Die Arbeitnehmerbeteiligung bei der SE-Gründung: Eine Übersicht

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von Manuel Klingenberg

veröffentlicht am 19. April 2017

 

Die Europäische Aktiengesellschaft oder auch Societas Europaea, kurz SE, wird nach anfänglicher Zurückhaltung immer mehr genutzt. Zwischen 31. Dezember 2015 und 31. Dezember 2016 wurden laut einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung in der EU insgesamt 198 neue SE gegründet. Insgesamt gibt es in Europa nun über 2.700 SE[1]. Die Initiative und Verantwortung zur Gründung einer SE liegt allein bei der Unternehmensleitung der beteiligten Unternehmen, nicht bei den Arbeitnehmern. Ohne vorherige Verhandlungen über die Mitwirkung der Arbeitnehmer kann allerdings keine Europäische Aktiengesellschaft gegründet werden. Nachfolgender Beitrag stellt daher einmal die nähere Ausgestaltung des Mitwirkungsverfahrens vor.
 

 

  

Einleitung

Rechtsgrundlage für die Europäische Aktien­gesellschaft ist die EG-Verordnung 2157/2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE-VO) vom 8. Oktober 2001. Wie alle Verordnungen der Europäischen Union ist auch die SE-Verordnung unmittelbar geltendes Recht. In Deutschland wurde zur Einführung der SE das Gesetz zur Einführung der Europäischen Gesellschaft (SE-Einführungsgesetz) beschlossen, das am 29. Dezember 2004 in Kraft getreten ist. Es besteht im Wesentlichen aus 2 Einzelgesetzen: dem Gesetz über die Ausführung der EG-Verordnung über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE-AG) und dem Gesetz über die Beteiligung der Arbeitnehmer in einer Europäischen Gesellschaft (SEBG).

 

Grundsätzliches zum Besonderen Verhandlungs­gremium (BVG)

Ziel des SEBG ist es, die erworbenen Rechte der Arbeitnehmer auf Beteiligung an Unternehmens­ent­schei­dungen in einer SE zu sichern, vgl. § 1 Absatz 1 Satz 2 SEBG. Zu diesem Zweck kann nach der SE-VO die SE erst dann in das Handelsregister eingetragen werden, wenn die entsprechende Arbeit­nehmer­beteiligung erfolgt ist. Hierfür wird in einem aufwändigen Verfahren ein „Besonderes Verhandlungs­gremium” (BVG) für die Vertretung der Interessen der Arbeitnehmerseite konstituiert, das mit den Leitungen der an der Gründung beteiligten Gesellschaften die Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer in der künftigen SE aushandelt.

  

Das BVG hat die Aufgabe, mit den Leitungen eine schriftliche Vereinbarung über die Beteiligung der Arbeit­nehmer in der SE abzuschließen (§ 4 Abs. 1 S. 2 SEBG). Die Leitungen und das BVG können bei den Verhandlungen darüber aber zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Sie können sich auf einen SE-Betriebsrat (§ 21 Abs. 1 SEBG), Durchführungsmodalitäten eines Verfahrens zur Unterrichtung und Anhörung (§ 21 Abs. 2 SEBG), eine Ausgestaltung der Mitbestimmung im Aufsichts- oder Verwaltungsorgan (§ 21 Abs. 3 SEBG) oder eine Arbeitnehmerbeteiligung nach Maßgabe der subsidiären Auffangregelungen nach §§ 22 ff., 34 ff. SEBG einigen.

 

Zusammensetzung des BVG

Bei der Bildung des BVG ist grundsätzlich in 2 Schritten vorzugehen:
  • Zunächst ist mit Hilfe von § 5 SEBG zu ermitteln, wie viele Sitze im BVG jeder Mitgliedstaat, in dem die beteiligten Gesellschaften, betroffene Tochter­gesellschaften oder betroffene Betriebe Arbeitnehmer beschäftigen, zu beanspruchen hat. Daraus ergibt sich auch die absolute Größe des BVG. § 5 SEBG sieht dafür ein kompliziertes Verfahren vor, das eine Proportionalität zwischen Mitgliedstaaten, Gründungsunternehmen und Arbeitnehmerzahlen herstellen soll.
  • Erst in einem zweiten Schritt, der sich nach §§ 6, 7 SEBG richtet, ist zu entscheiden, welche Personen die Sitze aus den einzelnen Mitgliedstaaten einnehmen werden.

  

Jeder Mitgliedstaat muss im BVG vertreten sein, vgl. § 5 Absatz 1 SEBG. Um die Zahlenrelation zu ermitteln ist es zunächst erforderlich, die Gesamtzahl der in allen Mitgliedstaaten beschäftigten Arbeitnehmer der beteiligten Gesellschaften sowie betroffenen Tochter­gesellschaften und Betrieben festzustellen. Hierbei ergibt sich vor allem die Schwierigkeit, auf welchen Zeitpunkt dabei abzustellen ist. Nach der derzeitigen Auffassung muss die Information dann gegeben werden, wenn entweder der Verschmelzungsplan offen­gelegt, der Gründungsplan einer Holdinggesellschaft oder ein Umwandlungsplan erfolgt ist oder aber nach Abschluss der Vereinbarung eines Plans zur Gründung einer Tochtergesellschaft, § 4 Absatz 2 Satz 3 SEBG.

 

Grundsatz der Repräsentation

Für jede volle 10 Prozent, bezogen auf die Zahl aller Arbeitnehmer gerechnet nach Köpfen – im deutschen Recht einschlägige Unterscheidungen greifen hier nicht – im betreffenden Mitgliedstaat im Verhältnis zur Gesamtzahl der in den Mitgliedstaaten beschäftigten Arbeitnehmer, wird ein zusätzliches Mitglied gewählt oder bestellt, vgl. § 5 Absatz 1 Satz 2 SEBG. Aus diesem Grund beträgt die Größe des BVG mind. 10 Sitze. Bei einer Verteilung auf mehrere Mitgliedstaaten kann sich aber auch eine größere Zahl ergeben. Die Höchstzahl beträgt 40 Sitze (28 EU-Staaten und 3 Mitglieder des EWR-Raums).

 

Wird die SE durch Verschmelzung gegründet, bestehen weitere Sonderregeln und zu der zu ermittelnden Mitgliederzahl des BVG sind zusätzliche Mitglieder zu wählen oder zu bestellen, um zu gewährleisten, dass jede beteiligte Gesellschaft, die als Folge der Verschmelzung erlischt, durch mind. ein Mitglied vertreten ist, vgl. § 5 Absatz 2 Satz 1 SEBG. Hierbei gilt jedoch das Verbot einer Doppelvertretung der Arbeitnehmer.

 

Ein weiterer Streitpunkt bei der Ermittlung der Mitgliederzahl ist die Berücksichtigung von Leiharbeit­neh­mern. Nach derzeitiger Auffassung der Recht­­sprechung werden die zumindest bei der Frage der Zahl der Betriebsratsmitglieder (§ 9 Betriebsverfassungsgesetz) und der Frage nach der Wahlverfahrensart bei der Aufsichtsratswahl nach § 9 Mitbestimmungsgesetz 1976 berücksichtigt. Hinsichtlich der Berück­sichtigung bei der Ermittlung der Köpfe im Sinne des § 5 SEBG wird die Auffassung jedoch nach wie vor abgelehnt. Es bleibt hierzu die weitere Entwicklung der Rechtsprechung abzuwarten. Ebenfalls in die Ermittlung einzubeziehen sind leitende Angestellte.

 

Persönliche Voraus­setzungen der Mitglieder des BVG

Die persönlichen Voraussetzungen für einen Sitz im BVG richten sich nach § 6 SEBG. Dabei enthält § 6 Absatz 1 SEBG den Grundsatz, dass die einzelnen Mitgliedstaaten selbst die persönlichen Voraussetzungen bestimmen können, die für ihre Mitglieder im BVG gelten sollen. § 6 Abs. 2-4 SEBG enthält zwingende Bestimmungen für das Inland, die die Zusammen­setzung des BVG festsetzen.

  

Im Inland können gem. § 6 Absatz 2 SEBG zunächst die Arbeitnehmer der beteiligten Gesellschaften, betroffenen Tochtergesellschaften und Betriebe zu Mitgliedern des BVG gewählt werden. Frauen und Männer sollen – nicht müssen – dabei entsprechend ihrem zahlenmäßigen Verhältnis gewählt werden. Für jedes inländische Mitglied ist ein Ersatzmitglied zu wählen.

 

§ 6 Abs. 2-4 SEBG sehen eine bestimmte Quote für eine Gewerkschafts­präsenz und leitende Angestellte vor. Bei mehr als 2 Mitgliedern aus dem Inland hat jeder Dritte ein Vertreter der Gewerkschaft – der nicht Arbeitnehmer der Gesellschaft sein muss – zu sein. Bei mehr als 7 Mitgliedern aus dem Inland muss mind. jeder Siebte ein leitender Angestellter sein.   

 

Einleitung des Verfahrens zur Bildung des BVG

Die Initiative zur Bildung des BVG muss von den Leitungen gemäß § 2 Absatz 5 SEBG ausgehen. Ein Tätigwerden der Arbeitnehmerseite ist nicht vorgesehen. Die Leitungen sind verpflichtet, die „Arbeit­nehmer-Vertretungen und Sprecherausschüsse in den beteiligten Gesellschaften, den betroffenen Tochtergesellschaften und den betroffenen Betrieben” schriftlich zur Bildung eines BVG aufzufordern. Besteht keine Arbeitnehmervertretung, erfolgt die Aufforderung direkt gegenüber den Arbeitnehmern, § 4 Absatz 2 SEBG. Dabei kann auch ein Aushang am „Schwarzen Brett” oder eine Aufforderung per Intranet genügen. Zum Zeitpunkt der Aufforderung enthält das SEBG keine Regelung. Sinnvoll ist ein möglichst früher Zeitpunkt.

 

Die zuvor genannten Arbeitnehmer­vertretungen bzw. die Arbeitnehmer sind über das Gründungs­vorhaben zu informieren. Die Informationen müssen dabei „umfassend” erteilt werden, was praktisch außerordentlich schwierig und selbst für große Unternehmen ein großer organisatorischer Kraftakt ist. Der Informations­anspruch der einzelnen Vertretung richtet sich daher nicht nur auf die entsprechenden Fakten der jeweils betroffenen Gesellschaft, sondern darüber hinaus auf alle Informationen, die notwendig sind, um das BVG zu bilden. Der Katalog des § 4 Absatz 3 SEBG schreibt deshalb bestimmte Mindestangaben zwingend vor, ohne die das BVG nicht ordnungsgemäß gebildet werden kann. Es ist deshalb praktisch sinnvoll, wenn sich die Informationen möglichst nah an ihm orientieren. Der Katalog ist allerdings nicht abschließend. Der Informationsanspruch kann sich auch auf Änderungen erstrecken, die im Zeitpunkt der Information bereits sicher feststehen, aber erst später realisiert werden sollen. Auch stellen maßgebliche Änderungen nach der Aufforderung gemäß § 4 Absatz 1, jedoch vor der Konstituierung des BVG, einen Anlass für eine Wiederholung der Aufforderung und der damit einhergehenden Information dar. Ob ggf. auch Unterlagen vorgelegt oder überlassen werden müssen, ist gesetzlich nicht geregelt. Es empfiehlt sich aber im Hinblick auf die Natur der zu erteilenden Informationen und mit Hinblick auf den Gesetzeszweck (Bildung des BVG). Ein Anspruch besteht hierauf aber nicht. In § 4 Absatz 3 Satz 3 SEBG ist bestimmt, dass die Information unaufgefordert und unverzüglich zu erfolgen hat. „Unverzüglich” bezieht sich dabei auf § 4 Abs. 2 S. 3 SEBG. Darüber hinausgehende Frist- und Formvorschriften fehlen. Es empfiehlt sich aus Beweiszwecken die Information zusammen mit der Aufforderung insgesamt schriftlich vorzunehmen.

 

Verteilung der auf das Inland entfallenden Sitze im BVG

Wie die Sitze im BVG zu verteilen sind, bestimmt § 7 SEBG. Grundsätzlich soll jede der an der Gründung der SE beteiligten Gesell­schaften mit Sitz im Inland, die Arbeitnehmer im Inland beschäftigt, bei der Wahl der auf das Inland entfallenden Mitglieder im BVG vertreten sein. Auf betroffene Tochtergesellschaften oder betroffene Betriebe kommt es nicht an. Da hierfür die Zahl der Sitze aber womöglich nicht ausreicht, erfolgt die Zuordnung der Sitze zu den Inlands­gesellschaften der Größe nach. Stehen hingegen mehr Sitze als inländische Gesellschaften zur Verfügung, erfolgt die Verteilung der überzähligen Sitze nach dem d'Hondt'schen Höchstzahlverfahren.

 

Wahlgremium und Aufgaben

Das Wahlgremium hat im Wesentlichen 4 Aufgaben:
  • Wahl der inländischen Mitglieder des BVG,
  • Wahl der inländischen Mitglieder des SE-Betriebsrats,
  • Wahl der inländischen Arbeitnehmervertreter im Aufsichts- oder Verwaltungsorgan der SE sowie deren Abberufung.

  

Die Wahl oder Bestellung der Mitglieder des BVG soll innerhalb von 10 Wochen seit der Information erfolgen. Wird die Frist aus Gründen, die die Arbeitnehmer zu vertreten haben, überschritten, ist das Verhandlungsverfahren dennoch durchzuführen.

 

Festsetzende Sitzung des BVG: Dauer der Verhandlungen und Ziele

Nachdem die Mitglieder des BVG feststehen, sind unverzüglich deren Namen, Anschriften sowie die jeweilige Betriebs­zugehörigkeit den Leitungen mitzuteilen. Die Leitung hat dann wiederum die örtlichen Betriebs- und Unternehmensleitungen, die bestehenden Arbeitnehmer­vertretungen sowie die in den inländischen Betrieben vertretenen Gewerkschaften über diese Angaben zu informieren. Die Sitzungen des BVG sind nicht öffentlich. Neben den Gewerkschaften haben auch die Leitungen keine Teilnahme­berechtigung. Regelmäßig werden jedoch Sachverständige hinzugezogen.

  

Das BVG soll mit den Leitungen eine schriftliche Vereinbarung über die Beteiligung der Arbeitnehmer in der SE abschließen. Kommt eine Einigung innerhalb einer Frist von 6 Monaten nicht zustande, greift die gesetzliche Auffangregelung in § 22 Absatz 1, 34 Absatz 1 SEBG.

 

Die Vereinbarung muss die Zusammensetzung des SE-Betriebsrats regeln, die Anzahl seiner Mitglieder und die Sitzverteilung, einschließlich der Auswirkungen wesentlicher Änderungen der Zahl der in der SE beschäftigten Arbeitnehmer. Ebenso sind die Befugnisse des SE-Betriebsrats und das Verfahren zur Unterrichtung und Anhörung zu regeln, die Häufigkeit der Sitzungen und die finanzielle und materielle Ausstattung. Die Vereinbarung ist zwingend schriftlich abzuschließen.  
 

Das Verfahren endet mit dem Abschluss der Vereinbarung. Die SE kann dann in das Handels­register eingetragen werden.

  

Das BVG kann aber auch beschließen, Verhandlungen nicht aufzunehmen oder bereits aufgenommene Verhandlungen abzubrechen. Dabei müssen für den Beschluss aber mehr als zwei Drittel der Mitglieder, die mind. zwei Drittel der Arbeitnehmer in mind. 2 Mitgliedstaaten vertreten, stimmen. Ist ein solcher Beschluss gefasst worden, finden die Auffangregelungen in Gestalt des SE-Betriebsrats und der Mitbestimmung keine Anwendung. Die SE bleibt auf Unternehmensebene demnach mitbestimmungsfrei. Ist nach 6 Monaten allerdings kein solcher Beschluss gefasst worden, greifen ebenfalls die gesetzlichen Auffangregelungen.

  

Auch die Leitungen können beschließen, keine Verhandlungen aufzunehmen oder bereits begonnene Verhandlungen abzubrechen, jedenfalls wenn sie die SE-Gründung aufgeben. Wird der Gründungs­vorgang dagegen fortgeführt, greifen allerdings Auffangregelungen ein und es ist ein SE-Betriebsrat kraft Gesetzes zu bilden.

  

Fazit

Die Regelungen zur Beteiligung der Arbeitnehmer bei der Gründung einer SE sind vielschichtig und werfen immer wieder komplizierte Rechtsfragen auf. Vorteile bieten sich für die Unternehmensleitungen, wenn das Verfahren abgeschlossen wird, da sowohl der Erhalt eines mitbestimmungsfreien Aufsichtsrats oder die Drittelparität trotz Überschreitung der entsprechenden Schwellenwerte in der SE möglich ist. Die weitere Entwicklung zu den mitbestimmungs­rechtlichen Fragen, die dabei durch die Rechtsprechung des EuGH oder andere Obergerichte aufgeworfen werden, bleibt allerdings abzuwarten.

 


[1] Aktueller Stand siehe http://ecdb.worker-participation.eu/   

Kontakt

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Aziza Yakhloufi

Rechtsanwältin, Fachanwältin für Arbeitsrecht, Fachanwältin für Handels- und Gesellschaftsrecht

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