Aufnahme der Fernwärme in das Kartellrecht fordert die Fernwärmeversorger

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veröffentlicht am 19. Juli 2022

 

Mit dem sogenannten „Osterpaket” hat der Gesetzgeber auch eine Verschärfung des Fernwärme-Kartellrechts verabschiedet: Fernwärme unterliegt nunmehr auch der besonderen kartellrechtlichen Preiskontrolle nach § 29 GWB. Damit wird die Stellung der Kartellbehörden in Preismissbrauchsverfahren gegen Fernwärmeversorger gestärkt. Das kartellrechtliche Risikomanagement durch die Teilnahme an Benchmarking-Systemen, eine kostenorientierte Preiskalkulation, die Identifizierung von Kostensenkungspotenzialen und das Transparentmachen spezifischer Besonderheiten ist damit für Fernwärmeversorger noch wichtiger geworden.

 

Mit der Verabschiedung des Gesetzes zur Änderung des Energiewirtschaftsrechts im Zusammenhang mit dem Klimaschutz-Sofortprogramm und Anpassungen im Recht der Endkundenbelieferung (Bt-DrS 20/1599) durch den Bundesrat am 08.07.2022 (BR-DrS 292/22(B)) ist das Gesetzgebungsverfahren zur Einbeziehung der Fernwärme in den kartellrechtlichen Preismissbrauchstatbestand des § 29 GWB inhaltlich abgeschlossen. Das Inkrafttreten am Tag nach der Verkündung im Bundesgesetzblatt ist danach in der Regel nur noch ein formeller Akt, mit dem in Kürze zu rechnen ist.

 

Dabei normiert § 29 Abs. 1 GWB die aus der kartellrechtlichen Preismissbrauchskontrolle nach § 19 Abs. 2 GWB anerkannten Kontrollmaßstäbe des Vergleichsmarktkonzepts und der Gewinnspannen- und Kostenkontrolle. Danach dürfen die Fernwärmeentgelte eines Unternehmens nicht ungünstiger sein als diejenigen anderer Versorgungsunternehmen auf vergleichbaren Märkten (§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GWB).
Auf einer zweiten Kontrollebene ist maßgeblich, ob das Unternehmen Entgelte fordert, die die Kosten in unangemessener Weise überschreiten (§ 29 Abs. 1 Nr. 2 GWB). Dabei dürfen Kosten, die sich ihrem Umfang nach im Wettbewerb nicht einstellen würden, bei dem Erlös – Kostenvergleich des Gewinnspannen-Kontrollkonzepts nicht berücksichtigt werden (§ 29 Abs. 1 Satz 2 GWB). Im Wettbewerb stehende Unternehmen haben nach den Grundsätzen des § 29 GWB deshalb keine Garantie für eine volle Kostendeckung. Das GWB kann deshalb zu empfindlichen Verlusten bis hin zur Existenzvernichtung von Fernwärmeversorgungsunternehmen führen. Die Art. 12, 14 GG gewähren insofern nach ständiger verfassungsrechtlicher Rechtsprechung keinen Bestandsschutz für ineffiziente Monopolunternehmen.

Besonders ist dabei die in § 29 Abs. 1 Nr. 1 GWB normierte Beweislastumkehr: Leitet eine Kartellbehörde unter Berufung auf § 29 GWB ein Missbrauchsverfahren ein, so muss das Fernwärmeversorgungsunternehmen nachweisen, dass die Abweichung von den Preisen des Vergleichsunternehmens sachlich gerechtfertigt ist. Dabei gilt diese Beweislastumkehr nur zugunsten der Kartellbehörden im kartellbehördlichen Verfahren. Für zivilkartellrechtliche Klagen von Verbrauchern, Verbraucher- und Wettbewerbsverbänden oder Unternehmen ist § 29 GWB damit von untergeordneter praktischer Bedeutung.


Da sich das Bundeskartellamt sowie die Landeskartellbehörden mit Verweis auf die besonderen Charakteristika des Fernwärmesektors mehrfach dafür ausgesprochen haben, die Anwendbarkeit des § 29 GWB auf den Bereich der Fernwärmeversorgung zu erstrecken, ist damit zu rechnen, dass die Kartellbehörden die nun auf den Fernwärmesektor erweiterten Möglichkeiten des § 29 GWB auch nutzen werden.

 

Gerade in der sich abzeichnenden Phase der Weitergabe von massiv gestiegenen Einkaufspreisen werden die Beschwerden bei den Kartellämtern zukünftig zunehmen. Im Zweifel eröffnet das Kartellamt bei Vorlage eines sog. Missbrauchsverdachts ein entsprechendes Verfahren. Grundsätzlich sind die Freiräume des Kartellamtes bei der Auswahl des „vergleichbaren Marktes” relativ hoch. Im Gegensatz dazu muss das marktbeherrschende Unternehmen eine ausführliche sachliche Rechtfertigung für das Preisniveau und ggf. die Angemessenheit der dahinterliegenden Kosten vorlegen.

 

Besonderes Augenmerk verdient hier der in § 31 Abs. 4 Nr. 3 GWB eingeführte Begriff der „rationellen Betriebsführung”. Damit haben die Kartellämter die Möglichkeit, gleichrangig zur bisherigen Missbrauchskontrolle des § 31 Abs. 4 Nr. 2 i.V.m. § 31 b GWB n.F. über das Vergleichsmarktprinzip die Höhe von Fernwärmeentgelten nach dem Kostenprüfungsansatz zu kontrollieren.

 

Ein etwaiger Preishöhenmissbrauch eines Fernwärmeversorgungsunternehmens könnte entsprechend missbräuchlich im Sinne des GWB sein, wenn es »Entgelte fordert, die die Kosten in unangemessener Weise überschreiten; anzuerkennen sind die Kosten, die bei einer rationellen Betriebsführung anfallen.1
Fraglich ist indes, was unter einer Überschreitung der Fernwärmekosten in unangemessener Weise im Sinne von § 29 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 GWB zu verstehen ist. Es muss dabei darum gehen, diejenigen Leistungen und die daraus resultierenden Kosten zu definieren, die im konkreten Einzelfall als vernünftig zur Wahrnehmung der originären Aufgabe eines Fernwärmeversorgungsunternehmens anzusehen sind. In einem zweiten Schritt gilt es alsdann, diese Leistungen monetär zu quantifizieren und dahingehend zu beurteilen, inwiefern die Leistungserbringung „vernünftig” erfolgt. Diese Beurteilung muss flankiert werden durch eine intensive Auseinandersetzung mit und Bewertung von strukturellen Besonderheiten der Fernwärmeversorgung, den Konsequenzen unternehmerischer Entscheidungen der Vergangenheit für den Fall, dass sich diese aus heutiger Perspektive als gerade nicht vernünftig herausstellen und der Klarstellung zahlreicher kalkulatorischer Fragestellungen zur Entgeltbildung von Fernwärmeversorgungsunternehmen, beispielsweise die Art der Berücksichtigung zukünftiger Entwicklungen wie zum Beispiel die Umstellung der Erzeugung.


Die kartellrechtlichen Prinzipien stoßen bei der Fernwärme an ihre Grenzen, wenn die zu untersuchenden Unternehmen technisch sehr unterschiedliche Ausgangssituationen haben, zum Beispiel unterschiedliche Energiequellen nutzen. Die Kosten der Wärmebereitstellung unterscheiden sich maßgeblich, je nachdem ob eine rein thermische Nutzung der Primärenergie oder  eine gekoppelte Strom- und Wärmenutzung stattfindet. Relevant ist auch die Art der genutzten Primärenergie. Je nachdem ob eine Erdgas- Heizöl- oder Biomassenutzung, eine Abwärmenutzung aus Industriebetrieben oder der Reststoffverwertung, die Nutzung von Biogas oder Tiefengeothermie stattfindet, hat eine große Bedeutung für etwaige Vergleiche.  Zusätzlich unterscheidet sich die Altersstruktur der Verteilungstechnologie bei vielen Versorgern deutlich. Weiterhin gibt es Unterschiede in den Temperaturen und Druckniveaus auf der Netzseite. Die hieraus resultierenden, abweichenden Kostenstrukturen können zu sachlich begründbaren Abweichungen im Kostenniveau und entsprechend auch beim Endkundenpreisniveau führen. Das im Fokus stehende Unternehmen muss allerdings auch einen entsprechenden Nachweis führen können. Auch das Endkundenpreisniveau kann unterschiedlich wertige Fernwärme beschreiben. So ist beispielsweise bei einigen Versorgern die Hausanschlussanlage beim Produkt „mit dabei”, bei anderen Konzepten muss der Kunde selbst die Übergabestation bezahlen. In diesem Zusammenhang ist auch der ausgewiesene Primärenergiefaktor oder der Anteil erneuerbarer Energie von zentraler Bedeutung. Hier können die Kundinnen und Kunden bei entsprechenden Fernwärmeversorgungsunternehmen konkrete Vorteile  z.B. bei den Baukosten oder im Bereich Fördermittel haben, die sich natürlich auch auf das Endkundenpreisniveau auswirken.
Aus methodischer Perspektive liegen mit Kennzahlenvergleichen und statistischen Effizienzmessmethoden bereits entsprechende Instrumente vor, die für diesen Diskussionsprozess genutzt werden können. Diese leben natürlich von der entsprechenden, möglichst breiten Datenbasis. Daneben sollten Fernwärmeversorgungsunternehmen die Preiskalkulation und Ermittlung der Preisgleitformel gut dokumentieren und regelmäßig prüfen, ob die Kosten- und Erlösstruktur zueinander passt.

Aufbauend auf der langjährigen Benchmarking-Erfahrung im Bereich der Wasserversorgung, hat Rödl & Partner bereits 2017 ein freiwilliges Benchmarking für Fernwärme entwickelt. Durch die direkte Gegenüberstellung mit anderen Marktteilnehmern werden Optimierungspotenziale aufgedeckt, aber auch eine Argumentationsgrundlage für etwaige kartellrechtliche Auseinandersetzungen erarbeitet. Daneben werden Möglichkeiten zur Modernisierung bestehender Strukturen erkennbar, langfristige Kosteneinsparungspotenziale identifizierbar und innovative und langfristige Versorgungslösungen umzusetzen. Die fortfolgende Grafik zeigt die Qualitätsmerkmale des Benchmarking im Bereich Fernwärme.

 


 

Abbildung 1: Qualitätsmerkmale Rödl & Partner Fernwärme Benchmarking

 

Benchmarking als Vorbereitung für Diskussionen mit den Kartellämtern

 

Als Wirtschaftsprüfungsgesellschaft agiert Rödl & Partner nach den Grundsätzen der Verschwiegenheit und Vertraulichkeit und gewährleistet höchste Datenschutzstandards. Eine Nutzung der Daten für den Vergleich mit Dritten erfolgt nur anonymisiert; lediglich die eigenen Daten sind für den Teilnehmer sichtbar.

Neben der Berechnung belastbarer Kennzahlen, welche die Grundlage bieten, die Fernwärmeversorgung langfristig effizienter zu gestalten, ermöglicht der Datenpool auch die Identifikation technischer Besonderheiten, welche ein vom Durchschnitt abweichendes Kostenniveau begründen können. Damit wird über den reinen Preisvergleich hinaus die gesamte Wertschöpfungskette der teilnehmenden Unternehmen in Betracht gezogen, um eine Grundlage für die Angemessenheit der Preise zu schaffen oder entsprechende Optimierungspotenziale aufzudecken.

 

Praxisbeispiel

 

Eine denkbare Konstellation soll im Folgenden an Hand eines Praxisbeispiels erläutert werden: Die Kostenposition „Erdgasbezug” zeigt bei der entsprechenden Analyse eine deutliche Überschreitung des Vergleichswertes der gesamten Vergleichsgruppe und muss entsprechend nachvollziehbar begründet werden. Im Folgenden wird eine anonymisierte Auswahl aus unseren Datenbanken nach der Höhe der Brennstoffkosten Gas analysiert. Das entsprechende Ergebnis ist in Abbildung 2 dargestellt:

Abbildung 2: Praxisbeispiel: Vergleich der Gasbezugspreise einer allgemeinen Vergleichsgruppe vor Clusterung

 

Bei der Auswertung des gesamten Datenbestandes liegen die Preise von sieben Versorger oberhalb des Grenzwerts. Eine eingehende Analyse der Versorger auf deren individuelle Situation zeigt auf, dass die untersuchten Versorger deutliche Strukturunterschiede haben und die Einkaufspreise nur unter Berücksichtigung dieser spezifischen Unterschiede verglichen werden dürfen.

Im Rahmen des Benchmarking ist eine Klassifizierung nach den kartellrechtlich relevanten Strukturunterschieden möglich: Nach entsprechender Analyse der teilnehmenden Unternehmen müssen die Unternehmen vor einem Kostenvergleich in zwei Gruppen (hier A und B) aufgeteilt werden. Bei dieser korrigierten Betrachtung sind noch ein bzw. zwei Versorger in den Gruppen A und B aufgerufen die Gaseinkaufskonditionen intensiv zu überprüfen.

 

Abbildung 3: Praxisbeispiel: Vergleich der Gasbezugspreise der Clustergruppe AAbbildung 3: Praxisbeispiel: Vergleich der Gasbezugspreise der Clustergruppe A

 

 

 

Abbildung 4: Praxisbeispiel: Vergleich der Gasbezugspreise der Clustergruppe B

 

Auf Basis der Erkenntnisse aus einer Teilnahme an einem Benchmarking können damit sowohl vor, als auch im Falle entsprechender externer Analysen die Bereiche identifiziert werden, in denen konkreter Handlungsbedarf für eine Untersuchung der Einkaufskonditionen besteht. Dabei sind neben den Kosten für den Energiebezug auch weitere Kostenpositionen, wie die Ausgaben für Öffentlichkeitsarbeit, Personal, Ausbau oder Reinvestitionen im Netz und Erzeugungsbereich betroffen.

Bislang hat die Fernwärmebranche über allgemein zugängliche Preisübersichten von freiwillig teilnehmenden Unternehmen über das Preisniveau aufgeklärt. Auf Basis der neuen Rechtslage wird diese Praxis angepasst werden müssen.

Das diesjährige Benchmarking in der Fernwärme auf Basis der Vergleichszahlen des Jahres 2021 wurde vor kurzem gestartet. Im Rahmen verschiedener, individueller Auswertungen kann ein 360°-Vergleich stattfinden. Neben über 50 verschiedenen Kennzahlen steht dieses Jahr das Thema „Dekarbonisierung” im Fokus. Zu diesem Schwerpunkt gibt es gesonderte Kennzahlen und Vergleiche mit den anderen vergleichbaren Teilnehmenden.

 

 

 

 

1 Zum Nebeneinander von Vergleichsmarktkonzept und Kostenkontrolle hat sich bereits vor Inkrafttreten des novellierten GWB am 30. 06. 2013 auch bereits der BGH geäußert, vgl. hierzu BGH v. 15.05.2012, KVR 51/11

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Benjamin Richter

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