OLG Düsseldorf lehnt Preisanpassungen wegen Ukraine-Krieg ab?

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veröffentlicht am 06. April 2023

 

Mit Urteil vom 23.03.2023 hat das Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG Düsseldorf) die Voraussetzungen einer Störung der Geschäftsgrundlage gem. § 313 BGB aus Anlass des Ukraine-Kriegs abgelehnt. Die auf §§ 24, 29 des Energiesicherungsgesetzes (EnSiG) gestützte Argumentation des OLG Düsseldorf verkennt jedoch den Inhalt und die Reichweite der besonderen Anpassungsrechte und des Beihilferegimes des EnSiG. Deshalb dürfte die Diskussion um außerordentliche Preisanpassungen in Strom-, Erdgas- und Wärmelieferverträgen aus Anlass der Erdgaskostensteigerungen in Folge der Ukraine-Kriegs-bedingten Wirtschaftssanktionen gegen Russland noch lange nicht abgeschlossen sein.

 

Ukraine-Preisanpassung trotz eingeschränkter Preisgarantie?

 

Der Antragsteller im Rahmen des einstweiligen Verfügungsverfahrens ist ein Verein, der sich unter anderem der Durchsetzung von Verbraucherinteressen und -rechten widmet. Bei der Antragsgegnerin handelt es sich um ein 2008 gegründetes und deutschlandweit tätiges Energieversorgungsunternehmen, das außerhalb der Grundversorgung rund 200.000 private und kleinere gewerbliche Kunden als Sondertarifkunden unter den Marken "extraenergie“ und „prioenergie“ mit Strom und Erdgas beliefert. Die für die Vertragserfüllung gegenüber ihren Kunden benötigten Strom- und Gasmengen beschaffte das Unternehmen lange Zeit auf den Großhandelsmärkten. Dort kam es allerdings aufgrund des Krieges in der Ukraine zu erheblichen Marktverwerfungen, Preissteigerungen und Preisschwankungen.

 

Der Energieversorger sicherte seinen Kunden für die Lieferung von Gas bzw. Strom auch über den 01.09.2022 hinaus sogenannte „eingeschränkte Preisgarantien“ zu. In Tarifübersichten wurden hier Preisgarantien bis zum 31.12.2024 bzw. 31.07.2024 genannt, die lediglich durch allgemeine Steuer-, Abgaben- und Gesetzesklauseln eingeschränkt wurden.

 

Am 29.07.2023 übersandte das Unternehmen seinen Kunden eine E-Mail, mit der eine Preiserhöhung im Rahmen des § 313 BGB wegen Störung der Geschäftsgrundlage zum 01.09.2022 mitgeteilt wurde. Die Verbraucherschutzzentrale NRW mahnte das Unternehmen daraufhin wegen irreführender Angaben über den zu zahlenden Strom- und Gaspreis sowie wegen des Verstoßes gegen das UKlaG (Unterlassungsklagengesetz) ab und forderte es zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung auf. Diese Forderung wies das Unternehmen zurück. Mit Beschluss des LG Düsseldorf vom 26.08.2022 wurde dem Energieversorgungsunternehmen daraufhin untersagt, die beabsichtigte Preisanpassung unter Geltung der vertraglich vereinbarten Preisfixierung durchzuführen. Hiergegen hat das Energieversorgungsunternehmen zunächst Widerspruch und schließlich Berufung eingelegt.

 

OLG Düsseldorf verkennt Reichweite des Energiesicherungsrechts

 

Das OLG Düsseldorf hat dargelegt, dass sich im vorliegenden Fall aus § 313 BGB kein Recht zur einseitigen Erhöhung des Arbeitspreises ergibt. Dabei hat es seine Entscheidung ohne vertiefende Begründung darauf gestützt, § 313 BGB eröffne kein Anpassungsrecht, sondern lediglich ein Verhandlungsrecht mit der anschließenden Möglichkeit, den Vertrag zu kündigen oder den Klageweg zu beschreiten. Dies ist insofern unzulässig verkürzt, als dass die ständige Rechtsprechung die Leistungsklage nach verweigerter oder auch nur unterlassener Zustimmung zum Anpassungsbegehren auch in der jüngsten Pandemie-Rechtsprechung anerkannt hat. Damit sind Zustimmungsansprüche wie Anpassungsansprüche durchsetzbar, sodass die praktische Bedeutung der rechtlichen Differenzierung zu vernachlässigen ist.

 

Im Wesentlichen stützt das OLG Düsseldorf sein Urteil aber darauf, dass der Gesetzgeber die Folgen des Preisanstieges im Gas- und infolgedessen auch im Strommarkt umfassend spezialgesetzlich geregelt habe und deshalb kein Rückgriff des Energieversorgers auf § 313 BGB nötig sei. Eine Anpassung nach § 313 BGB soll demnach gerade dann nicht möglich sein, wenn der Gesetzgeber das Risiko der Vertragsstörung erkannt und zur Lösung der Problematik eine speziellere gesetzliche Vorschrift geschaffen hat (vgl. auch BGH NJW 2022, 2024, Rn. 34 zu Corona-Beihilfen). In diesen Fällen ist nach Ansicht des Gerichts davon auszugehen, dass der Gesetzgeber selbst für einen angemessenen Interessenausgleich gesorgt habe. Diese Wertungen dürften nicht durch die Anwendung allgemeiner Vorschriften umgangen werden. Damit verweist das OLG in erster Linie auf die im letzten Jahr ergangenen Änderungen des Energiesicherungsgesetzes, insbesondere § 24 EnSiG. Im Rahmen dieser Regelung habe der Gesetzgeber für den Fall der Feststellung der Reduzierung der Gesamtgasimportmengen und des Vorliegens der Alarmstufe/Notfallstufe eine ausdrückliche Krisennotfallregelung getroffen. Damit bestehe aus Sicht des OLG Düsseldorf kein darüberhinausgehender Anpassungsbedarf vonseiten der Energieversorger. Vielmehr habe der Gesetzgeber mit der Einführung des § 24 EnSiG etwaige Anpassungen ausdrücklich auf den dort geregelten Fall beschränken wollen, um die uneinheitliche Ausübung allgemeiner gesetzlicher Regelungen zu verhindern. Auch verweist das Gericht auf den Vorrang der Inanspruchnahme staatlicher Beihilfen nach § 29 EnSiG, die ein Anpassungsrecht nach § 313 BGB ausschlössen.

 

Damit verkennt das OLG Düsseldorf die Funktion und Reichweite des besonderen Anpassungsrechts nach § 24 EnSiG und der Stabilisierungsmaßnahmen nach § 29 EnSiG.

Denn die Bundesregierung hat nur deshalb von einer Ausrufung der Feststellung einer erheblichen Reduzierung der Gesamtgasimportmengen nach Deutschland nach § 24 Abs. 1 Satz EnSiG abgesehen, weil sie sich mit einem Umlagesystem nach § 26 EnSiG für eine gleichmäßige Verteilung der gestiegenen Erdgasimportpreise auf alle Verbraucher durch ein Umlagesystem und gegen eine individuelle Weitergabe nach § 24 EnSiG entschieden hatte. Die Umsetzung der sog. „Gasbeschaffungsumlage“ durch die Gaspreisanpassungsverordnung (GasPrAnpV) wurde dann aus wirtschafts- und sozialpolitischen Gründen wieder zurückgenommen. Insofern ist der Tatbestand, dass weder eine saldierte Preisanpassung nach § 26 EnSiG noch eine individuelle Preisanpassung nach § 24 EnSiG möglich war, ein Indiz dafür, dass nach dem Willen des Gesetzgebers vertragliche oder allgemeine gesetzliche Preisanpassungsrechte weiter bestehen sollen. Dies wird entsprechend durch die Gesetzgebungsmaterialien des EnSiG belegt.

 

Auch dass die Bundesregierung mit dem Strom- und Erdgas-Wärme-Preisbremsengesetz (StromPBG und EWPBG) und dem Erdgas- und Wärme-Soforthilfegesetz (EWSG) Beihilferegelung zugunsten der Letztverbraucher vorgenommen hat, ist ein Indiz dafür, dass Strom- und Erdgaslieferanten in der Lieferkette berechtigt sein sollen, die gestiegenen Beschaffungskosten jeweils an die Letztverbraucher weiterzugeben. § 29 EnSiG sollte dagegen auf der frühen Lieferketten-Stufe der Gasimportunternehmen, nicht jedoch auf der urteilsgegenständlichen Stufe des Letztverbrauchervertriebs eingreifen. Insofern wurden Stabilisierungsmaßnahmen nach § 29 EnSiG auch nur im Einzelfall der Verstaatlichung des Uniper-Konzerns umgesetzt. Ein Schutzschirm für Versorgungsunternehmen wurde zwar diskutiert, aber mit Verweis auf die Entlastung auf Letztverbraucherebene durch das StromPBG und EWPBG gerade nicht umgesetzt.

 

Insofern ist das gültige Beihilferecht in der urteilsgegenständlichen Konstellation Vertriebsunternehmen - Letztverbraucher ein Argument dafür, dass die Kostensteigerung nach dem Beihilfenregime der Preisbremsengesetze der Risikosphäre des Letztverbrauchers zugeordnet werden. Der Beihilferechtsrahmen spricht deshalb für Anpassungsrechte nach § 313 BGB gegenüber Letztverbrauchern. Anders kann dies unseres Erachtens nur eingeordnet werden, wenn vonseiten des Versorgungsunternehmens ausdrücklich Preisfixierungen vorgenommen und vertraglich zugesichert wurden, da hier eine bewusste Verschiebung der Risikosphären erfolgt.

 

Keine abschließende Regelung für Wärmeversorgungsunternehmen

 

Das OLG Düsseldorf vertritt die Auffassung, die auf die Gaspreisanpassung beschränkte Regelung des § 24 EnSiG sei eine abschließende Regelung, die auch für die Strompreisanpassung eine abschließend sei und deshalb § 313 BGB als allgemeinere gesetzliche Regelung ausschließe. Auch wenn das OLG Düsseldorf nur zu Gas- und Stromverträgen entschieden hat, könnte die Argumentation des OLG Düsseldorf bei einer Übertragung auf Fernwärmelieferverträgen eventuell auch dort zu einem Ausschluss des Anpassungsrechts nach § 313 BGB führen.

Dies ist schon deshalb nicht vertretbar, weil der Gesetzgeber mit § 24 EnSiG sonst auch die allgemeineren gesetzlichen Preisanpassungsrechte nach § 5a und § 5 Abs. 2 der Gasgrundversorgungsverordnung (GasGVV) oder vertragliche Anpassungsansprüche ausgeschlossen hätte. Dies stünde im Widerspruch zu den Gesetzgebungsmaterialien, die zur Frage der Weiterwälzung der Kosten aus § 24 EnSiG bei der Wärme- und Tarifkundenversorgung auf ausreichende gesetzliche und vertragliche Anpassungsrechte verwiesen hatten, die eine Preisanpassung auf nachgelagerten Stufen ermöglichen würden.


Es entbehrt deshalb jeder sachlichen Rechtfertigung, einer vom Gesetzgeber für eine frühe Wertschöpfungsstufe vorgenommenen Regelung die Wirkung eines Verbots von Anpassungsansprüchen auf Folgestufen der Lieferkette entnehmen zu wollen.

 

Maßgeblich ist für das Änderungsrecht nach § 313 BGB danach vielmehr – wie die Vorinstanz des OLG Düsseldorf u.E. noch zu Recht festgestellt hatte – ob eine Vertragspartei das Risiko der Ukraine-Gaspreissteigerungen übernommen hat. Dies mag bei eingeschränkten Preisgarantien streitig sein. Bei Tarifkunden in der Fernwärmeversorgung und Strom-Grundversorgung trägt hingegen der Letztverbraucher grundsätzlich das Kostensteigerungsrisiko, wenn eine Wälzung der Kostenentwicklung durch einseitige Preisbestimmungsrechte oder Preisgleitformeln vereinbart ist. Damit dürften die Anpassungsrechte aus § 313 BGB bei Überschreitung der Zumutbarkeitsschwelle hier regelmäßig gegeben sein.

 

Gerade auf den nachgelagerten Ebenen der Fernwärme- und Stromversorgung kommen die Erdgaspreissteigerungen aus der Ukraine-Krise erst verzögert und durch die Beihilfen der Preisbremsengesetze kurzfristig abgemildert an. Deshalb dürfte die Diskussion um außerordentliche Preisanpassungen in Strom- und Wärmelieferverträgen aus Anlass des Ukraine-Krieges noch lange nicht abgeschlossen sein.

 

Rödl & Partner unterstützt Strom-, Erdgas- und Fernwärmeversorgungsunternehmen bei der Kundenkommunikation zu Preiswidersprüchen und vertritt Versorgungsunternehmen regelmäßig vor Gerichten, Behörden und in öffentlichen Kundenveranstaltungen bei der Kommunikation und Durchsetzung von Preisanpassungen aus Anlass der Ukraine-Krise.

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