Hilfe, Hilfe! Beihilfe? – EuG bestätigt Europarechtswidrigkeit deutscher Industrieprivilegierungen für netzdienlichen Strombezug

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veröffentlicht am 20. Januar 2022

 
Das EuG hat mit Urteil vom 6.10.2021 festgestellt, dass die nach § 19 Abs. 2 Satz 2 StromNEV 2011 in den Jahren 2012 und 2013 gewährten Netzentgeltbefreiungen für Industrieunternehmen unzulässige staatliche Beihilfen i. S. d. Art. 107 AEUV darstellen.

Gegenstand des Verfahrens war § 19 Abs. 2 StromNEV in der Fassung vom 26.7.2011 (BGBl. 1554, 171), der inzwischen nach mehreren Neufassungen nur noch historische Bedeutung hat. Insofern bleiben die individuellen Netzentgelte nach den späteren Fassungen des § 19 Abs. 2 StromNEV, mit denen der Gesetzgeber der Kritik der Kommission bereits frühzeitig Rechnung getragen hat, von dem Urteil unberührt.


In § 19 Abs. 2 Satz 2 StromNEV 2011 war eine vollständige Befreiung von in der Regel industriellen Letztverbrauchern normiert, die mehr als 10 GWh Strom aus dem Netz zum Letztverbrauch entnahmen und eine Benutzungsstundenzahl von mindestens 7.000 Stunden erreichten. In § 19 Abs. 2 Satz 6 und 7 StromNEV 2011 war eine Wälzung der entgangenen Erlöse der Netzbetreiber aus der Gewährung der Netzentgeltbefreiungen über die Netzentgelte auf alle sonstigen Netznutzer vorgesehen.


Die EU-Kommission hatte sich in einem beihilferechtlichen Verfahren gegen dieses gesetzlich geregelte Entlastungs- und Umlageverfahren gewandt, da dieses nach ihrer Auffassung zu einer Einstufung der Netzentgeltbefreiung als unzulässige staatliche Beihilfe i. S. d. Art. 107 AUEV führt. Stattdessen forderte sie eine Reduzierung der Netzentgelte bemessen an den tatsächlichen Kosten des physikalischen Pfades, wobei aber mindestens 20 Prozent der allgemeinen Netzentgelte zu zahlen seien (Beschluss (EU) 2019/56 über die staatliche Beihilfe SA.34045 (2013/C) v. 28.5.2018). Eine Vielzahl von deutschen Industrieunternehmen hatte mit Unterstützung durch die Bundesregierung Nichtigkeitsklagen vor dem EuG erhoben, um die Rückzahlung der hohen Entlastungsbeträge zu verhindern.


Nach Auffassung des EuG kommt es für die Frage nach dem Vorliegen einer staatlichen Beihilfe darauf an, ob die § 19-StromNEV-Umlage eine „Zwangsabgabe” oder „parafiskalische Abgabe” ist. Bei der § 19-StromNEV-Umlage wird die Staatlichkeit der Mittel nach Auffassung des EuG bereits aufgrund der gesetzlichen Erhebungspflicht der Netzbetreiber sowie der sich hieraus ergebenden vertraglichen Zahlungspflichten aller Netznutzer und einer angenommenen vollständigen Erstattung aller Mindereinnahmen und Kosten der Netzbetreiber bemessen.


Damit geht das Urteil des EuG über die beihilferechtlichen Kriterien des EuGH zur Einstufung der Staatlichkeit zivilrechtlich organisierter Umweltförderinstrumente hinaus. Der EuGH hat insofern nicht die gesetzliche Regelung, sondern die hoheitliche Mitwirkungsakte staatlicher Organe im Fördermittelgewährungs- und Wälzungsmechanismus gefordert. Insofern unterlag der StromNEV-Gewährungs- und Wälzungsmechanismus der StromNEV keinen weitergehenden staatlichen Mitwirkungsrechten oder -pflichten als das Fördersystem des EEG 2012.


Gegen das Urteil wurde Berufung zum EuGH eingelegt – dieser wird somit nunmehr selber darüber zu befinden haben, wie das StromNEV-Urteil des EuG mit seiner EEG-Rechtsprechung in Einklang zu bringen ist.

 

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