Diagnosebetrug von Krankenkassen und Ärzten soll nun gesetzlich verboten werden

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veröffentlicht am 29. März 2017

 

Dass gesetzliche Krankenversicherer von einer gezielten Höherkodierung profitieren können, klingt zwar zunächst unlogisch, jedoch profitieren tatsächlich nicht nur Ärzte von einer Manipulation der Patientendaten. Denn die Kassen erhalten für eine höhere Krankheitslast eines Versicherten mehr Geld aus dem Gesundheitsfonds. Dieser laut SPD-Fraktionsvize Prof. Dr. Karl Lauterbach „unhaltbare Zustand” der Manipulation soll nun gesetzliche verboten werden.

 

[Bundestag, 2./3. Lesung des HHVG; 16.02.2017]

 

Bereits im Herbst letzten Jahres hatte der Vorstandsvorsitzende der Techniker Krankenkasse Jens Baas gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erwähnt, dass die gesetzlichen Krankenkassen versuchen würden, durch Sondervergütungen Einfluss auf das Kodierverhalten der Ärzte zu nehmen. Dieser Verdacht, der von den Kassen bestritten wurde, bestand bereits 2009 im Zusammenhang mit Selektivverträgen. Allerdings geht es hier nicht etwa um ein Konstruieren von gesünderen Versicherten. Der Vorwurf lautet vielmehr: Up-coding. In den Gesetzentwurf des Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetzes wurde nun eine entsprechende Regelung aufgenommen, welche dies unterbinden soll.

 

Ausgangssituation

Warum sollte sich die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) schwerer erkrankte Versicherte wünschen, wo sie doch eigentlich um die Senkung der Gesundheitsausgaben bemüht und damit dankbar für möglichst gesunde Versicherte sein sollte? Ursache scheint der Finanzausgleich zwischen den gesetzlichen Krankenkassen zu sein. Aufgrund des seit 2009 existierenden morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs (morbi-RSA) könnte durchaus ein Anreiz bestehen, dass für gewisse Versicherte die Diagnose schlimmer ausfallen sollte, als sie es tatsächlich ist. Denn im morbi-RSA werden 80 ausgewählte Krankheiten berücksichtigt, wonach der Versicherer bei höherer Krankheitslast des Patienten auch höhere Ausgleichszahlungen aus dem Gesundheitsfonds erhält.

 

Grundlage dieser Vergütung ist wiederum die Kodierung des Arztes. Deshalb steht zum einen der Vorwurf im Raum, dass die Kassen die Ärzte zu nachträglichen Änderungen der Diagnose motiviert haben sollen. Darüber, und über eine aufsichtsrechtliche Beratung mit anschließendem Verpflichtungsbescheid, wurde bereits im Tätigkeitsbericht des Bundesversicherungsamtes (BVA) von 2014 berichtet. Im gleichen Bericht des Jahres 2015 war von einem Trend in Richtung „Kodier-Beratungskonzepten” die Rede, sodass von vorneherein quasi „richtig falsch” kodiert wird. Die Problematik ist folglich bereits seit einiger Zeit bekannt, fand aber erst jetzt Einzug in den gesetzgeberischen Prozess.

 

Konsequenzen

Die Erfassung falscher Diagnosedaten hat neben einem finanziellen Schaden im Kassensystem sowie wettbewerblichen Verzerrungen insbesondere weitreichende Konsequenzen für den Patienten. Denn eine falsche Krankheitshistorie kann den weiteren Behandlungsverlauf negativ beeinflussen, da ein nicht involvierter anderer Arzt zwangsläufig von einem völlig falschen Krankheitsbild ausgeht. Möchte der Patient beispielsweise in die private Krankenversicherung wechseln oder eine Berufsunfähigkeitsversicherung abschließen, können ihm die für ihn im Dunkeln liegenden Krankheitsbilder in Bezug auf die vorvertragliche Anzeigepflicht schaden.

 

Lösungsansatz

Daran, dass der Finanzausgleich manipulationsresistent gemacht werden muss, dürfte kein Zweifel bestehen. Zwar wollte Bundesgesundheitsminister Gröhe den morbi-RSA zunächst bis Herbst 2017 überprüfen lassen, nun erschien es jedoch offenbar doch eiliger zu sein. So wurde in das Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz, welches der Bundestag am 16.02.2017 beschlossen hat, eine Regelung zum morbi-RSA aufgenommen, welche den gesetzlichen Krankenkassen sowie den Ärzten die Einflussnahme auf Diagnosen untersagt, zudem sollen bestehende rechtswidrige Verträge beendet werden. Verweigert eine Krankenkasse die (verpflichtende) Mitwirkung bei der Aufklärung von Zweifelsfällen, könne das BVA demnach nun ein Zwangsgeld von bis zu zehn Millionen Euro verhängen.

 

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz, welche deshalb bereits vergangenen Oktober Strafanzeige gegen verschiedene Kassen gestellt haben soll, begrüßte diese nun doch zeitnah getroffene Regelung. Es bleibt dennoch abzuwarten, inwiefern die Schwerpunktstaatsanwaltschaften sich dieses Themas annehmen werden.

Kontakt

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Dr. Anja Bauchowitz

M.A. Gesundheitsökonomie

Senior Associate

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