Verwertung von Arbeitsplatzaufzeichnung bei Verstoß gegen die DSGVO

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veröffentlicht am 10. Juli 2023 | Lesedauer ca. 4 Minuten

Autoren: Johannes Marco Holz, Anja Martina Müller, Daniel Wasser, Philipp Zambelli

  

In den letzten Jahren wird verstärkt Videoüberwachung im öffentlichen Raum, wie auch am Arbeitsplatz eingesetzt. Es stellt sich vermehrt die Frage, in welchem Umfang eine derartige Kontrolle am Arbeitsplatz rechtlich möglich und sodann auch vor Gericht verwertbar ist. Aus Arbeitgebersicht ist eine umfassende Videoüberwachung wünschenswert, um leicht Beweise für ein etwaiges Fehlverhalten des Arbeitnehmers zu erhalten und in der Folge eine Kündigung einfacher aussprechen zu können. Der Arbeitnehmer dagegen will oftmals keine Arbeitsplatzüberwachung, würde er doch mit zunehmender Aufzeichnung stärker gläsern werden. Es entsteht ein Spannungsfeld zwischen dem Schutz des Arbeitnehmers nach der DSGVO und gleichzeitig dem Interesse des Arbeitgebers, die Aufzeichnungen in einem Kündigungsprozess verwer­ten zu können. In einer aktuellen Entscheidung bejahte das Bundesarbeits­gericht (BAG) die Verwertung einer Arbeitsplatzaufzeichnung in einem Kündigungs­prozess trotz möglichem Verstoß gegen die DSGVO. 


  

Aktuelle Entscheidung des BAG

Einem in einer Gießerei beschäftigten Arbeitnehmer wurde gekündigt, da er vorsätzlich eine Mehrarbeits­schicht nicht geleistet habe, sich diese aber vergüten lassen wollte. Er habe zwar das Betriebsgelände betreten, es vor Schichtbeginn aber wieder verlassen. Entgegen den Vorinstanzen sieht das BAG kein Sachvortrags- oder Beweisverwertungsverbot. Der Arbeitgeber überwachte das Betriebstor mittels Kamera und wies darauf auch mit entsprechenden Schildern hin. Als Beweis für die Kündigung führte der Arbeitgeber das Videomaterial an. Nach Auffassung des Arbeitnehmers liegt dagegen ein Verstoß gegen das Datenschutzrecht vor. Das Video­material sei länger als die auf den Schildern ausgewiesenen 96 Stunden gespeichert worden und laut Betriebs­vereinbarung dürfte keine Auswertung personenbezogener Daten erfolgen. Das BAG ließ einen Verstoß gegen die DSGVO offen, erklärte jedoch, dass selbst bei einem derartigen Verstoß das Videomaterial verwertbar sei. Bei vorsätzlichem Fehlverhalten der Arbeitnehmer und ausgewiesener Videoüberwachung stehe die DSGVO der Verwertung personenbezogener Daten nicht entgegen. Die Datenschutzinteressen des Arbeitnehmers überwägen eine Aufklärung des Sachverhalts nur dann, wenn sie eine schwerwiegende Grundrechtsverletzung darstellten.
 

Mögliche Verstöße gegen die DSGVO

Bei unterstellter Speicherdauer, welche länger als angegeben dauerte, besteht unter Umständen ein Schadens­ersatzanspruch nach der DSGVO. Zudem könnte ein solcher Anspruch bei Verwertung des Videomaterials entgegen einer etwaigen Betriebsvereinbarung bestehen. Nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO besteht bei einem Verstoß gegen eine Norm der DSGVO ein Schadensersatzanspruch auf Ersatz des materiellen und des immateriellen Schadens. Auch ein Verstoß gegen die Grundsätze aus Art. 5 DSGVO ist erfasst. Wenn der Arbeitgeber angibt, dass das Videomaterial für 96 Stunden gespeichert wird, so darf er es gemäß Art. 5 Abs. 1 lit. e) DSGVO auch nicht länger speichern. Er bindet sich selbst bezüglich der Speicherdauer. Durch die Verwendung des Video­materials erfolgte eine Kündigung, so dass dem Arbeitnehmer in der Folgezeit das Gehalt fehlt. Entsprechend besteht bei dem Arbeitnehmer ein materieller Schadensposten. Vorliegend konnte das Fehlverhalten des Arbeitnehmers vielmehr lediglich aufgrund der Videoaufzeichnung bewiesen werden. Deren Verwertung stellt einen zentralen Punkt dar.

Weiterhin kann entscheidend sein, ob in einer Betriebsvereinbarung festgelegt wurde, dass keine Verwertung personenbezogener Daten erfolgen soll. Es sei daher an den in Art. 6 Abs. 1 DSGVO abgebildeten Grundsatz erinnert, dass jegliche Verarbeitung und Verwendung personenbezogener Daten ohne Vorliegen eines Erlaub­nis­tatbestands rechtswidrig ist.  
 

Verwertbarkeit von Videomaterial im Strafrecht

Das BAG nimmt Bezug zu Grundsätzen des Strafprozessrechts, wonach trotz Verstößen gegen die DSGVO Beweise verwertet werden können. Die StPO unterscheidet bei Videomaterial, welches laut DSGVO rechts­widrig erlangt wurde, nach der Person, welche die Aufnahme fertigte. Bei Privatpersonen, welche gegen die DSGVO verstoßen haben, bleibt das Videomaterial verwertbar. Es überwiegt das Strafverfolgungsinteresse des Staates vor dem Schutz der Privatsphäre des Täters. Als Schlagwort wird hierbei vorgetragen, dass das Daten­schutzrecht kein Täterrecht sei und sich die StPO gerade nicht an Private richtet. Ein Beweisverwertungs­verbot könnte gerade nur bestehen, wenn staatliche Organe gegen die StPO verstoßen haben oder in einem Ausnahmefall das private Interesse des Täters überwiegt.
 

Bewertung der BAG-Entscheidung

Die Leitsätze des BAG bedürfen einer kritischen Auseinandersetzung. Bei der Übernahme der Grundsätze aus dem Strafrecht bezüglich der Verwertung von Videomaterial, muss die besondere Situation des Arbeitsrechts beachtet werden. Den Arbeitgeber trifft als Nebenpflicht im Arbeitsverhältnis eine Fürsorgeverpflichtung, welche auch durch gesetzliche Vorschriften wie die DSGVO und deren Umsetzung in Betriebsvereinbarungen geprägt wird.
 
In einem arbeitsgerichtlichen Verfahren kann sich ein Sachvortrags- oder Beweisverwertungsverbot wegen einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus der Notwendigkeit einer verfassungskonformen Auslegung des Prozessrechts ergeben (BAG Urteil vom 20. Oktober 2016, 2 AZR 395/15, Rn. 15). Entscheidend ist dabei die Abwägung zwischen dem Schutz des Betroffenen und der Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege. Zwar liegt ein mögliches vorsätzliches vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers vor, allerdings wurden alle Arbeitnehmer anlasslos und dauerhaft überwacht. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Überwachung des Betriebstors offen erfolgte und durch Schilder angezeigt wurde. Dennoch könnte der Arbeitgeber vorsätz­lich gegen die DSGVO verstoßen haben, indem er die Videoaufnahmen länger als auf den Schildern angegeben speicherte und sie zur Überwachung der Mitarbeiter verwendete. Es steht somit im Raum, dass sowohl der Arbeitgeber wie auch der Arbeitnehmer vorsätzlich rechts- bzw. vertragswidrige Taten begangen haben könnten. Eine sorgfältige Abwägung des Einzelfalls erscheint daher unerlässlich. Das BAG entschied jedoch, dass es für die Frage, ob das Videomaterial in einem Kündigungsschutzprozess verwertbar sei, gar nicht erst auf das Vorliegen eines etwaigen Verstoßes gegen die DSGVO ankomme. Im Ergebnis hat das BAG den Schutz des Arbeitnehmers als datenschutzrechtlichen Betroffenen in seiner Abwägung nicht priorisiert.
 

Fazit

Die Entscheidung des BAG hat eine hohe Praxisrelevanz. Das BAG hat drei weitere ähnlich gelagerte Fälle ebenfalls zurückgewiesen, wodurch erkennbar wird, dass Arbeitsplatzüberwachung verstärkt eingesetzt wird. Zudem hat der Arbeitnehmer aufgrund der Verstöße gegen die DSGVO womöglich Schadensersatzansprüche, sodass er trotz Kündigung eine Entschädigung fordern könnte. Diese Entscheidung ist für die Arbeitgeberseite gegebenenfalls nur ein Pyrrhussieg. Zwar mag nach dem BAG trotz Verstoßes gegen die DSGVO die Arbeits­platz­aufzeichnung verwertbar sein, allerdings bestehen womöglich Schadensersatzansprüche auf Arbeitneh­merseite. Für die Praxis bedeutet das keineswegs, dass sich Arbeitgeber dazu instruiert sehen sollten, wahllos auf Videoaufnahmen zurückzugreifen. Gerade bei Verstößen gegen Art. 5 DSGVO kann nach Art. 83 Abs. 5 lit. a) DSGVO ein beträchtliches Bußgeld drohen. Im Einzelfall sollte auf anwaltliche Beratung zurückgegriffen werden.

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Johannes Marco Holz, LL.M.

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Informationstechnologierecht, Datenschutzbeauftragter (GDDcert.EU), Master of Laws Rechtsinformatik (Universität Passau)

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