Die Diskrepanz zwischen den Zielen des DigiG und den aktuellen Regelungen im BMV-Ä – Statt Ausweitung nun neue Einschränkungen der Telemedizin?!

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​​​​​​​​​​veröffentlicht am 04. März 2025

​​Ab dem 1. März 2025 treten neue Regelungen für die Telemedizin in der vertragsärztlichen Versorgung in Kraft. Gemäß Anlage 31c zum BMV-Ä muss sich der Vertragsarzt bei der Durchführung telemedizinischer Leistungen in Deutschland befinden. Zudem werden Videosprechstunden, die außerhalb des Vertragsarztsitzes durchgeführt werden, weiterhin nicht auf die Mindestsprechstundenzeiten angerechnet. Schließlich bleibt auch die Obergrenze für telemedizinische Leistungen bei 30 % pro Quartal unverändert.


Am 26.3.2024 ist das Gesetz zur Beschleunigung der Digitalisierung, kurz: Digital-Gesetz, in Kraft getreten. Das Digital-Gesetz (DigiG) hat unter anderem das Ziel, die Weiterentwicklung von Videosprechstunden zu fördern, sodass die Telemedizin einen festen Bestandteil der Gesundheitsversorgung bildet.

Um dieses Ziel zu erreichen, sieht das DigiG vor, die bisherige Begrenzung der Videosprechstunden auf maximal 30 % der ärztlichen Arbeitszeit aufzuheben. Als Begründung wird insbesondere auf die Erfahrungen während der Pandemie verwiesen, in der die mengenmäßige Beschränkung zeitweise ausgesetzt war. Des Weiteren ist der Gesetzesbegründung zu entnehmen, dass die Telemedizin insbesondere auch die medizinische Versorgung in strukturschwachen ländlichen Gegenden stärken kann und daher neue und niederschwellige Zugänge zu telemedizinischen Angeboten geschaffen werden sollen. Um dieses Ziel zu erreichen, ändert das DigiG als sog. Artikelgesetz mehrere bereits bestehende Gesetze, wie bspw. das SGB V.

Gemäß § 87 Abs. 2o SGB V haben die Partner der Bundesmantelverträge, also die Kassenärztliche Bundesvereinigung und der GKV-Spitzenverband, Vorgaben für die Sicherung der Versorgungsqualität von telemedizinischen Leistungen, die durch Videosprechstunden oder Konsilien erbracht werden, zu vereinbaren.

Die KBV und der GKV-Spitzenverband sind diesem Auftrag nachgekommen und haben zwischenzeitlich ergänzend zu den Vorgaben gemäß Anlage 31, 31a und 31b zum BMV-Ä Anforderungen für die Sicherung der Versorgungsqualität von telemedizinischen Leistungen vereinbart. Die Regelungen sind in der Anlage 31c zum BMV-Ä zu finden und treten ab dem 1.3.2025 in Kraft.


Was bedeutet das für die Vertragsärztinnen und Vertragsärzte?

Einfacher, diskriminierungsfreier Zugang gemäß § 6

Die Videosprechstunden müssen für Versicherte einfach und barrierefrei zugänglich sein. Die Versicherten können die Termine auf verschiedene Weise vereinbaren, z.B. vor Ort, am Telefon, per TI-Messenger, über die Terminservicestelle der KV oder das elektronische System der KBV gemäß § 370a SGB V.

Wichtig ist, dass der Zugang zur telemedizinischen Versorgung nicht durch diskriminierende Faktoren eingeschränkt wird. Das bedeutet, dass kein Versicherter aufgrund von Merkmalen wie Terminart, -dauer, Zeitpunkt, Kostenträgerschaft oder anderen individuellen Eigenschaften benachteiligt werden darf. Daher darf die Terminvergabe ausschließlich nach der medizinischen Behandlungsbedürftigkeit priorisiert werden.

Die Patienten sind zudem über das Angebot von Videosprechstunden zu informieren.


Vorrangige Vergabe von Videosprechstunden an Patienten, die in der Nähe vom Praxissitz wohnen

Ab dem 1.9.2025 müssen die genutzten Terminvermittlungslösungen für Videosprechstunden sicherstellen, dass Patienten, die in der Nähe der Praxis wohnen, bevorzugt Termine erhalten. Hinsichtlich der Definition der räumlichen Nähe wird auf § 6 der Anlage 28 verwiesen. Demnach ist bei Hausärzten und Fachärzten der Allgemeinmedizin auf eine Fahrzeit mit den öffentlichen Verkehrsmitteln von 30 Minuten und bei der spezialisierten und gesonderten fachärztlichen Versorgung auf eine Fahrzeit von maximal 60 Minuten abzustellen.


Sicherstellung eines voll ausgestatteten Telearbeitsplatzes

Gemäß § 8 Abs. 1 hat der Arzt sicherzustellen, dass sein Telearbeitsplatz die folgenden Anforderungen erfüllt:
  • ​Dedizierter, geschlossener Raum,
  • telefonische Erreichbarkeit,
  • ​Zugriff und vollumfängliche Nutzbarkeit der elektronischen Patientendokumentation und der Anwendungen der Telematikinfrastruktur

Zudem muss der Arzt auch während der Durchführung von Videosprechstunden zu den üblichen Praxisöffnungszeiten für andere Versicherte telefonisch erreichbar sein.


Arzt muss sich während der Videosprechstunden in Deutschland befinden

Die wohl interessanteste Regelung findet sich in § 8 Abs. 3.

Demnach muss die vertragsärztliche Tätigkeit im Rahmen von Videosprechstunden im Inland erfolgen. Dies bedeutet, dass eine Videosprechstunde ausgeschlossen ist, wenn sich der Vertragsarzt außerhalb von Deutschland befindet.


Keine Anrechnung auf Mindestsprechstundenzeiten

Gemäß § 19a Abs. 1 Ärzte-ZV müssen Ärzte mit einem vollen Versorgungsauftrag mindestens 25 Sprechstunden pro Woche für gesetzliche Versicherte anbieten, wobei Fachärzte, die insbesondere der grundversorgenden und wohnortnahen Patientenversorgung angehören, mindestens 5 Stunden pro Woche als offene Sprechstunden anbieten müssen. Sofern der Vertragsarzt bspw. nur mit einem halben Versorgungsauftrag teilnimmt, hat er nur 12,5 Stunden pro Woche anzubieten.

Wenn der Vertragsarzt eine Videosprechstunde außerhalb seines Vertragsarztsitzes durchführt, also bspw. im Homeoffice, oder außerhalb der regulären Praxisöffnungszeiten, werden die Zeiten der Videosprechstunde nicht auf die Mindestsprechstunden angerechnet.


Videosprechstunde für unbekannte Patienten erst nach Durchführung eines strukturierten Ersteinschätzungsverfahrens

Ab dem 1. September 2025 müssen Vertragsärzte, die Videosprechstunden über die Kassenärztlichen Vereinigungen, das elektronische System der Kassenärztlichen Bundesvereinigung gemäß § 370a SGB V oder andere Anbieter anbieten, bei unbekannten Patienten gemäß § 9 Abs. 2 ein strukturiertes Ersteinschätzungsverfahren durchführen. Dieses Verfahren soll eine Priorisierung von Terminwünschen nach Behandlungsbedarfen ermöglichen.

Unbekannt ist ein Patient, bei dem im Zeitraum der letzten vier Quartale kein persönlicher Arzt-Patienten-Kontakt stattgefunden hat; vgl. § 2.

Die Ersteinschätzung stellt fest, ob der Fall für eine Videosprechstunde geeignet ist. Wenn keine Eignung festgestellt wird, wird der Patient an die entsprechenden Versorgungsstrukturen verwiesen, wie Arztpraxen, Krankenhäuser, ärztlichen Bereitschaftsdienst, Notaufnahme oder Rettungsdienst.

Es überrascht nicht, dass es für die elektronischen Programme der standardisierten Ersteinschätzung ebenfalls Anforderungen gibt. Diese können der Anlage 1 zur Anlage 31c zum BMV-Ä entnommen werden.

Sicherstellung einer strukturierten Anschlussversorgung

Wenn der Versorgungsbedarf eines Patienten während einer Videosprechstunde nicht gedeckt werden kann, ist der Vertragsarzt verpflichtet, eine strukturierte Anschlussversorgung bereitzustellen. Dies kann durch die Vereinbarung eines Termins in seiner Praxis, eine Überweisung zu einem Facharzt oder durch den Verweis auf andere geeignete Versorgungsstrukturen erfolgen.

Hierzu hat der Vertragsarzt auch sicherzustellen, dass dem Patienten eine Überweisung und eine Verordnung oder Folgeverordnung noch am selben Tag zur Verfügung steht oder an ihn versendet wird.
 

Keine Verschreibung von BtM an unbekannte Patienten im Rahmen von Videosprechstunden

Gemäß § 11 Abs. 1 ist eine Verschreibung von Arzneimitteln, die unter das Betäubungsmittelgesetz fallen, an unbekannte Patienten im Rahmen von Videosprechstunden ausgeschlossen. Das gleiche gilt für Arzneimittel, die Suchtpotenzial haben.


Was fällt auf?

Die Regelungen der Anlage 31c zum BMV-Ä widersprechen den Zielen des DigiG und behindern eher die Digitalisierung und den Ausbau telemedizinischer Leistungen, anstatt sie zu fördern.

Insbesondere die Verpflichtung, sich bei Videosprechstunden in Deutschland aufzuhalten, erscheint unverständlich. Selbst wenn die Patientensicherheit als Begründung angeführt wird, ist diese kaum gefährdet, wenn sich der Vertragsarzt beispielsweise an einem Freitagabend nach seinen regulären Praxisöffnungszeiten in seiner Ferienwohnung in Holland am Meer befindet. Schließlich kommen Videosprechstunden nur für Behandlungen in Frage, die keinen persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt erfordern. Sollte der Patient akute Symptome haben, die eine zeitnahe Behandlung in Präsenz erfordern, würde die Videosprechstunde nicht dem medizinischen Standard entsprechen und wäre ärztlich nicht vertretbar. In solchen Fällen müsste der Patient außerhalb der regulären Praxisöffnungszeiten entweder an den medizinischen Notdienst verwiesen oder ihm ein Termin für Montagmorgen in der Praxis angeboten werden.

Wenn Bedenken hinsichtlich der Disziplinargewalt bestehen, weil sich der Vertragsarzt im Ausland befindet, kann dem entgegengehalten werden, dass der Arzt gemäß § 19a Ärzte-ZV und § 17 Abs. 1 MBO-Ä weiterhin an seinen Praxissitz gebunden und zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung verpflichtet ist. Daher muss er auch das Berufsrecht seiner zuständigen Ärztekammer wahren, selbst wenn er eine Videosprechstunde im Ausland abhält.

Die Priorisierung von Patienten, die in der Nähe der Praxis wohnen, ist ebenfalls schwer nachzuvollziehen, da das DigiG gerade die Versorgung von Patienten in ländlichen Gebieten stärken will. Die neue Regelung in § 7 erschwert den Zugang zur spezialfachärztlichen Versorgung, da in ländlichen Gebieten oft eine Unterversorgung droht und Patienten häufig mehr als 60 Minuten Fahrtzeit zum nächsten Facharzt einplanen müssen.

Die Einführung eines strukturierten Ersteinschätzungsverfahrens stellt für den Vertragsarzt zusätzlichen Verwaltungsaufwand da. Zudem ist der Arzt ohnehin gemäß § 7 Abs. 4 Satz 3 MBO-Ä verpflichtet, seine Patienten über die Besonderheiten der ausschließlichen Beratung und Behandlung über Kommunikationsmedien aufzuklären und vorab zu prüfen, ob eine ausschließliche Beratung oder Behandlung über Kommunikationsmedien im Einzelfall ärztlich vertretbar ist und den medizinischen Standards entspricht.

Wenn ein Patient, der seit über einem Jahr nicht bei seinem Hausarzt war, zur Abklärung von Erkältungssymptomen eine Videosprechstunde vereinbaren möchte, jedoch vorher ein Ersteinschätzungsverfahren durchlaufen muss, wird dies sicherlich nicht zu einer Verbesserung der Versorgung führen.

Es bleibt abzuwarten, wie sich diese Regelungen weiterentwickeln werden. 
Regelungen, die eher auf Überregulierung als auf Fortschritt abzielen, sollten entsprechend angepasst werden. Anderenfalls können die Ziele des DigiG nicht erreicht werden.

Sie haben weiterhin Fragen zu den neuen Regelungen oder generell zum ärztlichen Berufsrecht? Wir helfen Ihnen gerne weiter.



AUTORIN

​Franca Heuser

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Franca Heuser

Rechtsanwältin, Fachanwältin für Medizinrecht

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