Vorsteuerabzug bei Dauerverlustgeschäften – Liegt bei einer dauerdefizitären Einrichtung eine wirtschaftliche Tätigkeit vor?

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veröffentlicht am 3. Juli 2023



Hintergrund 

Die Frage, ob eine juristische Person des öffentlichen Rechts bei einer defizitären Tätigkeit als „Steuerpflichtiger” im umsatzsteuerrechtlichen Sinne gilt, ist seit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) in der Rechtssache „Gemeente Borsele” in der Diskussion. Der EuGH hat in zwei aktuellen Entscheidungen erneut zu dieser Frage Stellung genommen. Der Vorsteuerabzug besteht nur, wenn die Unternehmereigenschaft festgestellt wird. 

In beiden Urteilen (C-612/21 sowie C-616/21 vom 30.3.2023) hat der EuGH geurteilt, dass die öffentliche Hand mit der Ausübung der in Frage stehenden defizitären Tätigkeiten nicht als Unternehmer auftritt. Eine Umsatzbesteuerung ist in diesen Fällen nicht erforderlich. Zeitgleich ist aufgrund der fehlenden Unternehmereigenschaft jedoch auch der Vorsteuerabzug nicht möglich. 

Unternehmereigenschaft

Die Unternehmereigenschaft setzt eine wirtschaftliche Tätigkeit voraus, die der Einnahmeerzielungsabsicht dient. (Dauer-)Defizitäre Betriebe ergeben sich häufig bei jPdöR, da diese aus sozialpolitischen Gründen auf ein kostendeckendes Entgelt verzichten. Hierbei weichen die Kommunen zum Wohl aller Bürger vom Prinzip der Kostendeckung ab.

Bisher ist die Praxis davon ausgegangen, dass auch für nicht kostendeckende Einrichtungen ein Vorsteuerabzug möglich sei. So ist für die unternehmerischen Tätigkeiten einer jPdöR eine Einnahmenerzielungsabsicht ausreichend. Diese ist auch erfüllt, wenn die Leistungen ausschließlich zu den Selbstkosten oder ohne Kostendeckung angeboten werden. Demnach kann auch für (dauer-)defizitäre Betriebe die Unternehmereigenschaft begründet werden, sodass jPdöR im Rahmen dieser Betriebe zum Vorsteuerabzug berechtigt sind. 

Der BFH hat beim Betrieb von Sporthallen bisher die Marktüblichkeit und damit eine wirtschaftliche Tätigkeit bejaht (vgl. BFH, Urt. v. 28.6.2017, XI R 12/1). 

Entscheidung des EuGHs

Urteil C-612/21:

In diesem Streitfall hatte eine polnische Gemeinde Grundstückseigentümern PV-Anlagen überlassen und dafür lediglich ein Viertel der förderungsfähigen Kosten erhoben. Den Restbetrag konnte die Gemeinde über einen Zuschuss Dritter finanzieren. Den Anteil der nicht förderungsfähigen Kosten übernahm die Gemeinde selbständig. 

Der EuGH entschied, dass es sich nicht um eine der Umsatzsteuer zu unterwerfende Lieferung oder Leistung handelt. Zwar sei die Höhe des Entgeltes für die Frage eines Leistungsaustausches nicht entscheidend. Die Frage der wirtschaftlichen Tätigkeit im Sinne des Unionsrechts und damit die Unternehmereigenschaft verneinte er jedoch. Die Gemeinde habe nicht nachhaltig gehandelt und darüber hinaus ihre Leistungen weit unter dem Marktpreis angeboten. Dies halte einem Fremdvergleich nicht stand. 

Urteil C-616-21:

Die Gemeinde ließ für Bürger kostenlos die Beseitigung von Asbest sowie die Sammlung von asbesthaltigen Produkten und Abfällen vornehmen. Auf ein Entgelt konnte verzichtet werden, da die Gemeinde im Nachgang mit Zuschüssen eines Umweltfonds in Höhe von 40 bis 100 Prozent rechnete. 
 
Auch in Zuschüssen kann ein Entgelt (von dritter Seite)1 gesehen werden. Dennoch entschied der EuGH, dass die Gemeinde nicht nachhaltig gehandelt habe. Eine eigene Einnahmeerzielungsabsicht war nicht erkennbar. Die Gemeinde hat gehofft, durch spätere Zuschüsse die strukturell defizitäre Lage auszugleichen.

In beiden Fällen wurde daher eine nachhaltige wirtschaftliche Tätigkeit verneint. Beides sind Einzelfallentscheidungen, die sich auch an den Verhältnissen des jeweiligen Marktes orientieren und aus denen keine allgemeine Verneinung der Unternehmereigenschaft von jPdöR bei defizitären Tätigkeiten abgeleitet werden kann. Jedoch wird durch die Urteile klargestellt, dass jPdöR umsatzsteuerlich nicht immer ”normalen” Unternehmern gleichgestellt werden dürfen, wenn es sich um Tätigkeiten handelt, die zuschussfinanziert erfolgen und den Bürgern aufgrund der sozialpolitischen Verantwortung angeboten werden.

Fazit für die Praxis

Es bleibt abzuwarten, wie die Finanzverwaltung auf diese Entscheidungen reagiert. Sollte der BFH die Entscheidungen des EuGHs in seiner zukünftigen Rechtsprechung übernehmen, könnte dies weitreichende Folgen für jPdöR haben.

Von einer wirtschaftlichen Tätigkeit einer jPdöR wäre eventuell nicht mehr auszugehen, wenn die erzielten Einnahmen nicht üblich sind und zu einer deutlichen Asymmetrie zwischen Einnahmen und Ausgaben führen. 

Wenn dem so wäre, würde die jPdöR insoweit nicht unternehmerisch handeln. Eine Umsatzbesteuerung wäre nicht notwendig, analog würde jedoch auch ein ggf. im Raum stehender Vorsteuerabzug versagt werden. 

Vorsteuerüberhänge aus Dauerverlustgeschäften insbesondere im Bäder- und Sportbereich werden bei Kommunen häufig zur Entlastung des Haushaltes einkalkuliert. Derartige Mittel stünden dann nicht mehr zu Verfügung und müssten durch den eigenen Haushalt oder andere Quellen beschafft werden.  

Falls Sie Fragen haben oder Beratungsbedarf bei dauerdefizitären Tätigkeiten sehen, die unter Anwendung der neuesten Rechtsprechung steuerlichen Änderungen unterlägen, stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung. 

Mit unserer fachlichen Erfahrung und einem praktischen Ansatz unterstützen wir Sie gerne. Zögern Sie nicht, uns anzusprechen!



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1  UStAE  10.2 Abs. 5 S. 5.



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