Zulässigkeit von Aufsichtsrats-Berichterstattungen im kommunalen Vollgremium höchstrichterlich bestätigt

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veröffentlicht am 1. April 2025


Es ist nicht unüblich, dass kommunale Gebietskörperschaften von ihnen freiwillig wahrgenommene oder ihnen pflichtig obliegende Aufgaben in von der Kernverwaltung ausgegliederter Organisationsform erfüllen – häufig in Gesellschafts-Rechtsform, insbesondere der der GmbH. Für dazu aus dem kommunalen Vollgremium – Gemeinderat, Stadtrat, Kreistag usw. – in die Aufsichtsräte der Eigen- und Beteiligungsgesellschaften bestellte oder entsandte Aufsichtsratsmitglieder stellt sich dann rasch die Praxisfrage, inwieweit sie gesellschaftsrechtlich berechtigt sind, den ihnen kommunalrechtlich auferlegten Berichterstattungspflichten gegenüber dem kommunalen Vollgremium nachzukommen. In Teilen der Literatur ist die Zulässigkeit solcher Berichterstattungen in Zweifel gezogen. Mit zwei jüngeren ober- bzw. höchstrichterlichen Entscheidungen sollten diese Zweifel aber ausgeräumt sein.

Kommunalrechtliche Berichterstattungspflichten, gesetzlich-gesellschaftsrechtlich als solches längst anerkannt

In den Kommunalverfassungsgesetzen sämtlicher Flächenbundesländer ist bestimmt, unter welchen Zulässigkeitsvoraussetzungen sich die kommunalen Gebietskörperschaften (überhaupt) unternehmerisch betätigen dürfen1, und weiter, was die Kommunen zu beachten haben, wenn sie für eine als solches zulässige unternehmerische Betätigung die Rechtsform einer Kapitalgesellschaft, insbesondere die der GmbH, nutzen wollen.2 

Zum Letzteren gehört in den meisten Flächenbundesländern die Vorgabe – so oder inhaltsentsprechend –, durch die Gestaltung von Gesellschaftsvertrag bzw. Satzung sicherzustellen, dass die Kommune angemessenen Einfluss im Aufsichtsrat oder einem entsprechenden Gremium erhält.3

Und diese Klauseln zum angemessenen Einfluss der Kommune im Aufsichtsrat werden dann in der Regel – aber nicht in allen Flächenbundesländern – durch weitere Normen ergänzt, die Berichterstattungspflichten der von der Kommune bestellten oder entsandten Aufsichtsratsmitglieder gegenüber dem Rat und seinen Ausschüssen vorgeben, soweit - so oder inhaltsentsprechend – nicht zwingendes Gesellschaftsrecht 
entgegensteht.4

Diese landesrechtlich-kommunalgesetzlichen Berichterstattungspflichten finden ihr Pendant im bundes-
gesetzlichen § 394 S. 1 AktG, der bestimmt, dass „Aufsichtsratsmitglieder, die auf Veranlassung einer Gebietskörperschaft in den Aufsichtsrat gewählt oder entsandt worden sind, hinsichtlich der Berichte, die sie der Gebietskörperschaft zu erstatten haben, keiner Verschwiegenheitspflicht [unterliegen]“.

Mit § 394 S. 1 AktG bzw. § 52 Abs. 1 GmbHG i. V. m. § 394 S. 1 AktG wird damit für die Aufsichtsratsmitglieder von AGs und GmbHs insoweit eine Ausnahme zu ihrer sonst umfassenden Verschwiegenheitspflicht bestimmt, als sie für ihrer Entsende-Gebietskörperschaft zu erstattende Berichte von der Verschwiegenheitspflicht freigestellt sind.5 Dabei begründet § 394 S. 1 AktG keine Berichterstattungspflicht, sondern setzt eine solche nur voraus. Allerdings gilt die Verschwiegenheitspflicht-Freistellung dann wieder nicht – sozusagen als Ausnahme von der Ausnahme –, soweit vertrauliche Angaben und Geheimnisse der Gesellschaft betroffen wären, deren Kenntnis für die Zwecke der der Gebietskörperschaft zu erstattenden Berichte nicht erforderlich sind, vgl. § 394 S. 2 AktG. 

Nur zur „Klarstellung“6 wurde der schon 1965 ins AktG eingefügte § 394 mit seinen bisherigen Sätzen 1 und 2 mit der zunächst für 2012 geplanten, tatsächlich 2016 Gesetz geworden Aktienrechtsnovelle7 um einen neuen Satz 3 ergänzt, der festhält, dass die mit § 394 S. 1 AktG gemeinte Berichterstattungspflicht „auf Gesetz, auf Satzung oder auf dem Aufsichtsrat in Textform mitgeteiltem Rechtsgeschäft beruhen [kann]“.

Mit den gesetzlichen Bestimmungen des Aktiengesetzes sollte der Rechtsrahmen damit an sich klar und eindeutig sein: Die Mitglieder des Aufsichtsrats sind einer umfassenden Verschwiegenheitspflicht unterworfen. Von einer kommunalen Gebietskörperschaft bestellte oder entsandte AR-Mitglieder sind aber für der Entsende-Gebietskörperschaft zu erstattende Berichte von der Verschwiegenheitspflicht freigestellt. Gesetzlich-gesellschaftsrechtlich darf damit den auf gesetzlicher, satzungsrechtlicher oder (bloß) rechtsgeschäftlicher Grundlage bestehenden Berichterstattungspflichten nachgekommen werden, sodass solche Berichterstattungen zulässig sind.8

(Dennoch) Abweichende Auffassung in Teilen der Literatur

Ungeachtet des an sich klaren und eindeutigen gesetzlich-gesellschaftsrechtlichen Rechtsrahmens wurden und werden in der Literatur auch davon abweichende Auffassungen vertreten (was für die juristische Literatur als Instrument der Erkenntnisfindung ja nun auch wieder alles andere als ungewöhnlich ist). Der Auskunftsanspruch der kommunalen Gebietskörperschaft als (Allein-)Gesellschafter wird auch von diesen Auffassungen als solches nicht bestritten, in Zweifel gezogen wird aber, ob ein Parlament oder ein Gemeinderat – gilt natürlich ebenso für Stadtrat, Kreistag usw. – tauglicher Informationsadressat sein kann.

So führt etwa Koch, Aktiengesetz, – vormals Hüffer/Koch, vormals Hüffer - in vieljähriger Auflage aus: „Problematisch bleibt direkte Berichterstattung an Parlamente oder an Gemeinderat. Jedenfalls grds. ist auch sie unzulässig, weil solche Gremien Einhaltung der Verschwiegenheitspflicht nach § 395 nicht gewährleisten können [… m. w. N.]. Wo entspr. organisatorische Sicherungen zum Schutz der Vertraulichkeit doch bestehen, greift die Ausnahme nicht ein.“9

Die offenkundige Argumentationslinie solcher Auffassungen ist damit, dass auch wenn die Mitglieder eines Gemeinderats usw. bei in nicht-öffentlicher Sitzung erteilten Informationen schon aus eigenem Recht Verschwiegenheitspflichten unterworfen sind, komme es doch immer wieder zu „Durchstechereien“ etc., sodass um relevante Schäden bzw. das Risiko relevanter Schäden von der Gesellschaft abzuwenden, das betreffende Vollgremium ohne tatsächliche Sicherstellung der Verschwiegenheitspflicht schon gar nicht informiert werden dürfe.

Ober- und höchstrichterliche Bestätigung der Zulässigkeit von Aufsichtsrats-Berichterstattungen

Solchen die Zulässigkeit von Aufsichtsrats-Berichterstattungen an kommunale Vollgremien in Zweifel ziehenden Auffassungen ist nun die Rechtsprechung in zwei jüngeren Entscheidungen deutlich entgegengetreten. 

So stellt das OVG Münster mit Urteil vom 12.12.2022 fest, dass sich § 394 AktG entgegen einer verbreiteten Meinung nicht entnehmen lässt, „dass Bestimmungen nach Satz 3, mit denen eine Berichtspflicht begründet wird, ein besonderes Maß an Vertraulichkeit gewährleisten müssen und dies bei einer größeren Zahl von Berichtsempfängern (etwa allen Ratsmitgliedern einer Gemeinde) von vornherein nicht der Fall sein könne.“  
Im Übrigen, so das OVG Münster weiter, ist zu berücksichtigen, dass eine rechtliche Verpflichtung der Ratsmitglieder zur Verschwiegenheit durch § 395 Abs. 1 AktG i. V. m. landesrechtlich-kommunal-gesetzlichen Verschwiegenheitspflichten der Gremienmitglieder gewährleistet wird und sich deren Einhaltung nötigenfalls durch flankierende Vorkehrungen – wie etwa Beratung in nicht-öffentlicher Sitzung, Delegation auf einen Ausschuss o. ä. – auch in tatsächlicher Hinsicht hinreichend sicherstellen lässt. 

„Zwar liegt der Gedanke nahe, dass mit zunehmender Größe des zu informierenden Vertretungsorgans die Wahrscheinlichkeit einer Relativierung der Verschwiegenheitspflicht steigt; dies ist jedoch im Interesse einer effektiven demokratischen Kontrolle zu akzeptieren und wird nach dem hier vertretenen Verständnis der §§ 394 f. AktG vom (Bundes-)Gesetzgeber in Kauf genommen.“10

Und nun hat das BVerwG jüngst die gegen die OVG Münster-Entscheidung eingelegte Revision verworfen und damit die Entscheidung ausdrücklich bestätigt: Die Freistellung von der Verschwiegenheitspflicht nach § 394 AktG für Aufsichtsratsmitglieder, die auf Veranlassung einer Gebietskörperschaft in den Aufsichtsrat gewählt oder entsandt worden sind, setzt keine Gewähr besonderer Vertraulichkeit seitens der Berichtsempfänger voraus. 

Die Vorschrift des § 394 S. 1 AktG „schließt den Rat einer Gemeinde als Berichtsempfänger nicht aus. Für diese Auslegung sprechen die Entstehungsgeschichte der Vorschrift sowie ihr Zweck; Wortlaut und Systematik stehen dem nicht entgegen.“11

Als Fazit bleibt damit festzuhalten, dass an sich schon mit den gesetzlich-gesellschaftsrechtlichen Bestimmungen des § 394 AktG, aber erst recht in Verbindung mit den nun jüngeren bzw. jüngsten Entscheidungen von OVG Münster und BVerwG kein Rechtsargument mehr besteht, um eine Berichterstattung zu Gesellschaftsangelegenheiten durch den Aufsichtsrat im kommunalen Vollgremium abzulehnen. Solche Berichterstattungen sind zulässig. Soweit von der zu erteilenden Berichterstattung auch vertrauliche Angelegenheiten der Gesellschaft, insbesondere Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse, betroffen sind, darf die Berichterstattung – selbstverständlich – nur in nicht-öffentlicher Sitzung erfolgen. Für die Zwecke der betreffenden Berichterstattung nicht erforderliche vertrauliche Angelegenheiten der Gesellschaft sind von der Berichterstattung auszunehmen.




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1 Vgl. z. B. Art. 87 BayGO, §§ 107, 107a GO NRW, §§ 91, 92 BbgKVerf, § 71 ThürKO.
2 Vgl. z. B. Art. 92 – 94 BayGO; § 108 GO NRW; § 96 BbgKVerf, § 73 ThürKO.  
3 Vgl. z. B. Art. 92 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BayGO, § 108 Abs. 1 S. 1 Nr. 6 GO NRW, § 96 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BbgKVerf, § 73 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 
   ThürKO.
4 Vgl. z. B. Art. 93 Abs. 2 S. 2 BayGO, § 113 Abs. 5 GO NRW, § 97 Abs. 9 BbgKVerf.
5 Schockenhoff in MüKoAktG, 6. Auflage 2024, § 394, Rn. 1; ebenso Rachlitz in Grigoleit, Aktiengesetz, 2. Auflage 2020, § 394, Rn. 
   2.
6 Drucksache Bundestag 18/4349 vom 18.3.2015 mit amtlicher Begründung für den Gesetzentwurf der Bunderegierung für das 
   Gesetz zur Änderung des Aktiengesetzes, dort S. 33. 
7 Gesetz zur Änderung des Aktienrechts (Aktienrechtsnovelle 2016) vom 22.12.2015, BGBl. I 2015, S. 2565.
8 Eingehender dazu Altmeppen, NJW 2003, S. 2561, 2567. 
9 Koch, AktG, Kommentar, 18. Auflage 2025, § 394, Rn. 88.
10 OVG Münster, U. v. 12.12.2022, Az.: 15 A 2689/20, Leitsatz 2 und Rz. 71, 81 f., juris. 
11 BVerwG, U. v. 18.9.2024, Az.: 8 C 3/23, Leitsatz 1 und Rz. 14, juris.

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