Perspektiven und Auswirkungen des Koalitionsvertrages für energieintensive Unternehmen

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​veröffentlicht am 9. Dezember 2021

 

Am 24.11.2021, und somit weniger als zwei Monate nach der Bundestagswahl, stellten die Koalitionäre von SPD, Grünen und FDP ihren Koalitionsvertrag „Mehr Fortschritt wagen” der Öffentlichkeit vor, welche sie bisher von den Verhandlungsfortschritten weitestgehend ausgeschlossen hatte. Umso größer war nun die Spannung, auf welche Maßnahmen sich die Ampelparteien angesichts der vielfältigen Probleme in Deutschland einigen konnten. Die wesentlichen Punkte des Koalitionsvertrages für den Energiesektor und ihre Auswirkungen auf energieintensive Unternehmen werden im Folgenden aufgezeigt.


Bereits in der Präambel wird das bestimmende Thema des Koalitionsvertrages adressiert:

„Es gilt, die soziale Marktwirtschaft als eine sozial-ökologische Marktwirtschaft neu zu begründen. Wir schaffen ein Regelwerk, das den Weg frei macht für Innovationen und Maßnahmen, um Deutschland auf den 1,5-Grad-Pfad zu bringen.”

 

Hierfür soll der Kohleausstieg „idealerweise” bis 2030 vorgezogen und eine Industriestrategie erarbeitet werden, welche Nachteile für im außereuropäischen Wettbewerb stehende Unternehmen durch eine hierzulande finanzielle Mehrbelastung durch die Bepreisung von Treibhausgasen abwendet. Die Verhinderung dieses sog. Carbon Leakage soll durch einen WTO-konformen CO2-Grenzausgleichsmechanismus erfolgen, am besten im Rahmen eines für alle Staaten offenen internationalen Klimaclubs mit untereinander vergleichbaren Anstrengungen zur Dekarbonisierung. Dieser würde letztendlich die Notwendigkeit der Importabgabe unter den Mitgliedstaaten abschaffen und ein wirksames Instrument für den globalen Klimaschutz darstellen.


Zur Unterstützung energieintensiver Unternehmen bei der Erreichung der Klimaziele sieht der Koalitionsvertrag vor, „[im] ausreichenden Maße geeignete Instrumente” zu schaffen und nennt namentlich Carbon Contracts for Difference (CCfD). Dieses ursprünglich aus der Finanzwelt stammende Instrument soll dabei helfen, die Unsicherheiten bezüglich der zukünftigen Höhe des CO2-Preises abzuschaffen, um so bereits heute eine Wettbewerbsfähigkeit von klimaneutralen Technologien auf Basis der CO2-Vermeidungskosten zu Produktionstechnologien mit fossiler Energienutzung herzustellen.


Des Weiteren soll ein Transformationsfond bei der KfW angelegt werden, der ebenfalls private Investitionen in klimaneutrale Technologien anreizt, unterstützt und absichert. Hierdurch soll insbesondere das „Henne-Ei”-Problem des Wasserstoffmarktes gelöst werden, um durch die steigende Nachfrage ein entsprechendes Angebot zu schaffen, welches wiederum eine Kostendegression der Technologie hervorruft. Passend hierzu soll die nationale Wasserstoffstrategie überarbeitet werden, um bis 2030 eine Elektrolyseleistung von 10 GW zu installieren und einen deutschen Leitmarkt für Wasserstofftechnologien zu verwirklichen. Die derzeitige Priorisierung, dass Wasserstoff vorrangig in nicht zu elektrifizierbaren Industrien zum Einsatz kommen soll, wird beibehalten.


Außerdem soll die Kreislaufwirtschaft durch digitale Produktpässe gestärkt werden, welche schließlich eine Senkung des primären Rohstoffverbrauchs als Ziel haben. Ebenfalls werden höhere Recyclingquoten und eine produktspezifische Mindestquote für den Einsatz von Rezyklaten und Sekundärrohstoffen angekündigt. Darüber hinaus gehende Recyclingquoten sollen mit einem gesetzlich verankerten Fondsmodell belohnt werden.


Beim Thema Strompreise bleibt der Koalitionsvertrag leider vage. Es wird nur versprochen, dass die Wirtschaft wettbewerbsfähige Strompreise unter konsequenter Nutzung der eigenen Potenziale Erneuerbarer Energien bekommt. Wie dies allerdings bei einem Verfehlen der gesetzten Ausbauziele von Photovoltaik und Windenergie erreicht werden soll, wird nicht thematisiert. Die beschriebenen Ziele sind schließlich anspruchsvoll: So soll die Offshore-Windenergie in 2030 mindestens 30 GW, in 2035 40 GW und in 2045 70 GW betragen.1 Für die Onshore-Windenergie sollen 2 Prozent der Landesfläche ausgewiesen werden und auch in weniger windhöffigen Regionen soll der Windenergieausbau für einen lastnahen Zubau und einer Vermeidung von Netzengpässen verstärkt werden. Streit mit verschiedenen Landesregierungen wie der bayerischen und der hier geltenden 10H-Regel scheint an dieser Stelle vorprogrammiert. Das gewaltigste Ziel hält der Koalitionsvertrag für die in Deutschland installierte Kapazität von Photovoltaikanlagen bereit: Bis 2030 sollen ca. 200 GW installiert sein. Zum Vergleich: Ende 2020 waren es laut dem ÜNB 50hertz knapp 54 GW. Mit diesen Ausbauzielen soll der prognostizierte Strombedarf von 680-750 TWh in 2030 zu 80 Prozent aus Erneuerbaren Energien bereitgestellt werden. Kombiniert werden soll dies mit der Erarbeitung einer nachhaltigen Biomasse-Strategie.


Für den notwendigen Ausbau soll ein Instrumentenmix sorgen, der neben Förderungen im Rahmen des EEG auch die Stärkung von förderfreien Mitteln wie PPAs vorsieht. An dieser Stelle darf man gespannt bleiben, ob sich die zukünftige Bundesregierung hier von Best Practice Beispielen aus dem europäischen Ausland wie Italien und Polen inspirieren lässt und sie auf den deutschen Markt zuschneidet.


Weiterhin strebt die künftige Bundesregierung eine Reform der Netzentgelte und weiterer staatlich induzierter Bestandteile des Strompreises an. Hierdurch soll die Sektorenkopplung ermöglicht und ein Level-Playing-Field für alle Energieträger und Sektoren geschaffen werden. Inwiefern dies für energieintensive Unternehmen eine Mehrbelastung bzw. Entlastung bedeutet, bleibt abzuwarten.


Finanziert werden sollen die vielen Maßnahmen unter anderem durch den Abbau von unwirksamen, umwelt- und klimaschädlichen Subventionen und Ausgaben. Dennoch enthält der Koalitionsvertrag ein klares Bekenntnis zu Erdgas als Übergangstechnologie. Allerdings müssten die „notwendigen Gaskraftwerke so gebaut werden, dass sie auf klimaneutrale Gase (H2-ready) umgestellt werden können.” Was dies genau bedeuten solle, wird im veröffentlichten Papier leider nicht weiter ausgeführt.


Zugunsten der Vermeidung sozialer Härten wird an dem festgelegten Preispfad des Bundesemissionshandelsgesetz nicht gerüttelt. Es wird allerdings festgehalten, dass dieser perspektivisch in ein zweites europäisches Emissionshandelssystem überführt werden soll. Für das existierende Emissionshandelssystem werden sich die Koalitionäre für einen europäischen Mindestpreis i.H.v. 60 Euro pro Zertifikat einsetzen, welcher Prognosen über den zukünftigen marktgegebenen Mindestpreis entspricht und somit kaum finanzielle Mehrbelastungen darstellen sollte. Falls sich ein Mindestpreis auf europäischer Ebene als unmöglich erweisen sollte, behalten sich die Ampel-Parteien nationale Maßnahmen wie die Löschung von Zertifikaten oder die Einführung eines nationalen Mindestpreises vor.


Nicht zuletzt umfasst der Koalitionsvertrag eine Weiterentwicklung des Klimaschutzgesetzes in 2022, welche ein Klimaschutzsofortprogramm mit allen notwendigen Gesetzen und Vorhaben wie z.B. Maßnahmen zur Beschleunigung der Planung und Realisierung von Strom- und Wasserstoffnetzen beinhaltet. Hierfür soll die Bundesnetzagentur mit den Netzbetreibern einen über die aktuellen Netzentwicklungsplanungen hinausgehenden Entwurf für ein Klimaneutralitätsnetz berechnen, was wiederum die Verfügbarkeit von Wasserstoff positiv beeinflussen wird.


Der Koalitionsvertrag bietet in vielen Aspekten interessante und vielversprechende Maßnahmen, um Deutschland auf einen klimaneutralen Weg bis 2045 vorzubereiten. Obwohl seit der Veröffentlichung des Koalitionsvertrages darum gerungen wird, ob es sich nun um den großen Wurf handelt oder nicht, werden definitiv viele der beschriebenen Maßnahmen große Auswirkungen auf die deutsche Industrie haben.


Mit Spannung bleibt unter anderem zu erwarten, wie tiefgreifend die angekündigten Reformen des Strompreises und der Subventionen sein werden und über welche finanziellen Ressourcen die beschriebenen Transformationsfonds und -hilfen verfügen werden. Der Weg ist aber klar und wird schlicht und knapp im Koalitionspapier zusammengefasst: „Was gut ist fürs Klima, wird günstiger – was schlecht ist, teurer.”



Haben Sie noch offene Fragen zum Thema? Kontaktieren Sie uns gerne.
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1 Das bisherige Windenergie-auf-See-Gesetz aus 2020 hatte in 2030 20 GW, und in 2040 40 GW als Ziel. Ende 2020 waren Offshore-Windenergieanlagen mit einer Leistung von etwa 7,7 GW am Netz.

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Benjamin Hufnagel

Wirtschaftsingenieur (B.Eng.), M.A. Europäische Energiewirtschaft

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