Qualifikationsanforderung für kommunale Aufsichtsratsmitglieder in NRW gesetzlich festgelegt

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veröffentlicht am 2. Januar 2023



Vielzählige Kommunen nehmen vielzählige kommunale Aufgaben –insbesondere in der Energie- und Wasserversorgung, Kranken- und Altenpflege, für Nahverkehr, Wohnungswirtschaft oder bei Bädern – ausgegliedert in GmbH-Rechtsform wahr. In aller Regel ist bei den Gesellschaften ein Aufsichtsrat eingerichtet. Die Aufgabe des Aufsichtsrats ist gesellschaftsrechtlich-gesetzlich festgelegt, aber nicht, was die Aufsichtsratsmitglieder dazu „können” müssen. Hier ruft NRW mit einer Ergänzung der Gemeindeordnung ins Bewusstsein, was durch die Rechtsprechung längst als (Mindest-)Qualifikationsanforderung für die Mitglieder sämtlicher Aufsichtsräte herausgearbeitet wurde.



Aufsichtsrat als „Regel”-Organ kommunaler GmbHs

Während bei Aktiengesellschaften zwingend ein Aufsichtsrat (AR) eingerichtet werden muss (§§ 95 ff. AktG), lässt § 52 Abs. 1 GmbHG die Bildung eines Aufsichtsrats durch gesellschaftsvertragliche Regelung zu, verlangt dies aber nicht. Das GmbHG enthält deshalb auch keine weiteren eigenen Bestimmungen für Aufsichtsräte, sondern verweist in § 52 Abs. 1 GmbHG – soweit „nach dem Gesellschaftsvertrag ein Aufsichtsrat zu bestellen [ist]” – lediglich auf eine Reihe entsprechend anzuwendender Bestimmungen zum AR aus dem AktG.

Zwar kann sich auch für eine GmbH ergeben, dass gesetzlich zwingend ein AR einzurichten ist. Die Pflicht zur AR-Bildung rührt dann aber nicht aus dem Gesellschaftsrecht, sondern aus arbeitsrechtlichen Bestimmungen. So muss auch bei einer GmbH ein AR gebildet und zu einem Drittel mit Arbeitnehmervertretern besetzt werden, wenn die Gesellschaft i. d. R. mehr als 500 Arbeitnehmer hat (§§ 1 Abs. 1 Nr. 3, 4 Abs. 1 Drittelbeteiligungsgesetz – DrittelbG) bzw. muss ein AR gebildet und zur Hälfte mit Arbeitnehmervertretern besetzt werden, wenn die Gesellschaft i. d. R. mehr als 2.000 Arbeitnehmer hat (§§ 1 Abs. 1, 6 Abs. 1, 7 Abs. 1 Mitbestimmungsgesetz – MitbestG). Für bestimmte Branchen – sog. Tendenzbetriebe, zu denen insbesondere Krankenhäuser zählen – bestehen dann wieder Ausnahmen, sodass bei diesen auch bei Erreichen der vorgenannten Arbeitnehmerzahlen (doch) kein AR gebildet werden muss (§§ 1 Abs. 2 DrittelbG, 1 Abs. 4 MitbestG).

Mit diesen gesetzlichen Bestimmungen fallen die wenigsten kommunalen GmbHs unter das Gebot, einen AR bilden zu müssen (Arbeitnehmerzahlen nicht erreicht oder Tendenzbetrieb). Gleichwohl zeigt die Praxis, dass bei den meisten kommunalen GmbHs durch freiwillige Gestaltung des Gesellschaftsvertrags ein AR eingerichtet ist. Dies liegt aber auch auf der Hand. Denn wäre kein AR bestellt, fielen die gleichwohl gebotenen „Maßregeln zur Prüfung und Überwachung der Geschäftsführung” (§ 46 Nr. 6 GmbHG) notwendig dem einzig verbleibenden weiteren Organ, der Gesellschafterversammlung, zu, was aber mit deren Besetzung bei unmittelbaren kommunalen Beteiligungen nur durch den Bürgermeister/Oberbürgermeister/Landrat1 bzw. nur durch einen oder wenige aus dem Rat/Kreistag bestellte Vertreter2 kaum leistbar wäre. Ungeachtet der Regel-Nicht-Pflichtigkeit stellt damit bei kommunalen GmbHs die Einrichtung eines ARs doch den Regelfall dar.

„Mindestkenntnisse und -fähigkeiten” für AR-Kernaufgabe „Überwachung der Geschäftsführung”

Was Kernaufgabe und -pflicht des ARs ist, hat der Gesetzgeber mit gerade 7 Worten auf den Punkt gebracht: „Der Aufsichtsrat hat die Geschäftsführung zu überwachen” (§ 52 Abs. 1 GmbHG i. V. m. § 111 Abs. 1 AktG).

„Heruntergebrochen” umfasst die Überwachung der Geschäftsführung die Überwachung der Rechtmäßigkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit des Geschäftsführungshandelns.3 Kommen die Mitglieder des ARs der Überwachungspflicht nicht oder nicht gut genug nach und erleidet die Gesellschaft in Folge der Pflichtverletzung einen Schaden, sind sie der Gesellschaft gegenüber zum Schadensersatz verpflichtet (§ 52 Abs. 1 GmbHG i. V. m. §§ 116 S. 1, 93 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 AktG). Allerdings hat der Gesellschaftsrechts-Gesetzgeber nirgendwo bestimmt, was die AR-Mitglieder „können”, über welche Fähigkeiten und Kenntnisse sie verfügen müssen, um der Überwachungsaufgabe ohne Sorgfaltspflichtverstoß nachkommen zu können.

Diese gesetzgeberische Lücke wurde jedoch schon vor 40 Jahren durch die Rechtsprechung geschlossen. Denn abgeleitet aus der – über § 52 Abs. 1 GmbHG auch für GmbH-Aufsichtsräte geltenden – aktienrechtlichen Bestimmung, dass die AR-Mitglieder ihre Aufgaben nicht durch andere wahrnehmen lassen können4 – auch Pflicht zur höchstpersönlichen Amtsführung genannt –, hat der BGH in seinem maßgebenden Urteil vom 15.11.1982 entschieden, „dass ein Aufsichtsratsmitglied diejenigen Mindestkenntnisse und -fähigkeiten besitzen oder sich aneignen muss, die es braucht, um alle normalerweise anfallenden Geschäftsvorgänge auch ohne fremde Hilfe verstehen und sachgerecht beurteilen zu können.”5 Mit ihrer Ableitung aus der für sämtliche Aufsichtsräte geltenden Pflicht zur höchstpersönlichen Amtsführung gilt auch die Qualifikations-Anforderung für sämtliche Aufsichtsräte – damit gerade auch die kommunaler GmbHs.

Die Qualifikationsanforderung aus der BGH-Entscheidung wurde in der Folgezeit in verschiedenen „Kodizes” - Regelwerken zur guten und verantwortungsvollen Unternehmensführung - mit dort bestimmten Regeln zur Besetzung der Aufsichtsorgane aufgegriffen.6 So formuliert Regelungsziffer 42 des aus der Wissenschaft entwickelten, den Kommunen zur Anwendung empfohlenen Deutschen Public Corporate Governance-Musterkodex (D-PCGM7): „Das Aufsichtsorgan ist so zusammenzusetzen, dass seine Mitglieder insgesamt über die zur ordnungsgemäßen Wahrnehmung der Aufgaben erforderlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und fachlichen Erfahrungen verfügen. Falls nicht vorhanden, sollen sich die Mitglieder die erforderlichen Kenntnisse aneignen.”

Allerdings gilt keiner der Kodizes aus sich heraus für kommunale GmbHs. Ihren Regeln kommt für kommunale Beteiligungen damit nur dann Bindungswirkung zu, wenn sie „vor Ort” verbindlich gemacht wurden, etwa durch örtliche Beteiligungsrichtlinien und/oder verweisende Bestimmungen in den Gesellschaftsverträgen. Allerdings sind solche Kodex-verbindlich-machenden Gestaltungen nach unserer Erfahrung nur eher selten der Fall.8

Klar ist aber: Die Qualifikationsanforderung zu den Mindestkenntnissen und -fähigkeiten gilt schon aus der BGH-Entscheidung vom 15.11.1982. Wird sie nicht beachtet und „gelebt” – etwa, weil sie vor Ort schon nicht bekannt ist –, wird auch das Risiko bestehen, dass der Aufgabe der Überwachung der Geschäftsführung nicht in hinreichendem Umfang und Qualität nachgekommen wird.

Neuer Absatz 6 des § 113 GO NRW verlangt Erfüllung der Qualifikationsanforderung vom Amtsantritt an

Mit der Einfügung eines neuen Absatz 6 in § 113 GO NRW durch das „Gesetz zur Einführung digitaler Sitzungen für kommunale Gremien und zur Änderung kommunalrechtlicher Vorschriften” vom 13.4.20229 hat Nordrhein-Westfalen die Qualifikationsanforderung nun in Gesetzesform gegossen. Die Klausel bestimmt, dass „die Vertreterinnen und Vertreter der Gemeinde” – gemeint insbesondere die Vertreterinnen und Vertreter der Gemeinde im Sinne des § 113 Abs. 1 GO NRW in Gesellschafterversammlungen und Aufsichtsräten kommunaler Beteiligungsgesellschaften – „über die zur Wahrnehmung des Vertretungsamtes sowie die zur Beurteilung und Überwachung der Geschäfte, die das Unternehmen oder die Einrichtung betreibt, erforderliche betriebswirtschaftliche Erfahrung und Sachkunde zu verfügen [haben]. „Die Gemeinde soll den nach Satz 1 entsandten Personen die Gelegenheit geben, regelmäßig an Fortbildungsveranstaltungen teilzunehmen, die der Wahrnehmung dieser Aufgaben dienlich sind. Die nach Satz 1 entsandten Personen haben sich regelmäßig zur Wahrnehmung dieser Aufgaben fortzubilden.”

In der Begründung für die mit dem Gesetzentwurf vorgesehene Einfügung des neuen Absatz 6 in § 113 GO NRW wird ausdrücklich auf die Beachtung gesetzlich nicht normierter Anforderungen an die Vertreterinnen und Vertreter der Kommune, ungeschriebene gesellschaftsrechtliche Vorgaben für sämtliche Aufsichtsratsmitglieder und insbesondere auf die BGH-Entscheidung vom 15.11.1982 abgestellt.10

„Neu” am neuen Absatz 6 des § 113 GO NRW ist weder die inhaltliche Vorgabe, dass die Aufsichtsratsmitglieder über Mindestkenntnisse und -fähigkeiten zu verfügen haben, sie ergibt sich schließlich schon aus der BGH-Entscheidung vom 15.11.1982, noch, dass für die AR-Mitglieder eine eigene Fortbildungspflicht besteht, weil sich auch dies schon aus der Qualifikationsanforderung ableiten lässt.

Neu ist aber doch die Vorgabe an die Inhaberkommunen, den in Gesellschafterversammlungen und Aufsichtsräte entsandten Personen die Gelegenheit zu geben, regelmäßig an aufgabendienlichen Fortbildungsveranstaltungen teilzunehmen. Und neu ist insbesondere, dass nach Wortlaut des § 113 Abs. 6 S. 1 GO NRW n. F. und Gesetzesbegründung die in Gesellschafterversammlungen und Aufsichtsräte entsandten Personen schon vom Amtsantritt an über die erforderlichen Mindestkenntnisse und -fähigkeiten zu verfügen haben: „Das Erfordernis einer Mindestqualifikation (…) muss bei Amtsantritt vorliegen. Infolgedessen dürfen Kommunen schon heute nur solche Personen benennen, die über die erforderliche fachliche Eignung verfügen.”11 Bemerkenswert ist dabei jedoch, dass die Gesetzesbegründung als Beleg für die „Von-Anfang-an-Vorgabe” auf Quellen verweist, die sich auf Vorschriften für Unternehmen von öffentlichem Interesse im Sinne des § 316a Satz 2 HGB beziehen – das sind kapitalmarktorientierte Unternehmen und bestimmte Kreditinstitute sowie Versicherungsunternehmen, aber gerade keine Unternehmen im kommunalen Aufgabenspektrum.

Die mit dem neuen Absatz 6 des § 113 GO NRW auch gesetzte Vorgabe, dass die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten vom Amtsantritt an vorliegen müssen, ist damit nicht nur neu, sondern zugleich Verschärfung bisheriger Rechtslage. Denn kommunale GmbHs sind keine von dieser Vorgabe schon aus anderen Bestimmungen erfasste Unternehmen von öffentlichem Interesse im Sinne des § 316a S. 2 HGB und die bisher mangels gesetzlicher Regelung maßgebliche Entscheidung des BGHs vom 15.11.1982 – vgl. „besitzen oder sich aneignen muss” –, erkennt ebenso wie Regelungsziffer 42 D-PCGM 2020 - vgl. „falls nicht vorhanden, sollen sich die Mitglieder die erforderlichen Kenntnisse aneignen” – durchaus an, dass ein neu in den Aufsichtsrat bestelltes Mitglied über die erforderlichen Mindestkenntnisse und -fähigkeiten nicht von Anfang an verfügt, sondern sich diese in einem Lernprozess zunächst aneignen muss. Mit der Bestellung der AR-Mitglieder aus Rat bzw. Kreistag – mithin aus einem Kreis ehrenamtlich tätiger Personen mit für die Aufsichtsratsaufgabe für gewöhnlich und mehrheitlich nicht einschlägigen „Zivil-Berufen” – wird ein Anerkenntnis eines zunächst erforderlichen Lernprozesses nach der Erfahrung des Verfassers aus u. a. einer Vielzahl von Schulungsveranstaltungen auch viel mehr dem überhaupt Leistbaren gerecht, als eine aus dem sonstigen Recht nicht gebotene, mit den Realitäten nicht übereinstimmende und damit nach Auffassung des Verfassers „überschießende” kommunalverfassungsrechtliche „Von-Anfang-an-Vorgabe”.

Fazit

Der Aufsichtsrat hat die Geschäftsführung des Unternehmens zu überwachen. Kommen die AR-Mitglieder der Aufgabe nicht oder nicht gut genug nach, etwa weil den AR-Mitgliedern dazu die schon erforderlichen Mindestkenntnisse und -fähigkeiten fehlen, ist damit niemandem geholfen, weder der Inhaberkommune, noch den Gesellschaften und am wenigsten den dem persönlichen Haftungsrisiko unterworfenen AR-Mitgliedern selbst. Dass NRW die sich schon aus dem BGH-Urteil vom 15.11.1982 ergebende nun in die GO NRW aufgenommen und damit in ein breiteres Bewusstsein geführt hat, ist damit als solches nur zu begrüßen. Für die Kommunen und ihre Hauptorgane liegt nahe, bei Neubesetzungen der Aufsichtsräte zu beachten, dass Fachkunde, Möglichkeit zum Zeiteinsatz und Fortbildungsbereitschaft mehr „wiegen”, als ein Fraktionsproporz. Und den AR-Mitgliedern selbst kann nur empfohlen werden, die auch eigene Anstrengungen verlangende Fortbildungspflicht zur Erreichung der Mindestkenntnisse und -fähigkeiten stets ernst zu nehmen. 


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1 So etwa in Baden-Württemberg (§ 104 Abs. 1 GemO), Bayern (Art. 93 Abs. 1 GO), Rheinland-Pfalz (§ 88 Abs. 1 GemO).
2 So etwa in Niedersachsen (§ 138 Abs. 1 u. 2 NKomVG), NRW (§ 113 Abs. 2 GO NRW), Schleswig-Holstein (§ 104 Abs. 1 GO)
3 Vgl. Lutter/Hommelhoff, GmbH-Gesetz, Kommentar, 20. Auflage 2020, § 52 Rn. 7.
4 Seinerzeit § 111 Abs. 5 AktG, heute § 111 Abs. 6 AktG.
5 BGH, U. v. 15.11.1982, Az.: II ZR 27/82, Rz. 10, juris.
6 Vgl. Deutscher Corporate Governance Kodex (DCGK), für börsennotierte Unternehmen, erste Fassung vom 30.8.2002, aktuelle Fassung vom 28.4.2022, dort Grundsatz 11; Public Corporate Governance Kodex (PCGK), für Beteiligungen des Bundes, erste Fassung vom 30.6.2009, aktuelle Fassung vom 16.9.2020, dort Ziff. 6.2.1.
7 Vom 7.1.2020, vgl. dazu auch: https://www.roedl.de/themen/fokus-public-sector/2021-januar/deutscher-public-corporate-governance-musterkodex.
8 Als „Positiv-Ausnahme” vgl. aber z. B. den Public Corporate Governance Kodex der Stadt Bochum (und dort insb. Ziff. 2.2.) unter https://www.bochum.de/C125830C0042AB74/vwContentByKey/W2BWYBTQ699BOCMDE/$File/PCGK_Bochum_2018.pdf.
9 GV.NRW. 2022, S. 490.
10 Drucksache Landtag NRW 17/16929 vom 30.3.2022, dort. S. 3.
11 Wie vorherige.



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