Verkürzung der kalkulatorischen Gasnetz-Nutzungsdauern gem. KANU-Festlegung: Was sind die handelsrechtlichen (und steuerlichen) Auswirkungen?

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veröffentlicht am 20. Dezember 2022

 

Die Bundesnetzagentur hat die finale Fassung der KANU-Festlegung veröffentlicht. Demnach besteht die Möglichkeit, dass für zukünftige Gasnetzinvestitionen kürzere kalkulatorische Nutzungsdauern gewählt werden können, sodass Gasnetzanlagen kalkulatorisch vollständig bis 2045 abgeschrieben werden können. Damit wird das Risiko minimiert, dass diese Anlagen bis 2045 nicht vollständig refinanziert wurden, wenn für diese Anlagen keine Nutzung für Wasserstoff oder andere grüne Gase gegeben ist.


Bei Stadtwerken tendieren zahlreiche Netzbetreiber dazu, zukünftig die kürzeren Nutzungsdauern für Neuinvestitionen ins Gasnetz ab 2023 anzuwenden. Hintergrund ist hier die Risikominimierung, um zukünftige außerordentliche Abschreibungen zu vermeiden. Sinnvoll wäre es, eine umfassende Chancen-Risiko-Abwägung vorzunehmen, um sowohl die wirtschaftlichen als auch die handels- und steuerrechtlichen Auswirkungen zu bewerten.


Dabei wäre zu klären, welche Auswirkungen diese Praxis auf die Bestandsinvestitionen bis 2022 und zum anderen auf die handelsrechtliche und steuerliche Praxis hat.


Dazu stellen sich die folgenden Fragen:


Können in 2022 aktivierte Anlage handelsrechtlich anders behandelt werden als Neuinvestitionen ab 2023?


Sind außerordentliche Abschreibungen für Bestandsinvestitionen zu erwarten, wenn rückwirkend handelsrechtliche Nutzungsdauern angepasst werden?


Welche steuerlichen Effekte und Risiken ergeben sich durch eine Verkürzung der handelsrechtlichen Nutzungsdauern mit den zugehörigen negativen Ertragseinflüssen?


Handelsrechtlich sind Vermögensgegenstände des Anlagevermögens, deren Nutzung zeitlich begrenzt ist, nach § 253 Abs. 3 HGB um planmäßige Abschreibungen zu verringern. Der Abschreibungsplan muss die Anschaffungs- oder Herstellungskosten auf dessen voraussichtliche betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer verteilen. Dabei spielen technische, wirtschaftliche oder rechtliche Aspekte eine Rolle. Wirtschaftliche oder rechtliche Gründe führen i.d.R. zu kürzeren Nutzungsdauern als technische Aspekte und sind bei der Bestimmung der Nutzungsdauer handelsrechtlich vorrangig zu berücksichtigen (vgl. Beck Bil-Komm./Schubert/Andrejewski, 13. Aufl. 2022, HGB § 253 Rn. 230). Bislang wurde bei der Schätzung der Nutzungsdauern und des Abschreibungsplans nicht von einer möglichen Endlichkeit des Betriebs der Gasnetze ausgegangen.


In der Praxis orientieren sich die meisten Gasnetzbetreiber bislang an den kalkulatorischen Nutzungsdauern oder legen die steuerlichen Afa-Tabellen der Abschreibungsdauer zugrunde. Um die Vergleichbarkeit des Jahresabschlusses mit dem jeweils vorhergehenden Abschluss zu verbessern, „sind“ nach § 252 Abs 1 Nr 6 HGB in den Folgejahren die auf den vorhergehenden Jahresabschluss angewandten Bewertungsmethoden beizubehalten. Dieser Grundsatz der Bewertungsstetigkeit bedeutet die Einhaltung der gleichen Bewertungsmethoden von Jahr zu Jahr und beinhaltet auch die Wahl der unterschiedlichen Abschreibungsmethoden und Schätzung der Nutzungsdauer für gleichartige Vermögensgegenstände.

 

Daraus ergibt sich im Fall der Gasnetze, dass die Beibehaltung der gewählten Nutzungsdauern immer dann verlangt wird, wenn gleichartige Sachverhalte zu beurteilen sind, d.h. wenn die anzusetzenden und zu bewertenden Vermögensgegenstände vergleichbaren Nutzungs- und Risikobedingungen unterworfen sind. Aus dem Vergleichbarkeitspostulat folgt, dass art- und funktionsgleiche Bilanzierungs- und Bewertungsobjekte nicht ohne sachlichen Grund nach unterschiedlichen Methoden angesetzt und bewertet werden dürfen (Grundsatz der sachlichen Stetigkeit).


Abweichungen davon sind nur in begründeten Ausnahmefällen möglich. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn sich rechtliche Gegebenheiten z.B. aufgrund einer Änderung von Gesetz oder Rechtsprechung ergeben. Unseres Erachtens nach sind auch die klimapolitischen Ziele der Bundesregierung, die Nutzung von Erdgas bis zum Jahr 2045 zu beenden, geeignet, um handelsrechtlich eine Änderung der Nutzungsdauer für Neuinvestitionen ab 2023 zu ermöglichen und die kalkulatorisch verkürzten Nutzungsdauern auch in den handelsrechtlichen Abschreibungsplan zu übernehmen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, ob ggf. alternative Verwendungsmöglichkeiten für die Gasinfrastruktur, wie die Nutzung von Wasserstoff, über das Jahr 2045 vorliegen könnten.


Die in der KANU-Festlegung dargestellten Gründe für die Anwendung verkürzter Nutzungsdauern für kalkulatorische Zwecke gelten allerdings nicht nur für Neuanschaffungen, sondern gleichermaßen für das bestehende Anlagevermögen. Eine unterschiedliche handelsrechtliche Beurteilung der Anlagen vor bzw. nach 2023, die in der KANU-Festlegung ermöglicht, vermag handelsrechtlich wenig zu überzeugen, da das mögliche Ende des Betriebs der Gasnetze alle Anlagen in gleichem Maße betreffen würde. Insofern ist zu prüfen, ob außerplanmäßige Abschreibungen und eine Berichtigung des Abschreibungsplans für das bestehende und vor 2023 angeschaffte bzw. hergestellte Anlagevermögen erforderlich sind.


Grundsätzlich ist ein einmal festgelegter Abschreibungsplan bis zum Ende der Abschreibungsdauer fortzuführen. Sofern sich aber im späteren Verlauf aufgrund besonderer, im Zeitpunkt der ursprünglichen Schätzung nicht vorhersehbarer Umstände zeigt, dass die bislang zugrunde gelegte Nutzungsdauer nicht zutreffend war, ist unter Berücksichtigung der konkreten Gegebenheiten zu prüfen, ob die Abweichungen erheblich sind und eine Berichtigung des Abschreibungsplans erforderlich ist.


Daneben sind die Regeln zur außerplanmäßigen Abschreibung zu beachten. Handelsrechtlich ist eine außerplanmäßige Abschreibung im Sachanlagevermögen nach § 253 Abs. 3 S.5 HGB immer geboten, wenn eine voraussichtlich dauerhafte Wertminderung vorliegt, d.h. der Buchwert den beizulegenden Wert unterschreitet. Nach herrschender Lehre liegt eine dauernde Wertminderung für Vermögensgegenstände, die der planmäßigen Abschreibung unterliegen, vor, wenn der Stichtagswert den Wert, der sich aus planmäßigen Abschreibungen ergibt, während eines erheblichen Teils der Restnutzungsdauer oder in den nächsten fünf Jahren nicht erreichen wird.

 

Die Ermittlung des beizulegenden Werts ist gesetzlich nicht geregelt. Oftmals wird dabei auf die Verhältnisse am Beschaffungsmarkt abgestellt und der sog. Wiederbeschaffungswert (Vermögensgegenstände gleichen Alters und gleichen Zustands) abgestellt. Aufgrund der rechtlichen Gegebenheiten wäre unseres Erachtens der Ertragswert, also der Barwert aller zukünftigen Einnahmenüberschüsse bis 2045 der bestmögliche Vergleichsmaßstab.


Intensiv diskutiert wird derzeit allerdings auch die Frage, wie kalkulatorisch mit den verbliebenen Restwerten, die für Anlagen vor 2023 nicht mehr vollständig abgeschrieben werden, umzugehen ist. Dürfen die bisher zu geringen Abschreibungen in Form von höheren Netzentgelten berücksichtigt werden oder dürfen Netzbetreiber auf Entschädigungszahlungen hoffen, wenn der Betrieb des Gasnetzes zwangsweise vor Ablauf der betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer einzustellen ist? Die notwendige Antwort auf diese Fragestellungen hat Auswirkungen auf die handelsrechtliche Bilanzierung.


Soweit die steuerrechtlichen Nutzungsdauern nicht angepasst werden, entsteht durch die verschiedenen Nutzungsdauern in Handels- und Steuerrecht eine differenzierende Abschreibung, welche letztlich zu einer entsprechend in der Handelsbilanz auszuweisenden Steuerlatenz führt. Es stellt sich daher die Frage, ob die Annahme der BNetzA, dass die Gasnetze keine Nutzung über dem Jahr 2045 zugeführt werden können, auch steuerrechtlich zu einer Anpassung der betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer führen kann. Gem. § 7 Abs. 1 S. 2 EStG richtet sich die Abschreibung nach der betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer. In den amtlichen AfA Tabellen geht die Finanzverwaltung hierbei für Gasnetzes aktuell nicht davon aus, dass ab dem Jahr 2045 diese keiner weiterführenden Nutzung zugeführt werden können, sodass eine Verkürzung aktuell (zumindest) aus Sicht der Finanzverwaltung nicht geboten ist.

 

Gleichwohl ist hierbei darauf hinzuweisen, dass die Ansicht der Finanzverwaltung sehr wohl durch die BnetzA überholt sein kann. Unseres Erachtens besteht hierbei daher durchaus die Möglichkeit unter Bezugnahme auf die KANU-Festlegungen der BNetzA auch aus steuerrechtlicher Sicht die Nutzungsdauern anzupassen. Bevor jedoch eine Anpassung der steuerrechtlichen Nutzungsdauern vorgenommen werden soll, würden wir zwingend empfehlen, die Auswirkungen zwischen aktuellen Nutzungsdauern und verkürzten Nutzungsdauern auf deren steuerrechtliche Auswirkungen für das Gesamtunternehmen zu prüfen. Hierbei gilt es ungewollte Nachteile zu vermeiden.


Wir dürfen gespannt sein, wie sich der IdW und die Finanzbehörden zur Umsetzung der KANU-Festlegung äußern. Denn jegliche Veränderung der regulatorischen Praxis sollte wohlüberlegt sein, um alle relevanten Risiken zu minimieren und ggf. zu erwartende negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung in der Bewertung des weiteren Vorgehens vollständig zu berücksichtigen.

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