Die Herausforderungen bei der Wahl des Besonderen Verhandlungsgremiums auf dem Weg in die SE

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veröffentlicht am 28. Februar 2023 | Lesedauer ca. 4 Minuten


Wahlen kennen wir – Bundestagswahlen, Landtagswahlen oder Kommunalwahlen sind nur ein kleiner beispielhafter Ausschnitt. Der Ablauf ist bekannt: Wir beantragen zum Beispiel Briefwahlunterlagen, bekommen alles nach Hause gesandt und stecken unsere Wahlunterlagen wieder in die Post. Oder wir gehen ins Wahllokal zur Wahlurne und füllen vor Ort den Stimmzettel aus – geheim natürlich. Aber haben Sie sich schon einmal Gedanken gemacht, wer diese Wahlen organisiert, den Ablauf plant, Ihre Wahl­berechtigung prüft usw.?


 
Wir haben in unserer Beratungspraxis ebenfalls regelmäßig mit Wahlen zu tun, genauer mit der Wahl des sog. Besonderen Verhandlungsgremiums („BVG“). Das BVG ist zu bilden, wenn ein Unternehmen in die Rechtsform der Societas Europaea („SE“), die Europäische Aktiengesellschaft, wechseln möchte. Über die Wege in die SE und die Beweggründe für den Gang in die SE haben wir u.a. in unserem Beitrag zu den BVG-Verhand­lungen
berichtet.
  

Die Wahl des Besonderen Verhandlungsgremiums

Jetzt wollen wir uns mit einem Schritt vor den BVG-Verhandlungen beschäftigen: der Wahl des BVG. Das BVG ist von den Arbeitnehmern zu bilden. Aufgabe des BVG ist es, mit der Unternehmensleitung eine Vereinbarung über die Beteiligung der Arbeitnehmer in der SE abzuschließen. Diese sog. Beteiligungsvereinbarung regelt das Verfahren zur Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer durch die Unternehmensleitung. In der Regel wird hierfür ein sog. SE-Betriebsrat installiert oder ein im Unternehmen bereits bestehender Betriebsrat übernimmt diese Funktion. Der Abschluss einer Beteiligungsvereinbarung ermöglicht es, eine individuell auf das Unter­neh­men und dessen spezifische Bedürfnisse maßgeschneiderte Lösung für diesen Prozess zu finden.
 
Wie aber bilden die Arbeitnehmer das BVG? Damit wären wir erneut bei den Wahlen angekommen, denn die BVG-Mitglieder werden gewählt. Hat das Unternehmen einen Betriebsrat, so besteht das sog. Wahlgremium grundsätzlich aus den Betriebsratsmitgliedern und dieses Wahlgremium wählt sodann die Mitglieder des BVG. Das ist – je nach Konstellation der bestehenden Betriebsräte – insgesamt noch recht überschaubar.
 

Der Sonderfall: die Urwahl

Hat das betreffende Unternehmen jedoch keinen Betriebsrat, befinden wir uns in einer Urwahl gemäß § 8 Abs. 7 SE-Beteiligungsgesetz („SEBG“). Zunächst braucht es jemanden, der diese Urwahl organisiert – Sie erinnern sich an die Eingangsfrage. Der Organisator in diesem Fall heißt Wahlvorstand und selbst dieser muss erst ein­mal gewählt werden. Das Gesetz sieht dafür eine Versammlung der Arbeitnehmer vor, zu der die Un­ter­neh­mens­lei­tung einlädt. Was in der Theorie so lapidar klingt, kann in der Praxis durchaus zu Herausforderungen führen. 
 

Die Wahl des Wahlvorstandes 

Das Gesetz stellt sich vor, dass alle Arbeitnehmer zu einer Versammlung zusammenkommen und dort (öf­fent­lich, per Handzeichen) ihren Wahlvorstand wählen, der die sodann nachfolgende Wahl der BVG-Mitglieder or­ga­ni­siert. Nun stellen Sie sich vor, dass Sie ein Unternehmen mit mehreren hunderten, ggf. sogar tausenden Arbeitnehmern haben. Zudem arbeiten die Arbeitnehmer vielleicht noch in einem Drei-Schicht-System oder im Einzelhandel, bei dem die Läden von Montag bis Samstag von 8 bis 20 Uhr geöffnet haben und die jeweiligen Filialen mitunter mehrere hunderte Kilometer auseinander liegen. Wie wollen Sie die nach dem Gesetz so einfach klingende Versammlung der Arbeitnehmer durchführen? Gibt es Örtlichkeiten, an denen sich so viele Arbeitnehmer zeitgleich versammeln können? Zu welchem Zeitpunkt wollen Sie unter den eben genannten Umständen Ihre Mitarbeiter zu dieser Versammlung einladen? Sollen dafür die Maschinen stillstehen oder die Geschäfte allesamt gleichzeitig geschlossen sein? Das Thema von Corona-Beschränkungen ist darunter eines der „leichteren“ Themen, das mittlerweile wieder ein wenig in den Hintergrund geraten ist, jedoch vor einiger Zeit zusätzlich zu berücksichtigen war. 

Unsere Erfahrungen zeigen: Es lässt sich immer ein Weg finden. Da das SEBG an dieser Stelle bis auf einige wenige Sätze keine Regelungen zur Urwahl trifft, ist stets ein analoger Blick in das zwar auch nicht alle Fragen auflösende Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) rund um die Betriebsratswahlen erforderlich. Letztendlich kann mit viel Kreativität, Organisationstalent der Unternehmensleitungen und vor allem sehr viel Auf­wands­be­reit­schaft in nahezu jeder noch so vertrackt wirkenden Konstellation erfolgreich eine Wahlversammlung zur Wahl des Wahlvorstandes durchgeführt werden – und dies ist erst Schritt Nummer eins. 
 

Die Wahl der BVG-Mitglieder 

Ist der Wahlvorstand – das Organisationskomitee – gewählt, geht es im nächsten Schritt an die eigentliche Wahl der BVG-Mitglieder. Organisiert vom Wahlvorstand, ist eine geheime (Urnen-)Wahl durchzuführen. Diese Wahl erfolgt nach den Grundsätzen der Verhältniswahl, es sind Wahllisten bzw. Wahlvorschläge durch die Belegschaft bei dem Wahlvorstand einzureichen. Das Gesetz sieht vor, dass jeder Wahlvorschlag grundsätzlich von mindestens einem Zwanzigstel (5 Prozent) der wahlberechtigten Arbeitnehmer, mindestens jedoch von drei Wahlberechtigten und höchstens von 50 Wahlberechtigten, unterzeichnet sein muss (§ 8 Abs. 7 S. 5 SEBG). Die Initiative muss nun von der Belegschaft ausgehen und der Wahlvorstand hat die Einhaltung aller Form­vorschriften zu überwachen und prüfen.
 
Wurden innerhalb der dafür gesetzten Frist die Wahlvorschläge formgerecht eingereicht, sind diese zu ver­öffent­lichen und die Termine für die Durchführung der Urnenwahl bekannt zu geben. Es ist zu entscheiden, wann, wie lange und an welchem Ort die Wahlurnen aufgestellt werden, um allen Arbeitnehmern ihre geheime Stimmabgabe zu ermöglichen, zugleich deren Wahlberechtigung zu prüfen und die Wahlurnen in der Zwischen­zeit sicher überwachen und verschließen zu können. Was ist, wenn der Weg einiger Mitarbeiter zur Wahlurne weiter ist als der Weg anderer Mitarbeiter, weil die einen zum Beispiel direkt in der Firmenzentrale und die anderen in einer Niederlassung weiter außerhalb tätig sind? Gibt es zudem die Möglichkeit der Briefwahl – wie bei der Bundestagswahl? Hier taucht erneut eine Vielzahl an Fragen auf, die es rechtssicher zu beantworten gilt und das Gesetz macht es einem nicht immer leicht. Die Möglichkeiten der Briefwahl sind z.B. deutlich ein­ge­schränkter als man es zunächst vermuten würde. Was im ersten Moment so attraktiv klingt, lässt sich im Zweifel nicht ohne weiteres umsetzen. Auch an dieser Stelle braucht es, wie bei der Wahlversammlung, viel Kreativität, Organisationstalent der Unternehmensleitungen und sehr viel Aufwandsbereitschaft. Aber auch an dieser Stelle gilt: Es lässt sich immer ein Weg finden.
 

Wenn erfolgreich gewählt wurde 

Nach der Wahl folgt die Stimmauszählung. Wurden mehrere Wahlvorschläge (Wahllisten) eingereicht und über diese abgestimmt, gilt das Verhältniswahlrecht (Listenwahl). Wer sich damit schon einmal näher beschäftigt hat, hat auch schon vom d’Hondtschen Verfahren gehört, nach dem die Stimmen zu zählen und die Sitze zu verteilen sind. Wurde nur eine Wahlliste eingereicht, findet eine Mehrheitswahl (Personenwahl) statt. Die Auszählung hat öffentlich zu erfolgen und mit dem Abschluss der Wahl hat der Wahlvorstand seine Aufgabe erfüllt – die BVG-Mitglieder sind gewählt und können in die Verhandlungen mit der Unternehmensleitung starten. Dabei stellen sich zwar neue Fragen, aber das ist ein anderes Kapitel. 
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