Nachgehakt: Flexibles Bussystem im Reallabor Schorndorf

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veröffentlicht am 20. Februar 2019

 

Im Rahmen des vom baden-württembergischen Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst geförderten Projekt wurde ein bedarfsorientiertes Bussystem entwickelt und in der Stadt Schorndorf erprobt. Die flexiblen Busse konnten per App, Webseite und Telefon gebucht werden und fuhren ausschließlich bei Bedarf. Das Reallabor Schorndorf wurde unter anderem vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) begleitet. Wir haben uns mit Laura Gebhardt, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Verkehrsforschung des DLR, zu dem kürzlich abgeschlossenen Projekt ausgetauscht.


RP: Das Projekt „Reallabor Schorndorf” wurde zum 31. Januar abgeschlossen. Was sind die wichtigsten Erkenntnisse zu den Anforderungen an flexible Bussysteme?

 

Der Testbetrieb hat die Vorteile eines Bedarfsbusses aufgezeigt. Hierzu zählen die neuen umsteigefreien Verbindungen, die Vermeidung von Umwegen und die Reduzierung von Lärm, Schadstoffen und Treibhausgasemissionen. Zudem hat sich gezeigt, dass die einzelnen Nutzergruppen sehr unterschiedliche Anforderungen haben. Grundsätzlich können wir sagen, dass eine Veränderung von Mobilitätsroutinen viel Zeit benötigt und einiges von den Beteiligten abverlangt. Darüber hinaus können wir schlussfolgern, dass Information und Kommunikation von großer Bedeutung sind und auch eine gewisse Partizipation die Akzeptanz eines solchen Vorhabens deutlich erhöhen kann. Eine weitere Erkenntnis ist, dass zwar der Großteil der Nutzer über die App buchte, allerdings nicht alle (65 Prozent), sodass die Möglichkeit einer App-basierten Buchung alleine auch als Zugangsbarriere gesehen werden kann.

 

RP: Die Bedarfsbusse wurden als Ersatz für wenig ausgelastete Linienbusse eingesetzt. Worin sehen Sie die kritischen Erfolgsfaktoren bei einem Bedarfsbus, der den bestehenden öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) ergänzen soll?

 

Bei uns ging es nicht nur um eine Ergänzung, wir haben zwei Linien komplett ersetzt. Bei einer Ergänzung läuft man Gefahr, den eigentlichen ÖPNV zu marginalisierten, somit entsteht mehr Verkehr wie beispielsweise in San Francisco mit Lyft / Uber zu erkennen ist.

 

RP: War über die Smartphone-App die Buchung einer durchgängigen Reisekette möglich, in der sowohl die fahrplangebundenen, als auch die flexiblen Verkehrsmittel berücksichtigt wurden?

 

Die Verbindungsauskunft hat sowohl den Bedarfsbus als auch fahrplangebundene Verkehrsmittel wie beispielsweise die S-Bahn berücksichtigt. Gebucht werden konnte nur der Bedarfsbus, da ja für die anderen Verkehrsmittel auch keine Bedarfsbuchung notwendig ist. Der Anschluss an die S-Bahn wurde mit dem Bedarfsbus angeboten und sichergestellt.

 

RP: In aktuellen Pilotprojekten wird immer wieder der Ausdruck „on demand” in Zusammenhang mit flexiblen Bedienformen verwendet. Wie spontan war eine Buchung der Bedarfsbusse in Schorndorf möglich? Sehen Sie ggf. auch Vorteile in einer gewissen Vorlaufzeit und somit auch Planbarkeit der Abfahrtszeit für den Nutzer?

 

Mit der App konnte der Fahrgast bis fünf Minuten vor Abfahrt des Busses am Bahnhof buchen. Zu diesem Zeitpunkt wurde die Busroute „eingefroren”, um den Fahrgästen eine gewisse Planungssicherheit zu bieten. Erste empirische Erfahrungen von unterschiedlichen on-demand Projekten dieser Art zeigen jedoch, dass eine zu zeitnahe Bedienung (also etwa in drei Minuten) den Fahrgast unter Zeitstress setzt.

 

RP: Wie viele Fahrgäste nutzten den Bedarfsbus insgesamt?

 

Insgesamt beförderten die beiden im Projekt eingesetzten Kleinbusse mehr als 10.000 Fahrgäste und legten über 20.000 Kilometer zurück. Durchschnittlich nutzten jedes Wochenende rund 250 Personen das Angebot. Zwei Drittel davon bestellten den Bus mittels Smartphone-App, ein Drittel nutzte den telefonischen Bestellservice. Alle weiteren Optionen – Bestellung über die Website oder in teilnehmenden Geschäften, Restaurants und Cafés – wurden nur selten in Anspruch genommen.
Im Vergleich zum Liniensystem konnten etwa zehn Prozent der Fahrzeugkilometer und gut 20 Prozent der möglichen Umläufe komplett eingespart werden, weil keine Buchungen vorlagen. Da kleinere Busse im Einsatz waren, ließ sich der Kraftstoffverbrauch um mehr als die Hälfte senken. Gerade das Vermeiden von Leerfahrten haben viele Schorndorferinnen und Schorndorfer in Umfragen sehr positiv bewertet.

 

RP: Gegen Ende der Pilotierung gab es Einschränkungen hinsichtlich der Betriebszeiten des Bedarfsbusses. Was schlussfolgern Sie aus der sich anschließenden Entwicklung?

 

Es hat sich gezeigt, dass die Stärken eines bedarfsgerechten Systems vor allem zu Schwachlastzeiten zum Tragen kommen. Zu Zeiten starker Nachfrage, beispielsweise für Arbeitswege an Werktagen, hat der Linienbetrieb durchaus Vorteile.

 

RP: Wie urteilten die Fahrgäste über den Bedarfsbus?

 

Nutzerbefragungen verzeichneten eine positive Entwicklung: Waren im Mai 2018 rund 34 Prozent zufrieden oder sehr zufrieden mit dem Bedarfsbus, stieg die Zahl im Oktober 2018 auf 50 Prozent. Deutlich zeigte sich bei den Auswertungen ein Generationensplit: Jüngere Nutzerinnen und Nutzer gaben an, mit dem System besser zurecht zu kommen und zufriedener zu sein als ältere.

 

RP: Ist eine dauerhafte Implementierung des flexiblen Bussystems in Schorndorf geplant?

 

Derzeit nicht. Der Testbetrieb war von Projektbeginn an als zeitlich befristet geplant. Das "Reallabor Schorndorf“ war eines von sieben Forschungsprojekten, die gefördert vom baden-württembergischen Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst über drei Jahre zukunftsfähige Lösungen für Herausforderungen in Ballungsräume erprobt haben. Mit Ende des Projektes endet auch der Testbetrieb.

 

RP: Aktuell überlegen viele Kommunen, einen bedarfsorientierten Ridesharing-Dienst in ihr bestehendes Verkehrssystem zu integrieren. Was würden Sie interessierten Kommunen mit auf den Weg geben?

 

Ausprobieren lohnt sich. Im Labor bzw. in der Theorie gestaltet sich einiges anders als in der tatsächlichen Praxis. Die Einbindung der Zivilgesellschaft ist von großer Bedeutung  und  hilft das System zu verbessern  bzw. an die Anforderungen der Nutzerinnen und Nutzer anzupassen.

 

RP: Vielen Dank für das Gespräch.

 

Dieses Interview führten Frau Laura Gebhardt, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Verkehrsforschung des Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und Nicole Biedermann, Koordinatorin Smart Mobility im Kompetenz-Center Mobilität bei Rödl & Partner.

 

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