Teilsieg der europäischen EEG-Kritiker oder Verletzung europäischer Verfahrensgrundrechte ? – EuGH zu EEG-Entlastung der deutschen Stahlindustrie

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von Joachim Held und Uwe Deuerlein

 

Die Klage der deutschen Stahlhersteller gegen die europarechtliche Vollzugsaussetzung der deutschen EEG-Umlageentlastung nach dem EEG 2012 vor dem Verwaltungsgericht Frankfurt ist im Rahmen eines  Vorabentscheidungsverfahrens vom EuGH alleine aus formalen prozessrechtlichen Gründen zurückgewiesen worden. Nach Auffassung des EuGH hätten sich die deutschen Unternehmen innerhalb der engen europarechtlichen Ausschlussfristen vor dem europäischen Gerichtshof unmittelbar gegen den zugrunde liegenden Beschlusses der EU-Kommission wenden müssen. Unternehmen der Energiewirtschaft und stromkostenintensiver Branchen müssen deshalb die Entwicklungen des europäischen Beihilferechts zukünftig noch genauer beobachten und frühzeitig Rechtsmittel einlegen, um ihre wirtschaftlichen Interessen zu wahren.

 

Die Klage der bisher durch die sog. „Besondere Ausgleichsregelung” des Erneuerbaren Energien Gesetzes (EEG) von der EEG-Umlage entlasteten Unternehmen vor dem Verwaltungsgericht Frankfurt gegen die in Folge eines EU-Kommissionsbeschlusses ergangenen Teilrücknahmebescheide der BAFA ist aufgrund der Vorrangigkeit der Nichtigkeitsklage gegen den Kommissions-Beschluss unzulässig. Diese Entscheidung hatte sich bereits angedeutet, insbesondere nach den Schlussvorträgen des zuständigen Generalanwalts beim EuGH vom 27. Februar 18. Nach dessen Äußerungen sei das falsche Gericht angerufen worden, zudem sei das Vorabentscheidungsersuchen selbst auch formal mangelhaft.


Gegenstand der Rechtsstreitigkeit war die Befreiung stromintensiver Unternehmen von der EEG-Umlage nach § 40 des EEG in der seit dem 01. Januar 2012 gültigen Fassung (EEG 2012), in deren Rahmen unter anderem auch die vier Gesellschaften der Georgsmarienhütte-Gruppe als Stahlproduzenten von der EEG-Umlage teilweise befreit wurden. 2014 stellte die EU-Kommission mit dem Beschluss (EU) 2015/1585 fest, dass die Verringerung der EEG-Umlage eine Beihilfe darstellt, welche nur in den in Art. 3 I des Beschlusses bestimmten Fällen mit dem Binnenmarkt vereinbar ist. In allen sonstigen Fällen ist die EEG-Befreiung mit dem Binnenmarkt unvereinbar und muss nach Art. 6 f. (EU) 2015/1585 von den Empfängern zurückgefordert werden. Im Hinblick auf diese Vorgaben nahm das BAFA durch Erlass von Teilrücknahmebescheiden die Begrenzungsbescheide bezüglich der EEG-Umlage gegenüber den  Stahlproduzenten in Höhe eines Teilbetrags ex tunc zurück und wies die darauf gerichteten Widersprüche der Unternehmen zurück.


Die Stahlunternehmen hatten zwar bereits im beihilferechtlichen Genehmigungsverfahren ablehnend Stellung genommen, ohne Kenntnis der erst später folgenden Teilrücknahme der EEG-Begrenzungsbescheide verständlicherweise keine Klage gegen die EU-Kommission vor dem Europagericht eingelegt. Im Folgenden erhoben die Gesellschaften der Georgmarienhütte-Gruppe dann gegen die Teilrücknahmebescheide Klage beim Verwaltungsgericht Frankfurt. Dabei machten sie auch die europarechtliche Rechtswidrigkeit des Beschluss der EU-Kommission, die Befreiung von der EEG-Umlage als Beihilfe einzustufen, geltend. In der Folge setzte das Verwaltungsgericht das Verfahren aus und legte dem EuGH die Frage, ob der streitige Beschluss aufgrund der Einstufung der EEG-Entlastung als Beihilfe gegen den AEUV verstößt, zur Vorabentscheidung vor.


Die EU-Kommission, gegen deren Beschluss sich das Ersuchen richtete, machte mit Verweis auf ein Urteil aus dem Jahre 1994 (TWD Textilwerke Deggendorf) die Unzulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens geltend, da die Kläger keine Nichtigkeitsklage gegen den streitigen Kommissionsbeschluss erhoben hätten. Nach diesem Urteil bleibt es einem Empfänger staatlicher Beihilfe verwehrt, die Rechtswidrigkeit eines Beschlusses vor nationalen Gerichten geltend zu machen, wenn er diesen die Beihilfe beeinträchtigenden Beschluss bereits nach Art. 263 AEUV hätte anfechten können und dies unterlassen hat. Hiermit solle laut Urteilsbegründung verhindert werden, dass der Grundsatz der Rechtssicherheit nach Ablauf der Klagefrist umgangen wird. Der EuGH griff nun diese Ausführungen in seinem aktuellen Urteil auf und führte mit Verweis auf weitere frühere Urteile weiter aus, dass auch innerstaatliche Klagen, die innerhalb der Klagefrist für die Nichtigkeitsklage erfolgt sind, als formal unwirksam anzusehen sind, da die Nichtigkeitsklage einen Verfahrensrahmen bietet, der in besonders komplexen Bereichen wie der staatlichen Beihilfen besonders geeignet ist und somit als erstes Rechtsmittel zu erheben sei. Dies gelte allerdings nur, soweit der Kläger ohne jeden Zweifel klagebefugt ist.


Aus diesen Erwägungen heraus ist laut dem EuGH daher für die Zulässigkeit der Vorlage zur Vorabentscheidung zu prüfen, ob die klagenden Stahlproduzenten ohne jeden Zweifel zu einer Klage beim EuGH auf Nichtigerklärung des Beschlusses gemäß Art. 263 AEUV befugt waren. Dies ist nach Art. 263 IV AEUV nur der Fall, wenn dieser Beschluss sie unmittelbar und individuell betrifft. Entsprechendes trifft nach Ansicht der Richter auf die Georgsmarienhütte-Gruppe zu. Zwar ist nach Art. 10 des streitigen Beschlusses dieser an die Bundesrepublik Deutschland und somit nicht an die Wirtschaft oder einzelne Unternehmen gerichtet. Jedoch können auch Personen individuell betroffen sein, die wegen bestimmter Eigenschaften von dem Beschluss berührt und dadurch in ähnlicher Weise individualisiert werden wie der Adressat des Beschlusses selbst. In dem vorliegenden Fall verpflichtet der Kommissionsbeschluss die Bundesrepublik Deutschland, unrechtmäßige Beihilfen zurückzufordern. Hierdurch werden die von der EEG-Befreiung Begünstigten, deren Begünstigungen mit dem Binnenmarkt unvereinbar sind, der Gefahr der Rücknahme der empfangenen Vorteile ausgesetzt und sind somit individuell betroffen. Im konkreten Sachverhalt haben die Stahlhersteller die rechtswidrige Beihilfe erhalten und gelten damit als von dem Beschluss der EU-Kommission individuell Betroffene. Nach den Schlussfolgerungen des Gerichts war die Georgsmarienhütte-Gruppe folglich ohne jeden Zweifel befugt, die Nichtigerklärung des Beschlusses zu beantragen.


Zwar lagen tatsächlich Klagen der Stahlhersteller beim EuGH vor, jedoch bezogen sich diese auf einen anderen Beschluss der Kommission aus dem Jahre 2013. Die mit diesen Klagen einhergehenden Anträge auf Anpassung der Klageanträge, welche den streitgegenständigen Beschluss (EU) 2015/1585 mit eingebunden hätten, wurden jedoch abgewiesen. Da keine erneute Klage der Stahlhersteller speziell gegen den gegenwärtigen Beschluss erhoben wurde, können die Unternehmen sich im Rahmen der nationalen Klagen gegen die Maßnahmen zur Durchführung des streitigen Beschlusses nicht auf dessen Ungültigkeit berufen.


Folglich kam der EuGH zu dem Ergebnis, dass das vom Verwaltungsgericht Frankfurt vorgelegte Ersuchen unzulässig ist und folgte damit den Ausführungen der EU-Kommission zur formellen Unwirksamkeit der Klage, äußerte sich jedoch nicht zu der materiellen Wirksamkeit des Beschlusses der EU-Kommission.


Damit richten sich die Blicke zunehmend auf das Verfahren zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der EU-Kommission gegen den beihilferechtlichen Beschluss der EU-Kommission gegen das EEG 2012. Die Regierung hatte trotz der Umsetzung des Kommissionsbeschlusses ebendiesen vor dem EuGH angefochten. Wie dieser Rechtsstreit ausgehen könnte, darauf lässt erneut die Stellungnahme des Generalanwalts Manuel Campos Sánchez-Bordona in der Sache Georgsmarienhütte mögliche Rückschlüsse zu: Danach sieht er keine Anhaltspunkte für die Ungültigkeit des Kommissionsbeschlusses. Angesichts dessen, dass die Richter in der Vergangenheit regelmäßig den Ausführungen des Generalanwalts in ihrer Entscheidung gefolgt sind, werden die Erfolgschancen der Klage daher als eher bescheiden betrachtet.


Mit seinem Urteil schreibt der EuGH den einzelnen Unternehmen die Pflicht zu, sich selbst genauestens über den Stand beihilferechtlicher Genehmigungsverfahren zu informieren und eine Einschätzung der rechtlichen Auswirkungen auf bestehende oder sogar erst zukünftige staatliche Förderungen oder Entlastungen vorzunehmen. Bei einem Risiko möglicher Beeinträchtigungen ihrer Interessen durch EU-Beschlüsse müssen diese nun innerhalb der relativ kurzen Klagefristen von nur 2 Monaten (Art. 263 Abs. 6 AEUV) Rechtsmittel beim  Gericht der Europäischen Union (EuG) (Art. 256 Abs. 1 AEUV) als Eingangsinstanz einlegen.


Beihilferechtliche Genehmigungsverfahren werden in der Regel unter weitgehendem Ausschluss der Öffentlichkeit zwischen der EU-Kommission und dem jeweiligen Fachministerium der betroffenen Regierung geführt. Häufig werden die Genehmigungsbeschlüsse nur in englischer Sprache veröffentlicht. Die Auslegung rechtlicher Begriffe wird deshalb häufig auch durch sprachliche Spielräume bei der Übersetzung erschwert. Deshalb bedarf die rechtliche Einschätzung der Auswirkungen eines beihilferechtlichen Beschlusses regelmäßig einer Begutachtung durch einen auf das nationale Förderrecht – im vorliegenden Fall für das Erneuerbare-Energien-Recht – spezialisierten Rechtsanwalt. Ein Klage vor dem EuG erfordert wiederum einen auf europäisches Recht spezialisierten Rechtsanwalt. Insofern ist ein Verfahren mit hohen Vorleistungen für die rechtliche Einschätzung und Klageerhebung verbunden. Für mittelständische Unternehmen ist der Rechtsschutz damit nahezu unmöglich geworden, sodass fraglich ist, ob die Rechtsprechung des EuGH noch mit dem nationalen und europäischen Verfahrensgrundrechtsschutz vereinbar ist. Denn sowohl nach den Vorgaben des Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) als auch des Art. 6 Abs. 3 des EU-Vertrags (EUV) in Verbindung mit Art. 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und Art. 47 der Grundrechts-Charta der Europäischen Union (EGC-EU) muss der Zugang zu gerichtlichem Rechtsschutz gegen Akte staatlicher Gewalt gewährleistet sein. Verfahrensvorbereitungskosten, Informationsdefizite und Ausschlussfristbestimmungen können hier verfassungswidrige Beschränkung des verfassungsrechtlich garantierten „einfachen Zugangs zu den Gerichten” sein. Insofern sind zukünftig noch mehr als bisher Branchenverbände aufgerufen, den Rechtsschutz gegen europarechtliche Rechtsakte zu koordinieren und im äußersten Fall auch am großen Rad des Verfassungsrechtsschutz zu drehen.


Damit wird das Urteil über die Frage des Beihilfecharakters des EEG hinaus weitreichende Konsequenzen für die Wirtschaft in Deutschland wie in der gesamten EU haben. Insofern bleibt zu hoffen, dass der EuGH im Verfahren der Bundesregierung zur Verteidigung des deutschen EEG-Förder- und Entlastungssystems doch noch eine Kehrtwende vollzieht. Andernfalls bleibt den betroffenen stromkostenintensiven Unternehmen tatsächliche nur noch der Gang vor die europäischen oder nationalen Verfassungsgerichte.

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