Novellierung des Straßenverkehrsrechts: Leichtigkeit des Verkehrs hat weiterhin Vorrang vor Umweltzielen

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veröffentlicht am 18. Oktober 2023

 

Sowohl das Straßenverkehrsgesetz (StVG) als auch die Straßenverkehrsordnung (StVO) werden derzeit novelliert (wir berichteten hier und hier). Während die Debatte zum StVG im Bundestag noch nicht abgeschlossen ist, wurde der Weg für die überarbeitete StVO durch den Beschluss des Bundeskabinetts vom 11.10.2023 bereits Richtung Bundesrat geebnet. Die Beratung im Bundesrat erfolgt voraussichtlich erst Ende November, da die StVO auf dem StVG aufbaut und auf die neu in das StVG eingefügten Regelungen verweist.

 

Inhaltlich geht es darum, dass neben der Leichtigkeit und Sicherheit des Verkehrs auch die folgenden Anordnungsgründe bei straßenverkehrsrechtlichen Maßnahmen berücksichtigt werden können:

  • Klima- und Umweltschutz
  • Gesundheitsschutz
  • städtebauliche Entwicklung


Länder und Kommunen sollen so mehr Entscheidungsspielräume erhalten, um auf die verkehrliche Realität in ihrem Einflussbereich reagieren zu können. Auf die markantesten Regelungen soll hier ein Blick geworfen werden.

 

NEUE ZIELE EINGeFÜGT, JEDOCH NICHT „ECHT” GLEICHwertigkeit

Grundsätzlich haben die genannten neuen Ziele Eingang in das StVG gefunden. Kritisiert wird jedoch, dass bei Maßnahmen, welche die neuen Ziele verfolgen, immer auch die „Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs” berücksichtigt werden muss, sodass die eigentlich propagierte Gleichwertigkeit der Ziele nicht wirklich besteht.

 

Die StVO wird diese Zielsetzung des StVG nach derzeitigem Stand so umsetzen, dass jeweils ein prognostischer Vorher-Nachher-Vergleich hinsichtlich der Auswirkungen auf die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs sowie auf den neuen Anordnungsgrund (z.B. Gesundheitsschutz) aufgestellt werden muss, um diese dann gegeneinander abzuwägen.

 

Der Verordnungsbegründung zufolge zielt der Aspekt der Leichtigkeit des Verkehrs darauf, dass Verkehrsteilnehmer möglichst wenig eingeschränkt werden. Eine Gefährdung der Leichtigkeit des Verkehrs liegt vor, wenn mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass der Verkehr in seinem Ablauf behindert wird. Dabei kommt es auf die Funktions- und Leistungsfähigkeit des Straßenverkehrs insgesamt an, so dass auch die Inkaufnahme von Nachteilen bestimmter Verkehrsteilnehmer gerechtfertigt sein kann.


Hier wird sich zeigen, welcher Gruppe von Verkehrsteilnehmern eine Inkaufnahme von Nachteilen zugemutet wird. Eine Befürchtung ist, dass vor allem der Rad- und Fußverkehr betroffen sein werden.

 

NEUE REGELUNGSMÖGLICHKEITEN

Basierend auf den neuen durch das StVG definierten Zielen sieht die StVO folgende neue Regelungsmöglichkeiten vor:

  • Einrichtung von Sonderfahrstreifen und bevorrechtigter Lichtzeichenregelung für Linienbusse
  • Einrichtung von Sonderfahrstreifen für verkehrssichernde/verkehrsregelnde Maßnahmen
  • Parkraummanagement
  • Erweiterung der Anordnungsmöglichkeiten für Tempo 30
  • Bereitstellen angemessener Flächen für den Fuß- und Radverkehr
  • Antragsrecht der Gemeinde

 

EINRICHTUNG VON SONDERFAHRSTREIFEN UND BEVORRECHTIGTER LICHTZEICHENREGELUNG FÜR LINIENBUSSE

Die Straßenverkehrsbehörden sollen Sonderfahrstreifen und Bevorrechtigungen bei Ampeln einrichten können, um den Linienverkehr besser vor Störungen zu schützen und einen geordneten und zügigen Betriebsablauf im ÖPNV zu gewährleisten.

 

EINRICHTUNG VON SONDERFAHRSTREIFEN FÜR VERKEHRSREGELNDE MAssNAHMEN

Gestattet werden soll die Einrichtung von Sonderfahrstreifen für Erprobungen (auch in Verbindung mit den Bus-Sonderstreifen). Damit soll die Straßenverkehrsbehörde unabhängig von dem Bestehen einer Gefahrenlage festlegen können, dass nur bestimmte Mobilitätsformen (z.B. elektrisch betriebene und/oder mit mehreren Personen besetzte Fahrzeuge) zu bestimmten Zeiten den Sonderstreifen nutzen dürfen.

 

Auch Bussonderstreifen und Fußgängerüberwege sollen unabhängig vom Vorliegen einer Gefahrenlage angeordnete werden dürfen.

 

Kritisiert wird, dass eine mögliche Öffnung von Sonderstreifen des ÖPNV für andere Mobilitätsformen, den ÖPNV ausbremst. Befürchtet wird außerdem, dass kaum kontrolliert werden kann, ob alle Fahrzeuge den Anforderungen an die Nutzung des Sonderstreifens (z.B. Antriebsform oder Besetzungsgrad) entsprechen.

 

PARKRAUMMANAGEMENT

Die Straßenverkehrsbehörde soll nicht nur bei bestehendem, sondern auch bereits bei drohendem Parkraummangel über das Werkzeug des Anwohnerparkens regulierend eingreifen können, um einen erheblichen Parkdruck schon nicht eintreten zu lassen. Zusätzlich soll das Werkzeug des Anwohnerparkens auch ohne vorhandenen oder drohenden Parkraummangel als reines städtebaulich-verkehrsplanerisches Instrument genutzt werden können, sofern die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs berücksichtigt sind.

 

Kritisiert wird, dass keine flächendeckende Parkraumbewirtschaftung eingeführt werden soll, sondern es weiterhin einiger bürokratischer Anstrengungen bedarf.

 

Außerdem wird vorgeschlagen, gebietsansässige Unternehmen/Organisationen/Institutionen den Anwohnern gleichzustellen und auch diesen eine Parkbevorrechtigung zu gewähren. Darüber hinaus wird die Möglichkeit gefordert, Gebühren aus sozialen Gründen ermäßigen zu können, und ein digitales Parkraummanagement (z.B. durch sogenannte „Scan-Fahrzeuge“) zu regeln. Ebenfalls gefordert wird, dass die Gemeinden die Gebührenordnung in Satzungsform (und nicht nur als Rechtsverordnung) erlassen können sollen, wenn ihnen die Ermächtigung zum Erlass übertragen worden ist.

 

ERWEITERUNG DER ANORDNUNGSMÖGLICHKEITEN FÜR TEMPO 30

Die Straßenverkehrsbehörde soll „Lücken” (bis zu 500 m) zwischen zwei Abschnitten mit Tempo 30 Geschwindigkeitsbeschränkung schließen dürfen.

 

Außerdem soll im unmittelbaren Bereich von Fußgängerüberwegen, Spielplätzen und hochfrequentierten Schulwegen eine Geschwindigkeitsbeschränkung von Tempo 30 angeordnet werden können.

 

Kritisiert wird, dass die Anordnung bei Schulwegen nur möglich ist, wenn diese „hoch frequentiert“ sind, sodass an dieser Stelle die bürokratischen Hürden der Definition und gerichtsfesten Feststellung der hohen Frequentierung genommen werden müssen.

 

BEREItsTELLEN ANGEMESSENER FLÄCHEN FÜR DEN FUss- UND RADVERKEHR

Die Straßenverkehrsbehörde soll „angemessene” Flächen für den Fuß- und Radverkehr bereitstellen können. Die Flächen müssen laut Verordnungsbegründung angemessen sein, d. h. hier muss die Straßenverkehrsbehörde konkret begründen, inwieweit durch die Bereitstellung der Flächen die anderen Verkehrsteilnehmer nicht unangemessen beschränkt werden. Die konkret vorliegende Fläche muss also zwischen den einzelnen Verkehrsträgern angemessen aufgeteilt werden.

 

Kritisiert wird, dass die „Angemessenheits-Anforderung” dazu führt, dass die Behörde nun vorab aufwändige Gutachten erstellen muss, um die Angemessenheit zu beweisen.

 

ANTRAGSRECHT DER GEMEINDE

Den Gemeinden soll die Möglichkeit gegeben werden, bei der nach Landesrecht zuständigen Behörde u.a. die oben genannten Anordnungen (§ 45 Abs. 1 bis Abs. 1i StVO), also z.B. die Einrichtung von Sonderfahrstreifen für Linienbusse zu beantragen.

 

Kritisiert wird, dass den Gemeinden die Anordnungskompetenz nicht selbst zugeschrieben wird, sondern sie die gewünschten Maßnahmen nur beantragen können.

 

Bewertung für die Praxis

Die Beratungen im Bundesrat stehen noch aus, sodass noch Änderungsmaßgaben möglich sind. Große Änderungen wären jedoch als Überraschung einzustufen.

 

Auch wenn der Wunsch nach flächendeckendem Tempo-30 und flächendeckender Parkraumbewirtschaftung unerfüllt geblieben ist und offenbar auch der Mut und der Wille gefehlt hat, die Kommunen mit umfangreichen Kompetenzen zur Regelung ihrer Verkehre zu ermächtigen, sind doch einige Werkzeuge hinzugekommen, mit denen sich der Verkehr vor Ort optimieren lässt. Die neuen Möglichkeiten sollten intensiv erprobt und evaluiert werden, um früh auf erneuten Anpassungsbedarf des Straßenverkehrsrechts hinzuweisen.

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