Satzungsdurchbrechung bei der GmbH: BGH konkretisiert punktuelle Wirkung

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​​​​​​veröffentlicht am 6. November 2024 | Lesedauer ca. 6 Minuten

 

Mitunter fassen Gesellschafter einer GmbH einen Gesellschafterbeschluss, der nicht im Einklang mit der Satzung steht. Dieser Gesellschafterbeschluss verletzt dann die Satzung. Man spricht von einer Satzungsdurchbrechung. Für die Praxis stellt sich die Frage, ob ein solcher satzungsverletzender Gesellschafterbeschluss als lediglich punktuelle Satzungsdurchbrechung gleichwohl wirksam ist, oder als zustandsbegründende Satzungsdurchbrechung unwirksam ist. Der BGH hat in einer aktuellen Entscheidung (BGH, Urt. v. 16.7.2024 – II ZR 71/23) für die Praxis wichtige Leitplanken für die Abgrenzung einer punktuellen von einer zustandsbegründenden Satzungsdurchbrechung aufgestellt.

Satzung als Fundament der GmbH

Die Satzung einer GmbH ist deren Fundament. Sie bildet die Verfassung der Gesellschaft und regelt als solche insbesondere die Organisation sowie die mitgliedschaftlichen Rechte und Pflichten der Gesellschafter im Verhältnis zur GmbH und untereinander. Mit anderen Worten steckt die Satzung das Spielfeld ab, in welchem sich die Gesellschafter und die Gesellschaftsorgane bewegen. Um auch den Rechtsverkehr über die Verhältnisse der Gesellschaft zu informieren, ist die Satzung in jeweils aktueller Fassung zum Handelsregister einzureichen und kann dort von jedem eingesehen werden.

Anforderungen an die Änderung der Satzung bei der GmbH

Die Änderung der Satzung einer GmbH unterliegt strengen Formanforderungen. Sie kann nur auf Grund eines notariell beurkundeten und mit satzungsändernder Mehrheit (mindestens Dreiviertelmehrheit) gefassten Gesellschafterbeschlusses geändert werden (§ 53 GmbHG). Werden diese formellen Voraussetzungen nicht eingehalten, ist der Gesellschafterbeschluss unwirksam. Die Änderung der Satzung wird zudem erst mit Eintragung im Handelsregister wirksam (§ 54 Abs. 3 GmbHG). Hintergrund für das Eintragungserfordernis ist neben einer registergerichtlichen Kontrolle der Einhaltung von Gläubigerschutzvorschriften insbesondere die bezweckte Registerpublizität. Der Rechtsverkehr soll sich zu jeder Zeit Klarheit über die Verfassung der Gesellschaft verschaffen können. Diese Formvoraussetzungen gelten dabei allerdings allein für sog. materielle (sog. echte) Satzungsbestandteile. Dies sind zum einen die Regelungen, denen körperschaftsrechtlicher Charakter zukommt, die somit für einen unbestimmten Personenkreis Bedeutung haben, zu welchem neben den aktuellen und künftigen Gesellschaftern auch Gesellschaftsgläubiger gehören. Zum anderen werden auch Sonderrechte, Wettbewerbsverbote oder Nebenleistungspflichten erfasst, sofern sie eine unmittelbare Bindung aktueller wie künftiger Gesellschafter herbeiführen sollen. Nicht von den strengen gesetzlichen Formerfordernissen für eine Satzungsänderung erfasst sind hingegen Änderungen oder die Aufhebung von Satzungsbestimmungen mit individualrechtlichem Charakter, sog. unechte oder formelle Satzungsbestandteile. Solche unechte Satzungsbestandteile sind etwa die Geschäftsführerbestellung in der Satzung oder die Aufnahme der Angabe zu den Anteilsinhabern in die Satzung.

Vereinfacht gesagt erfordert daher die Änderungen von Satzungsbestimmungen, welche die Grundlagen der GmbH, ihre Beziehungen zu den Gesellschaftern oder die Rechtsstellung ihrer Organe regeln, eines notariell beurkundeten Gesellschafterbeschlusses und die Eintragung des geänderten Satzungstextes in das Handelsregister.

Satzungsdurchbrechung als Abweichung zum satzungsgemäßen Handlungsrahmen

Typischerweise bewegen sich die Gesellschafter und Organe der GmbH innerhalb des durch die Satzung definierten Handlungsrahmens. Sofern der durch die Satzung vorgegebene Handlungsrahmen mit den Vorstellungen der Gesellschafter für künftige Handhabungen nicht mehr kongruent ist, werden die Gesellschafter auf eine Änderung der Satzung hinwirken.


Mitunter wollen die Gesellschafter für einen konkreten Fall aber auch einen Gesellschafterbeschluss fassen, welcher von einer materiellen Satzungsregelung abweicht, ohne dass sie die Satzung für die Zukunft ändern wollen. Dies sind die Fälle einer sog. Satzungsdurchbrechung. Statt die Satzung für die Zukunft zu ändern, fassen die Gesellschafter schlicht einen Gesellschafterbeschluss in Widerspruch zu der Satzung. Die Gesellschafter versuchen mithin die von ihnen selbst mit der Satzung gesetzten Spielfeldgrenzen zu durchbrechen.

Die Gesellschafter bewegen sich mit einem solchen Vorgehen im Spannungsverhältnis zwischen Satzungsverletzung und den zwingenden Formanforderungen an eine Satzungsänderung. Grundsätzlich führt eine Verletzung der Satzung lediglich zur Anfechtbarkeit des gefassten Gesellschafterbeschlusses (§ 243 Abs. 1 AktG analog). Sofern alle Gesellschafter für den betreffenden Gesellschafterbeschluss stimmen, scheidet eine Anfechtung aus. Dritte sind nicht anfechtungsbefugt. Dagegen ist, wie ausgeführt, ein nicht den Formanforderungen für eine Satzungsänderung entsprechender Gesellschafterbeschluss unwirksam. Problematisch ist in diesen Fällen damit, ob der die Satzung verletzende Gesellschafterbeschluss die strengen Formerfordernisse einer Satzungsänderung erfüllen muss, oder auch ohne deren Einhaltung wirksam und allenfalls anfechtbar ist.

Erfordernis der Unterscheidung zwischen punktueller und zustandsbegründender Satzungsdurchbrechung

Zur Klärung der Frage, ob eine Satzungsdurchbrechung im konkreten Fall lediglich anfechtbar, oder ohne Weiteres nichtig ist, unterscheidet die Rechtsprechung zwischen sog. punktuellen Satzungsdurchbrechungen und sog. zustandsbegründenden Satzungsdurchbrechungen. 

Nach der Rechtsprechung des BGH ist eine einen Einzelfall regelnde Satzungsdurchbrechung im Grundsatz auch ohne Einhaltung der formellen Voraussetzungen einer Satzungsänderung möglich, wenn sie sich auf eine punktuelle Regelung beschränkt, bei der sich die Wirkung des Gesellschafterbeschlusses in der betreffenden Maßnahme erschöpft (BGH, Urt. v. 20.8.2019 – II ZR 121/16). Nichtig sind nach der Rechtsprechung des BGH hingegen zustandsbegründende Satzungsdurchbrechungen, bei denen die Abweichung von der Satzung Dauerwirkung entfaltet, wenn die für eine Satzungsänderung geltenden Formvorschriften nicht eingehalten werden (BGH, Versäumnisurteil vom 11. Juli 2023 – II ZR 98/21).

Die abstrakten Grundsätze der Rechtsprechung im konkreten Einzelfall anzuwenden ist allerdings schwierig und die Abgrenzung zwischen punktueller und zustandsbegründender Satzungsdurchbrechung in der Praxis häufig unklar. Konkrete Gerichtsentscheidungen mit konkreten Anwendungsfällen sind rar gesät.

Aktuelle Entscheidung des BGH konkretisiert Abgrenzung zwischen punktueller und zustandsbegründender Satzungsdurchbrechung bei der GmbH

Vor gut zwei Jahren hatte zunächst der BFH geurteilt, dass eine von den Gesellschaftern ohne diesbezügliche Öffnungsklausel in der Satzung beschlossene disquotale Vorabgewinnausschüttung nur punktuell wirke und damit ohne Beachtung der strengen Formerfordernisse für eine Satzungsänderung wirksam sei (BFH, Urt. v. 28.9.2022 – VIII R 20/20). Mit Schreiben vom 4. September 2024 hat das BMF die Folgen aus dem Urteil des BFH aufgegriffen. Das BMF-Schreiben vom 4. September 2024 ersetzt das BMF-Schreiben vom 17. Dezember 2013 und ist in allen noch offenen Fällen anzuwenden. 

Nunmehr hatte auch der BGH in einer aktuellen Entscheidung Gelegenheit, sich mit der konkreten Abgrenzung zwischen punktueller und zustandsbegründender Satzungsdurchbrechung auseinanderzusetzen (BGH, Urt. v. 16.7.2024 – II ZR 71/23). Im Kern ging es im entschiedenen Fall um die Frage, ob die Abberufung des Geschäftsführers einer GmbH ohne Einhaltung der satzungsändernden Formerfordernisse durch die Gesellschafterversammlung wirksam war, obgleich nach der Satzung die Abberufungskompetenz dem Aufsichtsrat Zustand. 

Der BGH urteilte, dass die Abberufung des Geschäftsführers durch die nach der Satzung dafür nicht zuständige Gesellschafterversammlung keine zustandsbegründende Satzungsdurchbrechung sei. Vielmehr handele es sich um eine rein punktuelle Satzungsdurchbrechung, welche ohne Einhaltung der formellen Voraussetzungen einer Satzungsänderung möglich gewesen sei. Die Abberufung des Geschäftsführers durch das nach der Satzung unzuständige Organ Gesellschafterversammlung ist damit wirksam erfolgt und wäre als Satzungsverletzung allenfalls anfechtbar gewesen. Da der Gesellschafterbeschluss im entschiedenen Fall von der Alleingesellschafterin gefasst worden war, schied jedoch auch eine Anfechtbarkeit aus.

Zur Begründung führt der BGH aus, dass sich die Verletzung der Satzung in dem Kompetenzverstoß bei der konkreten Beschlussfassung erschöpfe und sich spätestens mit der Bekanntgabe der Abberufung gegenüber dem Geschäftsführer erledige. Die Beschlussfassung führe gerade nicht zu einem von der Satzung abweichenden Dauerzustand. Auch bei Abberufung des Geschäftsführers durch das satzungsgemäß hierzu berufene Organ wäre die Organstellung des Geschäftsführers beendet worden. Die Beendigung des Organverhältnisses sei kein satzungswidriger (rechtlicher) Zustand.

Da für die Beurteilung der Satzungsdurchbrechung nicht die Auswirkungen des Gesellschafterbeschlusses maßgeblich seien, sondern dessen konkreter Regelungsgehalt, berühre nach dem BGH ein unter Missachtung der satzungsgemäß festgelegten Kompetenzordnung gefasster Gesellschafterbeschluss über die Abberufung eines Geschäftsführers auch keine schützenswerten Belange des Rechtsverkehrs. Vielmehr informiere die im Handelsregister hinterlegte Satzungsurkunde unverändert zutreffend über die Verhältnisse der Gesellschaft und die geltende Kompetenzordnung. Dass aus dem Handelsregister ein erfolgter Verstoß gegen die Satzung dabei nicht ersichtlich sei, ändere nach den Ausführungen des BGH daran nichts. Denn das Handelsregister und die Registerpublizität schützten nicht das Vertrauen des Rechtsverkehrs darin, dass in der Vergangenheit ausschließlich Beschlüsse unter Beachtung der Satzungsvorgaben gefasst worden seien.

Folgen der Entscheidung für die Praxis

Das Urteil bietet in seinem Teilausschnitt betreffend die kompetenzwidrige Abberufung eines Geschäftsführers durch die Gesellschafterversammlung für die Praxis Rechtssicherheit. Die vom BGH aufgestellten Kriterien dürften insbesondere entsprechend für die Bestellung eines Geschäftsführers gelten. Zugleich bietet das aktuelle Urteil des BGH über den entschiedenen Fall hinaus wichtige Anhaltspunkte für die Frage der Wirksamkeit von Gesellschafterbeschlüssen, welche die Satzung der GmbH verletzen. Denn der BGH konkretisiert Leitplanken für die schwierige Abgrenzung zwischen punktueller und zustandsbegründender Satzungsdurchbrechung. Maßgeblich für die Einordnung einer Satzungsdurchbrechung ist nach der Entscheidung, ob der Rechtsverkehr nach wie vor zutreffend über die Verhältnisse der Gesellschaft informiert werde, mithin ob die Satzung mit ihrem aktuell im Handelsregister hinterlegten Wortlaut unverändert gilt. Dass sich in Folge des Satzungsverstoßes ein Dauerzustand ergibt, ist hingegen nicht relevant, wenn sich dieser Zustand auch bei satzungsgemäßem Handeln ergeben hätte. Denn dann verletzt der (satzungsdurchbrechend) geschaffene Zustand die Satzung nicht und der Rechtsverkehr wird unverändert über die Verhältnisse der GmbH zutreffend informiert. Die für jeden einsehbare Satzung beansprucht weiterhin volle Geltung. Der BGH knüpft somit bei der Abgrenzung stärker an die Registerpublizität und das Vertrauen des Rechtsverkehrs in die Gültigkeit der im Handelsregister einsehbaren Satzung der GmbH. 

Trotz der Handreichung für die Praxis durch die Entscheidung ist jedoch zu beachten, dass in der vom BGH entschiedenen Konstellation der interne Kompetenzverstoß von der Gesellschafterversammlung als höchstem Organ der GmbH gegenüber einem rein fakultativen Aufsichtsrat begangen wurde. Die Gesellschafterversammlung hätte stets durch Satzungsänderung dem Aufsichtsrat auch dauerhaft die Kompetenz zur Geschäftsführerabberufung entziehen können. Die Entscheidung des BGH darf damit nicht dahingehend verstanden werden, dass jedes Organ beliebig Kompetenzen eines anderen Organs mit Wirkung im Einzelfall übergehen kann. 

Nicht ausdrücklich geklärt ist weiterhin die Frage, ob eine punktuelle Satzungsdurchbrechung bei der GmbH zumindest eines notariell beurkundeten Gesellschafterbeschlusses bedarf und lediglich die Handelsregisteranmeldung unterbleiben darf, andernfalls der Gesellschafterbeschluss bei fehlender Zustimmung aller Gesellschafter anfechtbar ist. In dem vom BGH entschiedenen Fall war der Abberufungsbeschluss in notariell beurkundeter Form gefasst worden, so dass sich die Formfrage insoweit nicht stellte. 

Für die Praxis unverändert wichtig sind daher sog. Öffnungsklauseln in der Satzung. Mit diesen können die Gesellschafter von einer Satzungsbestimmung im Einzelfall durch Gesellschafterbeschluss abweichen. Dabei sind aber die Grenzen für solche Öffnungsklauseln zu beachten. Diese dürfen nicht pauschal erfolgen. Insbesondere ist eine allgemeine Generalöffnungsklausel unzulässig, die zu einem Abweichen von jeder Satzungsbestimmung durch Gesellschafterbeschluss ermächtigt. Ebenso darf nicht jede Satzungsregel schematisch um eine Öffnungsklausel ergänzt werden. Daher bedarf es eines maßvollen Einsatzes von konkreten Öffnungsklauseln an den richtigen Stellen, um das Maß zwischen erforderlicher Flexibilität der Satzungsanwendung und unzulässiger Beeinträchtigung der Registerpublizität zu schaffen.

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Dr. Nils Peter Brügmann

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