Lange nichts gehört: Bundesgerichtshof zur (Un-)Wirksamkeit einer Vertragsstrafenregelung im Einheitspreisvertrag

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​veröffentlicht am 1. August 2024


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Vertragsstrafenabreden in Allgemeinen Geschäftsbedingungen unterliegen seit jeher rechtlichen Grenzen und sind damit schon immer „gern gesehener Gast” in gerichtlichen Auseinandersetzungen. Der Bundesgerichtshof hat sich hierzu in der Vergangenheit bereits munter und ausführlich geäußert.

Bis dato dachte nunmehr jeder, man wisse jetzt wie’s geht. Aber weit gefehlt: In seiner Entscheidung vom 15.2.2024 (Aktenzeichen VII ZR 42/22) geht es dem Bundesgerichtshof einmal mehr darum, wann eine Vertragsstrafenklausel in einem VOB-Einheitspreisvertrag unzulässig ist bzw. wo die AGB-rechtlichen Grenzen im Einzelnen verlaufen. Also: Auf ein Neues!(?)


Wie immer zunächst einmal der (hier interessierende) Sachverhalt.

​Die Klägerin begehrte die Zahlung von Restwerklohn. Sie gab im Rahmen einer auf Einheitspreisen basierenden Ausschreibung der Beklagten über Leistungen zur Erschließung von 1.583 Haushalten mit Glasfaserkabeln ein Angebot ab, das auf die Allgemeinen Vertragsbedingungen für Bauleistungen VOB/B, Ausgabe 2012, und auf die Besonderen Vertragsbedingungen (BVB-VOB) der Beklag-ten Bezug nahm. Die Vertragsbedingungen sahen einen Auftragsbeginn und eine abnahmereife Fertigstellung vor. Die BVB-VOB enthielten in Nr. 2 folgende Vertragsklausel zur Vertragsstrafe:


„2. Vertragsstrafen (§ 11 VOB/B):

2.1 Der Auftragnehmer hat bei Überschreitung der unter 1. genannten Einzelfristen oder der Frist für die Vollendung als Vertragsstrafe für jeden Werktag des Verzugs zu zahlen:

(…)
∅ 0,2 Prozent der im Auftragsschreiben genannten Auftragssumme ohne Umsatzsteuer;

Beträge für angebotene Instandhaltungsleistungen bleiben unberücksichtigt. Die Bezugsgröße zur Be-rechnung der Vertragsstrafen bei Überschreitung von Einzelfristen ist der Teil dieser Auftragssumme, der den bis zu diesem Zeitpunkt vertraglich zu erbringenden Leistungen entspricht.

2.2 Die Vertragsstrafe wird auf insgesamt 5  Prozent der im Auftragsschreiben genannten Auftragssumme (ohne Umsatzsteuer) begrenzt.

2.3 Verwirkte Vertragsstrafen für den Verzug wegen Nichteinhaltung verbindlicher Zwischentermine (Einzelfristen als Vertragsfristen) werden auf eine durch den Verzug wegen Nichteinhaltung der Frist für die Vollendung der Leistung verbürgte Vertragsstrafe angerechnet.”


Zwischen den Parteien fand ein Bietergespräch statt, in dem – ausweislich des Protokolls – über die Vertragsstrafe nicht verhandelt wurde. In Nr. 5 des Protokolls wurde die Klägerin aufgefordert, ein überarbeitetes Angebot einzureichen. Unter Bezugnahme auf dieses Bietergespräch gab die Klägerin ein „aktualisiertes Angebot” ab. Die Beklagte beauftragte die Klägerin gemäß ihrem Angebot. Die Werkleistungen der Klägerin wurden fertig gestellt und von der Beklagten abgenommen. Der vereinbarte Fertigstellungstermin konnte jedoch nicht eingehalten werden. 

Die Beklagte zahlte den Werklohn deshalb nicht vollständig, da sie gegenüber der Klägerin die vorgesehene Vertragsstrafe geltend machte.

Das erstinstanzliche Gericht hatte der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht das erstinstanzliche Urteil wieder aufgehoben. Nun lag die Sache also am Bundesgerichtshof als letztmöglicher Instanz der Revision.

Und nun: Die rechtliche Bewertung

Die Revision hat Erfolg. 

Der Restwerklohnforderung der Klägerin kann die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung einer Vertragsstrafe wegen Überschreitung der Frist für die Vollendung gem. Nr. 2.1, 2.2 der BVB-VOB entgegenhalten. Denn diese Vertragsklausel hält bei Verwendung durch den Auftraggeber einer AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle nicht stand. Sie ist gem. § 307 I 1 BGB unwirksam, weil sie den Auftragnehmer entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt. 

Die Vertragsstrafenklausel in Nr. 2.1, 2.2 der BVB-VOB ist eine Allgemeine Geschäftsbedingung i.S.v. § 305 I BGB. Verwenderin im Verhältnis zur Klägerin ist die Beklagte, deren Ausschreibung die BVB-VOB enthielt.

Nach Nr. 2.1, 2.2 der BVB-VOB ist die Vertragsstrafe für die Überschreitung der Frist für die Vollendung auf insgesamt fünf  Prozent der vor der Ausführung des Auftrags vereinbarten Netto-Auftragssumme begrenzt. Eine solche Regelung über die Bezugsgröße der Vertragsstrafe beeinträchtigt bei einem Einheitspreisvertrag, wie er hier geschlossen wurde, den Auftragnehmer als Vertragspartner des Verwenders nach § 307 I 1 BGB entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen.

Allgemeine Geschäftsbedingungen sind nach ständiger Rechtsprechung des BGHs nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden. Dabei sind die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen.

Nach diesen Grundsätzen ist zunächst davon auszugehen, dass die Bestimmung über die Vertragsstrafe für die Überschreitung der Frist für die Vollendung in Nr. 2.1, 2.2 der BVB-VOB nach der Vertragsgestaltung eine eigenständige Regelung darstellt, die inhaltlich, optisch und sprachlich von der Vertragsstrafe für die Überschreitung sonstiger Termine getrennt ist. Als solche kann sie einer eigenen Inhaltskontrolle unterzogen werden. Die Auslegung des Begriffs der „im Auftragsschreiben genannten Auftragssumme (ohne Umsatzsteuer)” in Nr. 2.1, 2.2 der BVB-VOB führt nach dem eindeutigen Wortlaut dazu, dass sich die Höhe der Vertragsstrafe nach der vor der Ausführung des Auftrags vereinbarten Netto-Auftragssumme richtet. Zwar ist der Begriff der „Auftragssumme” als solcher grundsätzlich unterschiedlichen Deutungen zugänglich. Hierunter kann – nach den jeweiligen Gegebenheiten – einerseits die nach der Abwicklung des Vertrags geschuldete Vergütung zu verstehen sein, andererseits aber auch derjenige Wert, der sich nach der von den Parteien vor der Ausführung des Auftrags vereinbarten Vergütung bemisst. Vorliegend ist allerdings durch die ausdrückliche Anknüpfung an die „im Auftragsschreiben genannte” Netto-Auftragssumme zweifelsfrei klargestellt, dass als Bezugsgröße der Wert gemeint ist, der sich nach der von den Parteien vor der Ausführung des Auftrags vereinbarten Netto-Vergütung der Klägerin bemisst. Zum  Zeitpunkt der schriftlichen Auftragserteilung steht bei einem Einheitspreisvertrag, bei dem die Mengen und Massen nach dem (späteren) tatsächlichen Verbrauch berechnet werden, nur diese Vergütung fest.

Ausgehend von diesem Klauselverständnis ist die Bestimmung über die Vertragsstrafe für die Überschreitung der Frist für die Vollendung in Nr. 2.1, 2.2 der BVB-VOB bei Verwendung in einem Einheitspreisvertrag, wie er hier geschlossen wurde, gem. § 307 I 1 BGB unwirksam. Nach § 307 I 1 BGB ist eine formularmäßige Vertragsbestimmung unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt. Letzteres ist der Fall, wenn der Verwender durch einseitige Vertragsgestaltung missbräuchlich eigene Interessen auf Kosten seines Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne von vornherein auch dessen Belange hinreichend zu berücksichtigen und ihm einen angemessenen Ausgleich zuzugestehen. Nach der Rechtsprechung des BGHs benachteiligt eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Auftraggebers enthaltene Vertragsstrafenklausel den Auftragnehmer unangemessen, wenn sie eine Höchstgrenze von mehr als fünf Prozent der Auftragssumme bei Überschreiten des Fertigstellungstermins vorsieht. Diese Rechtsprechung knüpft maßgeblich an die mit der Strafe verfolgte Druckfunktion an, den Auftragnehmer zur ordnungsgemäßen Erbringung seiner Leistungen anzuhalten. Zugleich soll sie den Auftraggeber in den Stand setzen, sich bei Verletzung der sanktionierten Vertragspflichten jedenfalls bis zur Höhe der Vertragsstrafe ohne Einzelnachweis schadlos zu halten. Allerdings müssen auch die Interessen des Auftragnehmers berücksichtigt werden. Insbesondere, dass die für die Überschreitung eines Termins vereinbarte Vertragsstrafe unter Berücksichtigung ihrer Druck- und Kompensationsfunktion in einem angemessenen Verhältnis zum Werklohn steht, den der Auftragnehmer durch seine Leistung verdient. Die Druckfunktion erlaubt dabei zwar durchaus eine spürbare Vertragsstrafe. Es ist aber darauf zu achten, dass sich die Vertragsstrafe in wirtschaftlich vernünftigen Grenzen hält. Gemessen daran ist eine Vertragsstrafe von über fünf Prozent der Auftragssumme zu hoch. Der Auftragnehmer wird typischerweise durch den Verlust von mehr als fünf Prozent seines Vergütungsanspruchs unangemessen belastet.

Diesen Wirksamkeitsanforderungen wird die in Rede stehende Klausel bei Verwendung in einem Einheitspreisvertrag nicht gerecht. Maßgebliche Bezugsgröße für die vorgenannte Grenze von fünf Prozent des Vergütungsanspruchs des Auftragnehmers ist die Abrechnungssumme in ihrer objektiv richtigen Höhe. Das folgt aus der Orientierung des Grenzwerts an dem tatsächlichen „Verdienst” des Auftragnehmers, der typischerweise durch den Verlust von über fünf Prozent der Vergütungssumme in vielen Fällen nicht nur seinen Gewinn verliert, sondern einen spürbaren Verlust erleidet. Dem entspricht es, dass für einen möglichen Schaden des Auftraggebers, den die Vertragsstrafe widerzuspiegeln hat, gleichfalls nicht die vor Ausführung des Auftrags vereinbarte, sondern die an den Auftragnehmer tatsächlich zu zahlende Vergütung bestimmend ist. Bei einem Einheitspreisvertrag kann bei der gebotenen generalisierenden Betrachtungsweise die Anknüpfung der Vertragsstrafe an die vor Auftragsdurchführung vereinbarte (Netto-)Auftragssumme im Falle einer – aus unterschiedlichen Gründen (etwa durch Verringerung der tatsächlich ausgeführten gegenüber den bei Vertragsschluss zugrunde gelegten Mengen) nicht bloß theoretisch denkbaren – nachträglichen Absenkung des Auftragsvolumens dazu führen, dass die vom Auftragnehmer zu erbringende Strafzahlung die Grenze von fünf Prozent seines Vergütungsanspruchs – unter Umständen erheblich – übersteigt. Die damit verbundene, den Auftragnehmer i. S. v. § 307 I 1 BGB unangemessen benachteiligende und damit zur Unwirksamkeit der Klausel führende Privilegierung des Auftraggebers wird innerhalb der Regelung nicht anderweit, etwa durch einen dem gegenüberstehenden Vorteil für den Auftragnehmer, ausgeglichen. Die Klausel enthält insbesondere auch keine Vorkehrungen (bspw. durch einen Vorbehalt oder in anderer geeigneter Weise), durch die der Gefahr einer Überschreitung der für die Vertragsstrafe maßgeblichen Grenze angemessen Rechnung getragen wird.

Der Ausblick

​Vertragsstrafenklauseln werden wohl immer wieder einmal Anlass für gerichtliche Auseinandersetzungen bieten. Eigentlich ist es gar nicht einmal so kompliziert, eine rechtmäßige Regelung festzulegen – auch in Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Solange und soweit ein paar „Grundregeln” beachtet werden, stehen die Chancen für den Auftraggeber recht gut, die Sanktion bei Überschreitung der pönalisierten Frist auch erfolgreich durchsetzen zu können. 

Davon unberührt bleibt selbstverständlich die Frage der Sinnhaftigkeit von Vertragsstrafenregelungen, da der hiervon erfasste Betrag nicht selten schlichtweg vom Auftragnehmer in den Angebotspreis von Beginn an mit einkalkuliert wird. Die Entscheidung ob oder ob nicht bleibt daher dem Auftraggeber überlassen und sollte im Einzelfall abgewogen werden. 



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Dr. Julia Müller

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