Höhere Gewalt in der Energieversorgung – Neue Anwendungsfragen für ein altes Rechtsinstitut

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veröffentlicht am 25. März 2020; Aktualisiert am

 

Höhere Gewalt – Was ist das ?

Krankheiten, noch dazu in der Form von Epidemien oder sogar Pandemien gelten als geradezu klassisches Beispiel „höherer Gewalt”. Dabei handelt es sich um einen rechtshemmenden Einwand, der an sich gesetzlich oder vertraglich vorgesehenen Sanktionsfolgen für Schäden entgegenstehen kann. Werden deshalb alle Energielieferanten, Netzbetreiber und Energieabnehmer jetzt unter Verweis auf die Corona-Krise von Leistungs-, Schadensersatz- und sonstigen gesetzlichen oder vertraglichen Pflichten befreit ?

 

Der Rechtsbegriff der höheren Gewalt ist zwar an verschiedenen Stellen gesetzlich vorgesehen (z.B. bei der Verjährungshemmung, § 206 BGB, Rücktritt von Pauschalreise, § 651h Abs. 3 BGB, § 7 Abs. 2 StVG, etc.), ohne dass jedoch der Begriff einheitlich gesetzlich definiert wäre. Die Rechtsprechung versteht deshalb unter höherer Gewalt ein von außen kommendes, unverschuldetes und unabwendbares Ereignis, das der Anspruchsverpflichtete selbst bei äußerster Sorgfalt nicht vermeiden konnte. Diese relativ klare Formel wird jedoch durch eine rechtsgebietsspezifische Fallrechtsprechung nach dem Kriterium, ob das Risiko höherer Gewalt der betrieblichen oder persönlichen Sphäre einer Partei zuzuordnen ist, eingeschränkt. Damit ist im Einzelfall kaum vorherzusehen, ob ein Ereignis höherer Gewalt vorliegt oder nicht. Kautelarjuristen bemühen sich deshalb in sog. „Höherer Gewalt-Klauseln“ umfassend zu definieren, welche Ereignisse unter den Begriff der höheren Gewalt einbezogen werden sollen.

 

Wie so oft gilt deshalb auch für die Corona-Krise: Es kommt auf den Einzelfall an, dass heißt insbesondere auf das betroffene Rechtsgebiet, die Vertragsgestaltung und die spezifischen Risikosphären der jeweiligen energiewirtschaftlichen Gestaltung.

 

Höhere Gewalt in der Energiewirtschaft

In der Energiewirtschaft spielt das Rechtsinstitut der höheren Gewalt insbesondere in folgenden Bereichen eine Rolle:

  • Energielieferbefreiung des Energielieferanten und Netzanschlussunterbrechung des Netzbetreibers (§ 6 Abs. 2 Nr. 3 StromGVV, GasGVV, § 16 Abs. 1 Satz 2 NAV/NDAV, § 5 Abs. 1 Nr. 2 AVBFernwärmeV)
  • Energieabnahme- und Entgeltzahlungsbefreiung des Energieabnehmers, insbesondere bei Mindestabnahmeverpflichtungen oder verbrauchsunabhängigen Entgelten (z.B. Grund- oder Leistungsentgelt)
  • Vergütungssanktionen für EEG- und KWKG-Anlagenbetreiber bei Verstoß gegen Meldefristen und – Pflichten (z.B. § 52 Abs. 1 Nr. 1 – 3, Nr. 5, Abs. 2 Nr. 2 EEG 2017, § 13a KWKG 2017)
  • Nachsichtgewähr bei Verstoß gegen Präklusionsfristen, z.B. bei der Antragstellung für stromkostenintensive Unternehmen (§ 66 EEG 2017), Registrierungspflicht des EEG-Anlagenbetreibers (§ 22 Abs. 2 Nr. 2b) EEG 2017 i.V.m § 4 ARegV) oder Gebotsabgabe im EEG- und KWK-Ausschreibungsverfahren (z.B. § 30a Abs. 2 EEG 2017, § 8 Abs. 2 KWKAusV)
  • Befreiung des Netzbetreibers von Schadensersatzansprüchen aus verzögertem Netzanschluss (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 KWKG 2017, § 8 Abs. 1 EEG 2017)
  • Entfall von energiesteuer- und abgabenrechtlichen Privilegierungen für stromkostenintensive Unternehmen bei Unterschreitung von Schwellenwerten (z.B. § 64 Abs. 1 Nr. 1 EEG 2017, § 19 StromNEV, etc.)

 

Risikosphären der Coronakrise

Dabei lässt sich für die Energiewirtschaft schon jetzt sagen, dass nicht jede Leistungspflicht alleine mit einem Hinweis auf die Corona-Krise entfallen kann. Insofern steht schon die für Schadensersatzansprüche regelmäßig erforderliche Kausaliät zwischen Schadensereignis und Schaden einem pauschalen Einwand der höheren Gewalt entgegen. Vielmehr ist anerkannt, dass auch nur ein geringes Maß an Verschulden jeden höhere Gewalt Einwand entfallen lässt. Vor diesem Hintergrund spielt insofern sicherlich eine Rolle, wie konkret ein Unternehmen von der Pandemie erfasst wird. So ist es sicherlich ein Unterschied, ob ein Unternehmen von konkreten CoVid19-Erkrankungsfällen erfasst worden ist oder nur vorbeugende Maßnahmen der sozialen Distanzierung getroffen worden sind. Dabei spielt insbesondere eine Rolle, ob Leistungseinschränkungen auf eine unabhängige Entscheidung des Unternehmens oder behördliche Anordnungen zurückzuführen sind. Schließlich wird auch bei einer weitgehenden Unvermeidbarkeit von Leistungseinschränkungen, wie bei behördlichen Schließungsverfügungen oder bei krankheitsbedingten Ausfällen einer Vielzahl von Mitarbeitern noch ein Sorgfaltsmaßstab bestehen, wie Schäden durch Gegenmaßnahmen wie z.B. Kundeninformationen, Heimbüroarbeitsplätze, Vertretungsregelungen, angemessenes Krisenmanagement, etc. zumindest gemindert werden können (sog. „Schadensminderungspflicht” nach § 254 BGB).

 

Fazit

Mit der Corona-Krise hat das Rechtsinstitut der höheren Gewalt aktuelle Bedeutung erlangt. Dabei stehen wir mit der Konkretisierung des schillernden Begriffs – noch dazu für die Vielzahl der unterschiedlichen Anwendungsfälle in der Energiewirtschaft – noch ganz am Anfang. Die nächsten Wochen werden hier sicherlich vielfach Gelegenheit geben, sich vertieft mit dem Rechtsinstitut auseinanderzusetzen und hierbei Wege und Mittel zur Bewältigung der Krise zu finden. Gerne stehen wir Ihnen hierbei auch in der Corona-Krise kurzfristig zur Verfügung.

 

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