (BGH, Urteil vom 27.09.2023 – VIII ZR 263/22; BGH, Urteil vom 06.04. 2011 – VIII ZR 273/09; BGH, Urteil vom 18.12.2019 – VIII ZR 209/18; BGH, Urteil vom 19.7.2017 – VIII ZR 268/15; BGH, Urteil vom 25.06.2014 – VIII ZR 344/13). Gerichtlich wurde bisher nicht entschieden, welche untere Grenze für diese Abstufungen noch angemessen ist.

 
Als angemessen im Sinne des § 24 Abs. 4 S. 1 AVBFernwärmeV wurde in der Rechtsprechung bisher eine hälftige Gewichtung zwischen Kosten- und Marktelement (KG, Urteil vom 23.05.2023 – 9 U 19/20) bestätigt. Eine hiervon abweichende Gewichtung ist jedoch nicht per se unzulässig. Dies gilt insbesondere zugunsten des Kostenelements: Der Gesetzgeber hatte das Ziel, mit dem Marktelement zu verhindern, dass sich die Preisgestaltung losgelöst von den Verhältnissen auf dem Wärmemarkt vollzieht.

 

Spannungsfeld zwischen Markt- und Kostenorientierung von Preisänderungsklauseln

Dem Marktelement soll gegenüber dem Kostenelement eine Korrekturfunktion zukommen. Vor diesem Hintergrund erscheint eine höhere Gewichtung des Kostenelements jedenfalls so lange als angemessen im Sinne des § 24 Abs. 4 S. 1 AVBFernwärmeV, wie das Marktelement seine Korrekturfunktion noch erfüllen kann (Wessling/Stopfer: Rechtliche Anforderungen an Preisänderungsklauseln für Fernwärmelieferverträge nach der AVBFernwärmeV EnWZ 2022, 353). Dies kann jedoch im Widerspruch zur ebenfalls erforderlichen Kostenorientierung der Preisgleitklausel stehen. Welche Gewichtung des Marktelementes beide Anforderungen hinreichend erfüllt ist im Einzelfall zu bewerten, insbesondere unter Berücksichtigung der eingesetzten Wärmequellen sowie der Kostenstruktur des jeweiligen Versorgungsunternehmens.

 
Zur Illustration der Vielschichtigkeit dieser Fragestellung dient folgendes Gedankenexperiment:
Betrachtet wird ein Versorger, welcher als Brennstoff ausschließlich Erdgas einsetzt, dessen Kostenentwicklung vereinfachend exakt durch den Destatis-Index „Erdgas, bei Abgabe an Kraftwerke“ abgebildet wird (Versorger 1). Ein zweiter Versorger setzt ausschließlich Holzhackschnitzel ein, deren Kostenentwicklung derjenigen des Destatis-Index „Holz in Form von Plättchen oder Schnitzeln“ entspricht (Versorger 2).

 
Beide Versorger nutzen als Marktelement den Index „Wärmepreisindex“, welcher neben einer Auswahl an Fernwärmeversorgern auch die Kostenentwicklung von erdgas- und ölbetriebenen Zentralheizungsanlagen abbildet. Dieser Index ist als Marktelement weit verbreitet. Er wird zum größten Teil von der Entwicklung der Preise fossiler Energieträger beeinflusst, da die Wärmeerzeugung in Deutschland maßgeblich fossil erfolgt. Darüber hinaus konnte eine gewisse Beeinflussung des Index durch Maßnahmen der Bundesregierung vermutet werden (wir berichteten).

 
Zur Kostenweitergabe kommen jeweils Preisgleitklauseln zum Einsatz (Basisjahr 2015), hierbei werden zwei Extremszenarien untersucht:

PGF 1: Marktelement mit 10% Gewichtung :

 
PGF 2: Marktelement mit 50% Gewichtung

Hierbei sind:
AP = Arbeitspreis 
AP0 = Basis-Arbeitspreis im Einführungsjahr 2015=50 €/MWh
K = Erdgaskostenelement (Destatis: Erdgas, bei Abgabe an Kraftwerke; Tab.61241; GP09-352224100)
 =Hackschnitzelkostenelement (Destatis: Holz in F.v.Plättchen oder Schnitzeln aus Nadelholz; Tab.61241; GP09-161023030)
K0 = Basis- Kostenelement (Destatis: Erdgas bzw.Hackschnitzel)
ME =Marktelement (Destatis: Wärmepreisindex ("Fernwärme,einschl.Betriebskost.); Tab.61111; CC13-77) 
ME0 = Basis-Marktelement

Versorger 1 mit 100% Wärme aus Erdgas:

Abbildung 1 illustriert die Kosten- und Preisentwicklung des Versorgers 1 mit reinen Erdgaskosten für die Jahre 2015, 2020, 2022 und 2023. Die y-Achse repräsentiert die Einheit für die Kosten und Erlöse in Euro pro Megawattstunde (€/MWh). Pro Jahr werden drei Säulen dargestellt: Die Zusammensetzung der verbrauchsgebundenen Kosten, die Erlöse aus der PGF1 mit 10% Marktelement und die Erlöse aus der PGF2 mit 50% Marktelement. Die Kosten setzen sich aus den Erdgaskosten sowie unveränderlichen Bestandteilen wie sonstigen Kosten und der Marge zusammen. Die Erlöse aus der PGF1 und PGF2 wiederum setzen sich aus dem Fixum, dem Kostenelement für Erdgas und dem Marktelement zusammen.

 
Abbildung 1: Kosten- und Preisentwicklung des Versorgers 1 mit reinen Erdgaskosten bei Anwendung von 10 (PGF 1) und 50% (PGF 2) Marktelement

 
Im untersuchten Beispiel läuft die Entwicklung des Marktelemets der Entwicklung des Kostenelements zeitlich nach, sowohl bei sinkenden Kosten (2020) als auch bei Kostensteigerungen (2022 f.). Die von den Kosten abweichende Entwicklung des Marktelements im Jahr 2020 hätte im Beispiel mit einem Gleichrang von Kosten- und Marktelement zu einer Gewinnsteigerung von 6 €/MWh geführt. Auch im Fall steigender Märkte stellt sich die vom Gesetzgeber intendierte, dämpfende Wirkung auf die Preisentwicklung ein. Allerdings bedeutet dies in der Praxis auch, dass Versorger ihre Kosten unter Umständen nicht decken können: Im angeführten Beispiel hätte die Lücke zwischen erforderlichen und aus der Preisänderungsklausel resultierenden Erlösen im Jahr 2022 72 €/MWh betragen, bei einem Versorger mit 100 GWh Wärmeabsatz entspricht dies einem Mindererlös von über 7 Mio. €, welcher nicht mit Sicherheit durch das nachlaufende Marktelement gedeckt werden kann.

 

Versorger 2 mit 100% Wärme aus Holzhackschnitzeln:

Abbildung 2 illustriert analog die Kosten- und Preisentwicklung des Versorgers 2 mit reinen Holzhackschnitzelkosten für die Jahre 2015, 2020, 2022 und 2023. Die verbrauchsgebundenen Kosten setzen sich aus den Holzhackschnitzelkosten sowie unveränderlichen Bestandteilen wie sonstigen Kosten und der Marge zusammen. Die Erlöse aus der PGF1 (10% Marktelement) und PGF2 (50% Marktelement) wiederum setzen sich aus dem Fixum, dem Kostenelement für Hackschnitzel und dem Marktelement zusammen.

Abbildung 2: Kosten- und Preisentwicklung des Versorgers 2 mit reinen Holzhackschnitzelkosten bei Anwendung von 10 (PGF 1) und 50% (PGF 2) Marktelement

 
Im untersuchten Beispiel liegen die Kosten im Jahr 2020 unterhalb des Basisjahrs 2015, in den Jahren 2022 und 2023 liegen sie oberhalb des Basisjahrs. Das Marktelement führt aufgrund seiner trägen Entwicklung bei einer 50-prozentigen Gewichtung in den Jahren 2020 und 2023 zu Mehrerlösen von 5 und 7 €/MWh, 2022 zu einem Mindererlös von 3 €/MWh. Die Preisgleitformel führt folglich bei unter Umständen zu einer Gewinnsteigerung des Versorgers. Besonders ausgeprägt ist dieser Effekt beim Einsatz erneuerbarer Wärmequellen, da hier häufig langfristige Preisvereinbarungen vorliegen (z. B. Biomethan), oder die Kostenentwicklung weitestgehend unabhängig von fossilen Energieträgern ist (z. B. Tiefengeothermie).
 

Was ist eine Abweichung im Rahmen der Angemessenheit?

Versorgungsunternehmen sollten eine sorgfältige Abwägung zwischen Kosten- und Marktorientierung bei der Gewichtung des Marktelements in ihren Preisänderungsklauseln vornehmen. Der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung kann mit einer Geldbuße von bis zu einer Million Euro geahndet werden, § 81c Abs. 1 GWB. Zusätzlich drohen zusätzlich zum Imageschaden Beseitigungs-, Unterlassungs- und Gewinnabschöpfungsansprüche. Andererseits besteht die Gefahr einer nicht ausreichenden Kostenorientierung der Preisänderungsklausel, was im Widerspruch zu § 24 Abs. 4 AVBFernwärmeV steht. In Extremfällen kann dies zur Unwirtschaftlichkeit des Wärmegeschäfts oder aber zu einer unzulässigen Gewinnsteigerung führen.

Bei der Gestaltung von Preissystemen und Preisänderungsklauseln für Fernwärme sollte sorgfältig analysiert werden, welche Gewichtung des Marktelements ein angemessenes Verhältnis von Markt- und Kostenorientierung gewährleistet. Insbesondere bei überwiegendem Einsatz erneuerbarer Energien sollten geringere Gewichtungen des Marktelements in Betracht gezogen und untersucht werden.

Im Rahmen der aktuell stattfindenden Überlegungen zu einer Modernisierung der AVB Fernwärme V sollte auch diskutiert werden, ob die Vorgabe eines Marktelementes im § 24 AVBFernwärmeV vor dem Hintergrund der hier aufgezeigten Ergebnissen und unter Berücksichtigung der aktuellen volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen noch zeitgemäß ist.

Sie haben Fragen zum Thema Marktelement oder benötigen Unterstützung bei der Gestaltung von Fernwärmepreissystemen und Preisänderungsklauseln? Kommen Sie gerne auf uns zu

 

 

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