Kasseler Wassergebührenstreit geht wieder in eine neue Runde – Frage der Gebührenfähigkeit von durch Rekommunalisierungs-Eigenbetrieb gezahlten Konzessionsabgaben weiter nicht abschließend geklärt

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veröffentlicht am 1. Juli 2024

Auf die von der Stadt Kassel durchgesetzte Revision1 hatte das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) mit seinem Urteil vom 23.3.2021 (9 C 4.20) das die Rechtswidrigkeit der Kasseler Wassergebühren konstatierende Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs (HessVGH) vom 11.12.2018 (5 A 1307/17) aufgehoben - und zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den HessVGH zurückverwiesen. Mit seiner jetzt neuen Entscheidung (U v. 30.11.2023, 5 A 1290/21) kommt der HessVGH mit nun anderen Gründen zum wieder gleichen Ergebnis, dass die Wassergebühren rechtswidrig sind. Revision wurde vom HessVGH - wieder, wie 2018 - nicht zugelassen, die Stadt hat - wieder, wie 2019 - Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Der Verfahrensfortgang liegt damit wieder beim BVerwG. 


Instanzen-Dreisprung VG KASSEL/HESSVGH/BVERWG nahm schon 2012 Anlauf  

Ausgangslage und Verfahrensgang der die Verwaltungsgerichte seit mehr als zehn Jahren beschäftigenden Rechtssache sind bis einschließlich der Entscheidung des BVerwGs vom 23.3.2021 eingehender in unseren Newsletter-Beiträgen in Wasser Kompass 1/2019 und Fokus Public Sector Juli 2021 ausgeführt. 

Kurz zusammengefasst: Nachdem die hessische Landeskartellbehörde die privatrechtlichen Wasserpreise der auch mehrheitlich von ihr gehaltenen Städtische Werke Netz und Service GmbH (NSG) ihrer Höhe wegen beanstandet hatte, rekommunalisierte die Stadt Kassel 2012 die Wasserversorgung. Die Stadt übertrug dazu die Versorgungsaufgabe ihrem Eigenbetrieb KASSELWASSER und erließ eine die Wasserversorgung für die Zukunft öffentlichrechtlich ausgestaltende Wasserversorgungsatzung (WVS). In gleicher Höhe zu den vormaligen privat-rechtlichen Wasserpreisen wurden mit der WVS auch öffentlich-rechtliche Wassergebühren festgelegt, die - der „Clou” der Gestaltung - schon kraft bundesrechtlicher Bestimmung (§ 185 Abs. 1 GWB) der Kartellkontrolle entzogen sind. 

Das die Wahrnehmung der Wasserversorgungsaufgabe überhaupt erst ermöglichende Anlagevermögen - Wasserleitungen, Pumpwerke, Behälter usw. - wurde nicht auch auf den Eigenbetrieb übertragen, sondern verblieb bei der fortbestehenden NSG. Um die Wasserversorgungsaufgabe überhaupt erfüllen zu können, pachtete der Eigenbetrieb (mit der rechtlichen Unselbständigkeit von Eigenbetrieben rechtlich die Stadt) von der NSG das Anlagevermögen und beauftragte diese mit der Durchführung der Wasserversorgung. In dem als Gegenleistung an die NSG geleisteten und beim Eigenbetrieb in die Gebührenkalkulation eingegangenen Pacht- und Betriebsführungsentgelt war auch die Konzessionsabgabe enthalten, die die NSG für das von der Stadt eingeräumte Recht, die öffentlichen Verkehrswege für die Verlegung und den Betrieb der Versorgungsleitungen nutzen zu dürfen, an die Stadt leistete. 

Entscheidungen VG/HessVGH/BVerwG  ​

Nach Umsetzung der Rekommunalisierung klagten mehrere Grundstückseigentümer gegen ihre Heranziehung zu den auf Grundlage der 2012er WVS bemessenen Wassergebühren. Zur Begründung machten die Kläger u. a. geltend, dass die festgesetzten Wassergebühren auf einer rechtswidrigen Kalkulation beruhten, insbesondere habe die Konzessionsabgabe nicht in die Kalkulation der Wassergebühren einfließen dürfen.

Mit seiner Entscheidung vom 27.3.2017 (6 K 412/13.KS) gab das VG Kassel als Ausgangsinstanz den Klagen recht - die Wassergebührenbescheide seien rechtswidrig, weil in die Gebühren zu Unrecht die Konzessionsabgabe eingeflossen sei. Das VG griff damit schon frühere Rechtsprechungen sowohl des HessVGH2 als auch des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts3 wieder auf, wonach die von einem Eigenbetrieb an die Kommune gezahlten Konzessionsabgaben keine gebührenfähigen Kosten darstellten, weil es sich lediglich um eine sonderrechtsbedingte Verschiebung handele, die auf die Gebührenhöhe keinen Einfluss haben kann.

Die von der Stadt angestrengte Berufung wurde verworfen, der HessVGH bestätigte mit seinem Urteil vom 11.12.2018 (5 A 1307/17) die Entscheidung der Ausgangsinstanz. Der HessVGH stellte dabei im Wesentlichen darauf ab, dass die Stadt, indem sie zum einen mit der NSG die Konzessionsabgabe vereinbarte, die sie der NSG zum anderen über das vom Eigenbetrieb gezahlte Pacht- und Betriebsführungsentgelt wieder erstattete, erst die Kosten geschaffen habe, die der Gebührenzahler dann zu finanzieren habe und deren Ertrag der Stadt zuflösse. Dies entspreche nicht den Vorgaben von Nr. 4 Abs. 2 der (bundesrechtlichen) Leitsätze für die Preisermittlung aufgrund von Selbstkosten (LSP), wonach bei Preisermittlungen aufgrund von Selbstkosten nur diejenigen Kosten zu berücksichtigen seien, die bei wirtschaftlicher Betriebsführung zur Erstellung der Leistung bestünden.4 Revision gegen seine Entscheidung hatte der HessVGH nicht zugelassen,5 allerdings hob das BVerwG auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Stadt hin die Nichtzulassung wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache auf.6         

In der nachfolgenden Hauptsache beanstandete das BVerwG, dass der HessVGH das bunderechtliche Preisrecht zu eng ausgelegt habe. Der HessVGH hätte - so das BVerwG - bei der Prüfung des zwischen dem Eigenbetrieb und der NSG vereinbarten Entgelts nicht die Stadt in den Blick nehmen dürfen, sondern hätte nach § 5 Abs. 1 PreisV 30/53 auf die angemessenen Kosten des Auftragnehmers - hier also der NSG - abstellen müssen. Für diese sind aber die Konzessionsabgaben betriebsbedingte Kosten, die zwangsläufig mit der Leistungserbringung anfallen, das öffentliche Preisrecht wird mit der Berücksichtigung einer Wasserkonzessionsabgabe im Rahmen eines Fremdleistungsentgelts nicht verletzt.7    

Allerdings war mit dieser Feststellung der preisrechtlichen Zulässigkeit nicht auch die für die Gesamtbewertung ebenso relevante Frage beantwortet, ob die im Pacht- und Betriebsführungsentgelt mitenthaltene Konzessionsabgabe mit der Gebührenkalkulation auch kommunalabgabenrechtlich zulässig auf die Endverbraucher umgelegt werden kann. Da dies aber von weiteren, sich allein nach dem HessKAG beurteilenden Voraussetzungen abhängt, dessen Auslegung und Anwendung dem HessVGH vorbehalten ist, konnte das BVerwG mit seiner Entscheidung vom 23.3.2021 das Verfahren noch nicht abschließen. Das BVerwG hob deshalb die Entscheidung vom 11.12.2018 nur auf und verwies die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den HessVGH zurück.8  

Jetzt 2. Entscheidung des HessVGH in der Sache - neue Begründung, gleiches Ergebnis ​

Den vorstehenden Anmerkungen des BVerwGs entsprechend stellt der HessVGH in seiner nun zweiten Entscheidung in gleicher Sache eng auf den für die Bemessung von Verbrauchsgebühren maßgeblichen § 10 Abs. 1 HessKAG ab. 

Kommend von dessen Vorgaben - insbesondere: Gebührensätze sind in der Regel so zu bemessen, dass die Kosten der Einrichtung gedeckt werden, das Gebührenaufkommen soll (aber) die Kosten der Einrichtung nicht übersteigen (§ 10 Abs. 1 S. 2 u. 3 HessKAG) - verweist der HessVGH jetzt zunächst darauf, dass bei der Bestimmung der im Sinne des § 10 Abs. 1 HessKAG ansatzfähigen Kosten maßgeblich sei, was bei der Gemeinde selbst durch den Betrieb der gebührenrechnenden öffentlichen Einrichtung als Summe von Kosten anfällt. Da die Gebührenkalkulation eine Form der Kostenrechnung sei, seien Erträge, Erlöse und Einnahmen in der Kalkulation nur dann zu berücksichtigen, wenn ihnen Kosten der Einrichtung zugrunde lagen. Demgegenüber seien kostenneutrale Erträge, Erlöse und Einnahmen gebührenrechtlich irrelevant, da sie sich nicht auf die Gebührenbe-lastung auswirkten. Mit diesem Kostengrundsatz sei es aber - so der HessVGH weiter - „systemgerecht, von den ansatzfähigen Kosten im Rahmen der Gebührenkalkulation etwaige Einnahmen dann abzuziehen, wenn sie ebenfalls in einem ausreichend engen Zusammenhang mit der durch die Einrichtung vorgesehenen Leistungserbringung stehen oder ihrer Erzielung Kosten der Einrichtung zugrunde liegen.”  

Damit komme es bei der Gebührenbedarfskalkulation darauf an, was bei der Kommune als Trägerin der Wasserversorgungseinrichtung und Gebührengläubigerin als Summe von aufwandgleichen Grundkosten und Zusatzkosten sowie Einnahmen anfalle, sodass insoweit eine gesamtwirtschaftliche Betrachtung von Einnahmen und Ausgaben erforderlich sei, in deren Ergebnis die Stadt die von ihr vereinnahmte Konzessionsabgabe als gebührenmindernde Einnahme in der Gebührenkalkulation hätte berücksichtigen müssen,10 mithin aus der Gebührenkalkulation hätte herausrechnen müssen.

Da die Stadt dies aber nicht getan habe, sei die WVS mit der darin bestimmten Gebühr keine ausreichende satzungsrechtliche Grundlage für die Gebührenbescheide, mithin die Gebührenbescheide rechtswidrig.11  

Die Entscheidung des BVerwGs vom 23.3.2021 - die Entscheidung, die das vorgehende HessVGH-Urteil vom 11.12.2018 aufgehoben hatte - stehe der Entscheidung nicht entgegen. Denn das BVerwG habe (1.) eine gesamtwirtschaftliche Betrachtungsweise dem Grunde nach nicht verneint und (2.) in früheren Entscheidungen zudem klargestellt, dass die preisrechtliche Zulässigkeit einzelner Entgeltbestandteile nicht zwangsläufig auch zum beitragsfähigen Aufwand führe, der auf die Schuldner abgewälzt werden könne.12

Revision gegen seine Entscheidung ließ der HessVGH (wieder, wie 2018) nicht zu. Die zur gebührenmindernden Berücksichtigung von Einnahmen aufgeworfene Frage sei nicht grundsätzlich klärungsbedürftig, da sich ihre Beantwortung ohne Weiteres aus den normativen Bestimmungen und der hierzu ergangenen Rechtsprechung ergäbe.13 

Bliebe es nun bei der Entscheidung, müsste die Stadt Kassel für den Zeitraum seit 2017 - seit der Entscheidung des Ausgangsgerichts - 25 Mio. Euro an die Gebührenzahler zurückzahlen und, in die Zukunft geblickt, jährliche Minder-Einnahmen im Stadthaushalt von ca. 4,2 Mio. Euro verkraften. Es ist damit wenig überraschend, dass die Stadt das Urteil auch diesmal nicht einfach hinnehmen mag und wieder - wie 2019 gegen die 2018er Entscheidung - Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt hat.14

Allerdings stützte der HessVGH seine Entscheidungsgründe diesmal ausschließlich auf eine Bestimmung aus dem Landes-Kommunalabgabenrecht, auf eine Bestimmung also, deren Auslegung und Anwendung dem HessVGH „vorbehalten ist”.15 Eine Aufhebung der Nichtzulassung - und damit auch eine neue Entscheidung des BVerwGs in der Sache - wird mithin nur in Betracht kommen können, wenn dargelegt werden kann, dass die jetzige Entscheidung des HessVGH gegen sonstiges Bundesrecht - „sonstig” im Sinn von außerhalb des bundesrechtlichen Preisrechtes - oder gegen die BVerwG-Entscheidung vom 23.3.2021 verstößt. Das wird erwartungsgemäß aber mindestens schwieriger sein als die Aufhebung der Revisions-Nichtzulassung im 2018er Urteil des HessVGH.

In der Sache bleibt es spannend, für die Stadt Kassel, für weitere, wie Kassel aufgestellte Rekommunalisierungs-Eigenbetriebe, aber auch für alle anderen als Eigenbetrieb organisierten Wasserversorger. Denn sollte - als Gedankenspiel unterstellt - das BVerwG die Entscheidungen des VG Kassel und des HessVGH final verwerfen, mithin für Rekommunalisierung-Eigenbetriebe die Einrechnung einer an die Kommune abgeführten Konzessionsabgabe zulässig sein, wird dies entgegen der bisherigen verfestigten Rechtsprechung „unterhalb” des BVerwGs auch allen sonstigen Wasserversorgungs-Eigenbetrieben kaum mehr versagt werden können.   

Sie hören von uns nach Entscheidungsfortgang. 
       

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1 BVerwG, B. v. 21.7.2020, 9 B 18/19.
2 HessVGH, B. v. 6.7.2005, 5 ZU 2618/04. 
3 OVG Schleswig-Holstein, U. v. 28.11.2001, 2 K 6/99.  
4 HessVGH, U. v. 30.11.2023, 5 A 1290/21, Rz. 13 (Tatbestand), juris. 
5 HessVGH, U. v. 11.12.2018, 5 A 1307/17, Rz. 37. 
6 BVerwG, B. v. 21.7.2020, 9 B 18/19.
7 BVerwG, U. v. 23.3.2021, 9 C 4/20, Leitsätze 2 f.; Rz. 21 u. 25, juris. 
8 Wie vor, Rz. 40, 41, juris.
9 HessVGH, U. v. 30.11.2023, 5 A 1290/21; Rz. 24, 27, m.w.N., juris.
10 Wie vor, Rz. 30, 31, ebenso Leitsätze 2 und 3, juris. 
11 Wie vor, Rz. 21, 21, juris.
12 Wie vor, Rz. 32 mit Verweis auf BVerwG, B. v. 14.09.206, 9 B 2.06, Rz. 10. 
13 Wie vor, Rz. 71, juris.
14 HNA (Hessische/ Niedersächsische Allgemeine), 23.2.2024. 
15 BVerwG, U. v. 23.3.2021, 9 C 4/20, Rz. 41, juris.



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