Das Gebot der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit der öffentlichen Verwaltung als untreuerelevanter Maßstab

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​veröffentlicht am 6. August 2021; zuletzt aktualisiert am 31. Áugust 2021; Autoren: Norman Lenger-Bauchowitz, Sebastian Heinke

 

Worauf öffentliche Einrichtungen der Gesundheits- und Sozialwirtschaft künftig achten sollten!

 

Die Gesundheits- und Sozialwirtschaft gerät immer wieder in den Fokus von staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren. Egal ob Untreue durch Geschäftsführer und Vorständen von Krankenhäusern oder Abrechnungsbetrügereien gegenüber Kostenträgern. Eine weitere Fallgruppe, die – wie eine aktuelle Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Strafsachen zeigt – derzeit für Aufsehen sorgt, sind Entscheidungen über Vorstands-, respektive Geschäftsführervergütungen. Der dahinterstehende Aspekt ist jedoch von eigentlicher Relevanz. Nämlich das grundsätzliche Gebot der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit.

 

Ausgangssituation 

Die Angeklagten wurden zum 01.05.2005 zu Vorstandsmitgliedern der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Berlin gewählt. Ihre Dienstverträge beinhalteten die Vereinbarung, dass sie ein Übergangsgeld (Vergütung nebst Zuschüsse) für die Dauer von zwölf Monaten bei Beendigung ihrer sechsjährigen Tätigkeit erhalten würden, sofern sie im Anschluss an ihre Amtszeit wieder als selbständige Ärzte tätig sind. Aus am 09.05.2006 veröffentlichten Arbeitspapieren der Aufsichtsbehörden der Sozialversicherungsträger ging hervor, dass eine Zahlung von Übergangsgeld allenfalls für eine Dauer von sechs Monaten vertretbar sei.

 

Diese Arbeitspapiere sind zwar für die KV nicht rechtsverbindlich, aber als Wegweiser dessen zu verstehen, welche Vertragsgestaltungen die Rechtsaufsichtsbehörden akzeptieren würden. Vor diesem Hintergrund kündigten die Angeklagten an, für die Anfang 2011 stattfindende Vorstandswahl nur dann erneut zu kandidieren, wenn ihnen das Übergangsgeld in bisheriger Höhe erhalten bleibe. Am 27.01.2011 unterzeichneten die Angeklagten vor der entsprechenden Vorstandswahl eine Änderungsvereinbarung, nach der sie das Übergangsgeld mit Ablauf der Vertragslaufzeit ausgezahlt bekommen, ohne dass es (was die ursprüngliche Vereinbarung vorgesehen hatte) der Beendigung der Vorstandstätigkeit und der Wiederaufnahme der Praxistätigkeit kommen musste.

 

Der Angeklagte und gleichzeitig Vorsitzende der insoweit allein entscheidungsbefugten Vertreterversammlung unterzeichnete die Änderungsvereinbarung, hat die Vertreterversammlung hierüber aber nicht informiert. Zudem unterzeichneten nach der Wiederwahl die Angeklagten am 10.03.2011 die neuen Dienstverträge. Diese enthielten eine Erhöhung der Jahresvergütung um 12.000 Euro (auf 195.000 Euro) und ein entsprechend der Arbeitspapiere der Aufsichtsbehörden auf sechs Monate Laufzeit beschränktes Übergangsgeld, ohne, dass die Wiederaufnahme der Praxistätigkeit erforderlich war.

 

Die Mitglieder der Vertreterversammlung erfuhren in ihrer Sitzung am 24.03.2011 erstmals von der Änderungsvereinbarung und genehmigten zunächst nur den neuen Dienstvertrag. Die Abstimmung über die Änderungsvereinbarung wurde auf den 05.05.2011 verschoben. Hier genehmigt die Vertreterversammlung dann auch die Änderungsvereinbarung und die bereits erfolgte Auszahlung der Übergangsgelder.

 

Der Prozessverlauf 

Das LG Berlin hatte die Verantwortlichen der KV vom Vorwurf der Untreue freigesprochen und ein pflichtwidriges Handeln verneint. Mangels eingeräumter Vertretungsmacht des Vorsitzenden der Vertreterversammlung würde die Änderungsvereinbarung nicht den Missbrauchstatbestand der Untreue erfüllen. Eine Treuepflichtverletzung wurde vom LG ebenfalls verneint, weil keine Pflichtwidrigkeit erkennbar sei und insb. nicht gegen das Gebot der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit verstoßen wurde. Zwar wurde eine Vermögensbetreuungspflicht des Vorsitzenden der Vertreterversammlung angenommen, jedoch sei der KV kein Vermögensnachteil entstanden, weil der Auszahlung der Übergangsgelder eine schadensausgleichende Kompensation gegenübergestanden habe.

Der Fünfte Strafsenat des BGH hat am 24.11.2020 (BGH 5 StR 553/19) diese Freisprüche aufgehoben, weil das LG die für die strafrechtliche Bewertung maßgeblichen Umstände aus dem Blick gelassen und bei der Auslegung der getroffenen Vereinbarungen unzureichend berücksichtigt habe. Vielmehr erschiene die Gewährung des Übergangsgelds vorliegend als eine Leistung ohne Gegenleistung, die einen Verstoß gegen das Gebot der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit öffentlicher Verwaltung nahelege.

 

Das Gebot der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit als untreuerelevanter Maßstab

Wann liegt ein Verstoß gegen das Gebot der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit der öffentlichen Verwaltung, wann eine strafbare Untreue vor? Wie bestimmt die Rechtsprechung den Beurteilungsspielraum der Verwaltung und wo liegt die Grenze? Ein kürzlich zu einer derartigen Fallkonstellation ergangenes BGH-Urteil (BGH 5 StR 553/19) bietet Anlass dazu, sich hiermit detailliert auseinanderzusetzen. Nachfolgend finden Sie die für Sie relevanten Antworten.

Die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit lassen sich in der Weise definieren, als dass mit gegebenen Mitteln der größtmögliche Nutzen (Maximalprinzip = Wirtschaftlichkeitsprinzip) oder ein bestimmter Nutzen mit den geringst möglichen Mitteln (Minimalprinzip = Sparsamkeitsgrundsatz) erreicht werden soll. Beide Prinzipien führen zu einer günstigen Kosten-Nutzen-Relation. Kurz: Der Staat darf nichts „verschenken”. Ziel ist es, bei der Verwendung von Haushaltsmitteln das Maß des Notwendigen nicht zu überschreiten.

Da es sich bei den Begriffen Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit um sog. unbestimmte Rechtsbegriffe handelt bedürfen sie einer gewissen Auslegung.

Zwar räumt der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit der Verwaltung kein direktes Ermessen bzw. Wahlrecht unter verschiedenen Möglichkeiten ein, wenn es im Einzelfall nur eine richtige Entscheidung gibt. Dies würde jedoch voraussetzen, dass sich jede Entscheidung eindeutig als „richtig” oder „falsch” beurteilen ließe. Gerade der mit der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben angestrebte Nutzen lässt sich jedoch nicht in monetären Größen ausdrücken. Diese sachbedingte Schwierigkeit einer Erfolgskontrolle muss bei der praktischen Umsetzung des Gebots deshalb dazu führen, dass den einzelnen Verwaltungsträgern bei der Beurteilung der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit einer Maßnahme ein Rahmen belassen werden muss, der durch das Selbstverwaltungsrecht noch verstärkt wird.

Zu berücksichtigen ist, dass das Gebot der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit den gesamten Bereich öffentlicher Verwaltung überspannt, seinen Niederschlag insbesondere im Sozial- und Gesundheitsrecht gefunden hat (z.B. § 3 SGB II, § 69 SGB IV, § 13 SGB VI) und einen untreuerelevanten Maßstab darstellt. Das bedeutet Verstöße gegen das Gebot können den Straftatbestand der Untreue erfüllen. In einem solchen Falle wird durch pflichtwidriges Handeln des Täters die Zuordnung der öffentlichen Mittel so verändert, dass das Vermögen des Geschäftsherrn bei wirtschaftlicher Betrachtung gemindert ist. 

 

Konsequenzen 

Einem Träger der öffentlichen Verwaltung ist es im Unterschied zu einem privaten Unternehmer nicht freigestellt, mit Geldern beliebig zu verfahren. Allerdings hat der BGH in seiner Entscheidung herausgestellt, dass für die Mittelverwendung ein weiter Beurteilungs- und Ermessensspielraum eröffnet ist.

Bei der Beurteilung von „Investitionen” in ein Vorstandsmitglied kommt es auf die angestrebten Verwaltungsziele an, d.h. welche Aufwendungen der Verwaltungsrat aufzuwenden (Mittel, Aufwendungen) bereit ist, um einen Vorstand zu vergüten, der seinen Vorstellungen (Ziel, Nutzen) entspricht. Wurden die Kosten einer bestimmten verwaltungsrechtlichen Option eingeschätzt, ist diese mit anderen Optionen zu vergleichen. Nur so kann die Zweck-Mittel-Relation bewertet werden. Hierbei darf die Qualität der Aufgabenerfüllung keinesfalls außer Acht gelassen werden. Die Grundsätze bedeuten also nicht, dass z.B. immer der günstigste Anbieter oder das billigste Angebot angenommen werden muss. Das Gebot der Wirtschaftlichkeit fordert eine möglichst sparsame Verwaltung, jedoch ohne Qualitätseinbußen bei Ausführung der Verwaltungsaufgabe selbst.

So können – um bei dem konkreten Fall zu bleiben – finanzielle Zuwendungen an Mitarbeiter nach den BGH-Grundsätzen vom Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit gedeckt sein, wenn sie im Interesse einer qualitativ befriedigenden und effektiven Aufgabenerfüllung geleistet werden.


Insoweit ist die Rechtslage vergleichbar mit privatrechtlichen Sonderzahlungen. Bei diesen wird eine treupflichtwidrige Zuwendung des anvertrauten Gesellschaftsvermögens verneint, wenn die Zahlung einen zukunftsbezogenen Nutzen zum Wohle des Unternehmens aufweist (vgl. BGH, Urteil
vom 21. Dezember 2005 – 3 StR 470/04).

Eine pflichtwidrige Verletzung des Sparsamkeitsgebots liegt laut BGH daher regelmäßig erst dann vor, wenn eine sachlich nicht gerechtfertigte und damit unangemessene Gegenleistung gewährt wird, was sich einer generalisierenden Betrachtungsweise entzieht. Die Rechtfertigungsgründe müssen umso gewichtiger sein, je mehr vom Normalmaß abgewichen wird.

Der BGH hat einen Verstoß gegen den Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit deshalb bei Zuwendungen angenommen, die keine Gegenleistung zum Gegenstand haben und auch nicht durch die Verfolgung legitimer öffentlicher Aufgaben als gerechtfertigt angesehen werden können, so, wie es sich offenbar im Falle der an die ehemaligen Vorstandsmitglieder der KV Berlin gezahlten Übergangsgelder dargestellt hat.

 

Lösungsansatz zur Vermeidung einer Strafbarkeit 

Öffentliche Einrichtungen der Gesundheits- und Sozialwirtschaft sind an das Gebot der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit der öffentlichen Verwaltung gebunden. Sie müssen ihr Ermessen sorgfältig ausüben. Bei der Mittelverwendung gibt es bedauerlicherweise keine generalisierende Betrachtung oder eine starre Grenze dessen, was wirtschaftlich angemessen ist und was nicht.


Wegen der sachbedingten Schwierigkeit einer Erfolgskontrolle überlässt der BGH der Verwaltung einen verhältnismäßig weiten Beurteilungs- und Ermessensspielraum. Den können Sie nutzen! Dieser darf jedoch keinesfalls als „Freifahrtschein” für unangemessene Ausgaben oder Zuwendungen verstanden werden. Über die jeweilige Frage, ob z.B. die Höhe einer Ausgabe oder Zuwendung im konkreten Fall gerechtfertigt ist, hilft Ihnen die Einholung einer Stellungnahme (Legal Opinion) in der ein externer Spezialist Ihnen bescheinigt, ob die jeweilige Ausgabe einen zukunftsbezogenen Nutzen aufweist bzw. der Verfolgung legitimer öffentlicher Aufgaben dient. Liegt Ihnen eine entsprechende Stellungnahme eines externen Dritten vor, kann der Vorsatz im Rahmen eines Untreuevorwurfs entfallen, da Sie alles Zumutbare unternommen haben, die jeweilige Ausgabenentscheidung auf eine fundierte objektive Grundlage zu treffen.

Sprechen Sie uns gerne unverbindlich an, wenn Sie insoweit Hilfe benötigen. Wir finden eine Lösung für Sie!

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Norman Lenger-Bauchowitz, LL.M.

Mediator & Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Fachberater für Restrukturierung & Unternehmensplanung (DStV e.V.)

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