Kein Mindestlohn für in Werkstätten tätige behinderte Menschen (ArbG Kiel, 19. Juni 2015)

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​veröffentlicht am 15. Dezember 2015

 

Im Regelfall stehen schwerbehinderte Menschen im Arbeitsbereich anerkannter Werkstätten nach einem Urteil des ArbG Kiel in einem arbeitnehmerähnlichen Rechtsverhältnis. Arbeitnehmerähnliche Personen könnten keinen Mindestlohn beanspruchen. Der gesetzliche Mindestlohn soll Arbeitnehmer vor Niedriglöhnen schützen und existenzsichernde Arbeitsentgelte sichern. Dies umfasse nicht sozialstaatliche und sozialversicherungsrechtliche Aufgaben zur Teilhabe von schwerbehinderten Menschen.

 

Die Parteien stritten um angemessene Vergütung des Klägers aus einem - streitigen - Arbeitsverhältnis sowie über die Zahlung von Mindestlohn. Der mit einem Grad der Behinderung von 70 Prozent schwerbehinderte Kläger bezog eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Der zuständige Landkreis hatte als Träger der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen die Kosten für die teilstationäre Betreuung übernommen.
  
Der Kläger war der Auffassung, dass er Arbeitnehmer sei. Er erziele mit einem Stundensatz von EUR 1,49 eine sittenwidrige Vergütung. Aufgrund der (positiven) Persönlichkeitsentwicklung des Klägers habe sich das arbeitnehmerähnliche Arbeitsverhältnis in ein Arbeitnehmerverhältnis umgewandelt.
  
Das Arbeitsgericht sah dies anders und wies die Klage ab.
 
Würde der Kläger eine wirtschaftlich tragfähige Arbeitsleistung erbringen – so das Arbeitsgericht -, bedürfte es einer Eingliederungshilfe nicht. Anhaltspunkte dafür, dass das beklagte Hilfswerk zur Gewinnmaximierung schwerbehinderte Menschen wie Arbeitnehmer einsetzt, unzureichend vergüte und gleichzeitig staatliche Eingliederungshilfen in Anspruch nehme, existierten nicht. Im Übrigen diskreditiere dies die vom beklagten Hilfswerk seit Jahrzehnten vorgenommene Behindertenarbeit.
  
Das Mindestlohngesetz finde keine Anwendung. Die Unterscheidung zwischen einem arbeitnehmerähnlichen Rechtsverhältnis iSd. §§ 136 ff. SGB IX und einem Arbeitsverhältnis erfolge nicht nach dem Maß der persönlichen Weisungsgebundenheit. Im Gegensatz zu einem Arbeitsverhältnis, welches ein Austauschverhältnis zwischen weisungsgebundener Arbeit und Vergütung sei, komme in einem Werkstattverhältnis als maßgeblicher zusätzlicher Aspekt noch die Betreuung und Anleitung des schwerbehinderten Menschen hinzu. Ein Arbeitsverhältnis liege erst dann vor, wenn der schwerbehinderte Mensch wie ein Arbeitnehmer auch in quantitativer Hinsicht wirtschaftlich verwertbare Leistungen erbringe, also der Hauptzweck seiner Beschäftigung das Erbringen wirtschaftlich verwertbarer Leistung sei.
 
Im Regelfall stünden schwerbehinderte Menschen im Arbeitsbereich anerkannter Werkstätten in einem arbeitnehmerähnlichen Rechtsverhältnis. Arbeitnehmerähnliche Personen könnten also keinen Mindestlohn beanspruchen. Der gesetzliche Mindestlohn solle Arbeitnehmer vor Niedriglöhnen schützen und existenzsichernde Arbeitsentgelte sichern. Dies umfasse nicht sozialstaatliche und sozialversicherungsrechtliche Aufgaben zur Teilhabe von schwerbehinderten Menschen. Da für ein Werkstätten Verhältnis die soziale Betreuung und Anleitung von entscheidender Bedeutung sei, müsse dieser Aspekt bei der Findung der angemessenen Vergütung für schwerbehinderte Menschen in Werkstätten berücksichtigt werden.
 

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