Wasserstoff im Wärmebereich – Kernaussagen der Bottom Up Studie von Fraunhofer aus Dezember 2022

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​veröffentlicht am 1. März 2023




Deutschland hat sich das Ziel gesetzt, bis 2045 klimaneutral zu werden. Es wird erwartet, dass die zukünftigen Energiesysteme in hohem Maße auf Wasserstoff basieren werden. Die Bedeutung von Wasserstoff im künftigen Energiesystem von Deutschland wird in der Energie- und Fachbranche kontrovers diskutiert und in zahlreichen Studien untersucht. Die Bundesregierung hat durch Maßnahmen wie beispielsweise der Gründung des Nationalen Wasserstoffrats, der Wasserstoffdiplomatie und ersten Förderprogrammen wie dem „H2Global” das Thema auf die Agenda gesetzt. In welchen Sektoren das bisher noch rare Gut „grüner Wasserstoff” eingesetzt werden soll und wie der grüne Wasserstoffbedarf gedeckt wird, darüber scheiden sich die Geister.


Der Wärmebereich hat zum heutigen Stand im Vergleich zum Sektor Verkehr und Industrie einen deutlich höheren Gesamtenergieverbrauch von insgesamt ca. 1.348 TWh. Davon entfallen ca. 780 TWh auf Raumheizung und Warmwasser. 





Quelle: Eigene Abbildungen, Daten AGEB (2021)1 & BDEW (2021)2


Die Metastudie vom Fraunhofer Institut aus dem Jahr 2021 hat die Bedarfsprognosen von 12 Studien gegenüber gestellt, die teils deutliche Spannbreiten in ihren Berechnungen der jeweiligen Szenarien aufzeigen3. Im Gebäudebereich und folglich der Wärmeversorgung wird von einem Großteil der Studien ein geringerer Wasserstoffbedarf prognostiziert. 

Die Frage ist demnach, welche Rolle Wasserstoff im Wärmesektor spielt und ob Erdgas oder Heizöl perspektivisch durch Wasserstoff vollständig ersetzt werden können. Die Bottom-Up Studie4 zu Pfadoptionen einer effizienten und sozialverträglichen Dekarbonisierung des Wärmesektors stellt anhand einer Hochrechnung von Einzelstandorten auf Gesamtdeutschland erste Erkenntnisse speziell für den Wärmesektor vor.

Hauptaussagen der Bottom-Up Studie

Diese Studie wurde von der Fraunhofer-Gesellschaft (ISE und IEE) im Auftrag des Nationalen Wasserstoffrats durchgeführt. Das Ziel ist es, die Dekarbonisierungsstrategien des Wärmesektors am Beispiel von vier unterschiedlichen repräsentativen Standorten (urban/ländlich sowie industriell/nicht industriell) zu untersuchen. Anders als bei Top-down-Studien werden die Aussagen nicht aus Systemsicht hergeleitet, sondern es werden in diesem Fall konkrete Versorgungssituationen im Detail beleuchtet und anschließend Erkenntnisse für den Gesamtmarkt abgeleitet. Hierbei wird insbesondere die Rolle des Wasserstoffeinsatzes untersucht. 

Für die Analyse wurden fünf zukünftige Markt- und Wärmeversorgungsszenarien entwickelt. Wichtige Einflussfaktoren waren dabei zum Beispiel die Wasserstoffverfügbarkeit in Deutschland, der Wasserstoffpreis für Endkunden (Haushalte/Industrie) sowie Strompreise und Erdgaspreise für Endkunden (Haushalte/Industrie).

Für die verschiedenen Szenarien wurden die Vorschläge des Nationalen Wasserstoffrats angesetzt, der für die Betrachtung die Wasserstoffverfügbarkeit im Jahr 2030 zwischen 0 und 200 TWh und im Jahr 2045 zwischen 150 und 1.000 TWh nennt.





Quelle: Eigene Abbildung, Daten [14] Fraunhofer (2022), S. 135


Die Studie untersucht dann je Szenario, Standort und dessen Standortfaktoren, welche Rolle Wasserstoff in der jeweiligen Versorgungssituation spielen kann. Die Schlüsselfaktoren sind zum Beispiel die Einwohnerdichte, Gebäudestruktur und Potenziale an anderen Wärmequellen (z. B. Umweltwärme/Solarthermie). Ein weiterer wichtiger Faktor ist das Potenzial für die Nutzung erneuerbarer Energiequellen, um einen Teil des für die Wasserstoffproduktion benötigten Stroms lokal zu erzeugen. Darüber hinaus unterscheiden sich die Szenarien hinsichtlich der Dimensionen Sanierungsrate/-tiefe, H2-Backbone-Verfügbarkeit, H2-Preise, H2-Verfügbarkeit in Deutschland, Strompreise und Erdgaspreise 2023, Verfügbarkeit EE-Strom, Wärmepumpenaustauschraten und Gaskesselaustauschraten. 

Die folgende Grafik zeigt einen Vergleich zwischen dem hochgerechneten Wasserstoffbedarf für die Wärmeversorgung und der angenommenen Wasserstoffverfügbarkeit in Deutschland für die Jahre 2030 und 2045. Ausschließlich in Szenario 3A wird ein Wasserstoffbedarf im Jahr 2030 angenommen. In den anderen Szenarien ist ein relevanter Wasserstoffbedarf nur im Jahr 2045 erkennbar. In den Szenarien 1, 3 und 3A ist der Wasserstoffbedarf im Jahr 2045 nur zu decken, wenn eine hohe Wasserstoffverfügbarkeit angenommen wird. Die berechnete Differenz zwischen Szenario 3A und 3B ist im Hinblick auf den Wasserstoffbedarf in 2045 gravierend. 
 
Über fast alle Szenarien hinweg wird der Ausbau von (de-)zentralen Wärmepumpen bis 2030 in allen Versorgungsgebieten als wichtigste Dekarbonisierungstechnik identifiziert. Dementsprechend müssten auch das Stromnetz und die Stromerzeugung massiv ausgebaut werden. Der Wasserstoffbedarf liegt in vier von fünf betrachteten Szenarien im Jahr 2030 bei 0 TWh. Insbesondere in den Szenarien mit niedriger Verfügbarkeit von Wasserstoff zu hohen Preisen spielt eine wasserstoffbasierte Wärmeversorgung auch im Jahr 2045 eine geringe Rolle. In dicht besiedelten Regionen mit geringem Prozesswärmebedarf sollen mehr Kunden an Fernwärmenetze angeschlossen werden. Wärmepumpen sollen dort eingesetzt werden, wo Fernwärme nicht infrage kommt. Wenn kein großer Bedarf an Prozesswärme besteht, ist die direkte Elektrifizierung die wichtigste Option. Großwärmepumpen, wasserstoffbasierte Fernwärmesysteme und KWK-Anlagen könnten dann eingesetzt werden, wenn ein erheblicher Bedarf an Prozesswärme im industriellen Bereich besteht.

Die Analyse kommt zu dem Schluss, dass lokale Wärmequellen und die Wasserstoffpreisentwicklung einen erheblichen Einfluss auf die Wasserstoffnutzung im Wärmesektor haben werden. Wasserstoff kommt hier neben fester Biomasse, Direktelektrifizierung und Biogas zum Einsatz, wenn der Bedarf an Prozesswärme deutlich größer als der Bedarf an Raumwärme ist. Die wirtschaftliche Attraktivität dieses Brennstoffs als Lösung für die dezentrale Wärmeversorgung ist nur dann hoch, wenn der Wasserstoffpreis auf dem Markt für die Endverbraucher verhältnismäßig günstig ist. Wasserstoff sollte dann höchstens halb so viel wie Strom kosten. Bei Nah- und Fernwärmenetzen kommt laut den Studienergebnissen Wasserstoff nur dann infrage, wenn andere Alternativen nur eingeschränkt zur Verfügung stehen. In diesem Fall wäre Wasserstoff auch bei höheren Preisen bis zu 40 Prozent in Nah- und Fernwärmenetzen einsetzbar. 

Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass der erhöhte Einsatz von Wärmepumpen für den Wärmesektor mittelfristig sinnvoller ist als der Einsatz von Wasserstoff. Die Analyse berücksichtigt auch die Vorhersage, dass der Markthochlauf für Wasserstoff erst ab 2045 erfolgen wird. Die Begründung liegt darin, dass der Wasserstoffpreis voraussichtlich erst nach dem Jahr 2045 niedriger als der Strompreis sein wird. Als Folge könnten die ersten Wärmepumpen, die ausgetauscht werden müssen, mit einem H2-Kessel ersetzt werden. 

Die Wissenschaftler sehen in der erweiterten Wasserstoffnutzung eine Möglichkeit, die Strominfrastruktur langfristig in ähnlicher Weise zu entlasten. Dazu muss Wasserstoff jedoch so schnell wie möglich in großen Mengen und zu einem günstigen Preis zur Verfügung stehen. Die Gasnetze müssen für die Umstellung vorbereitet sein. Weiterhin muss das Stromnetz massiv ausgebaut werden, um den höheren Strombedarf, der sich z. B. auch aus dem Einsatz von Wärmepumpen ergibt, zu decken. Damit ist der Einsatz von Wasserstoff, dessen Verfügbarkeit und Nachfrage, von vielen Faktoren abhängig, die alle in einem komplexen Zusammenhang stehen. 

Fazit und Handlungsempfehlung für Energieversorger

Die abschließende Frage ist, welche Erkenntnisse die neue Bottom-Up Studie mit sich bringt. Sie eröffnet mit der hier dargelegten Szenariotechnik einen möglichen plausiblen Ergebnisraum für Wasserstoff in der Wärme. Unter den gegebenen Annahmen, die bereits von den Autoren der Studie aufgrund der während der Erstellungsphase sich entwickelten Energiekrise selbst kritisch hinterfragt wurden, ergibt sich ein mögliches Potenzial von 0 bis ca. 170 TWh Wasserstoff im Jahr 2030 und ca. 170 bis 620 TWh in 2050 in der Wärme. Dabei wird keine Diskussion über das „Wie” der Bereitstellung des Wasserstoffs geführt. Weiterhin wird nicht diskutiert, wie die Ergebnisse der verschiedenen Szenarien mit anderen wissenschaftlichen Ergebnissen korrespondieren oder davon abweichen. Es wird nicht verglichen, in welchen Bereichen Wasserstoff bei einer geringeren Verfügbarkeit volkswirtschaftlich sinnvoll ist und wie die Nachfrage der Bereiche Verkehr, Stromerzeugung und Industrie die Ergebnisse beeinflussen kann. Die Bedarfsmengen werden nicht ins Verhältnis zu anderen Technologien wie zum Beispiel Tiefengeothermie oder Abwärme gesetzt. Die Notwendigkeit Wasserstoff im wesentlichen Umfang zu importieren, wird nicht diskutiert. Anders gesagt: In Bezug auf den Einsatz, die Verfügbarkeit und den Markthochlauf von Wasserstoff gibt es weiterhin zahlreiche offene Fragen.

Die wohl wichtigste, aber nicht neue Erkenntnis der Studie ist, dass für den Wärmemarkt keine One-Fits-All-Lösung existiert und dass vor dem Hintergrund der aktuellen Energie- und Importabhängigkeitskrise im Wärmebereich die Lösung bevorzugt werden sollte, die die lokale Wertschöpfung in den Vordergrund stellt und keine neuen verdeckten Emissionen – z. B. durch den Transport der eingesetzten Brennstoffe – erzeugt. Auch in Hinblick auf die Erreichung der ambitionierten Ausbauziele für Erneuerbare Energien in Deutschland bis 2030 zeigt sich, dass Deutschland bei Weitem nicht die Wasserstoffmengen selbst produzieren könnte, die der Bottom-Up Studie im hohen Verfügbarkeitsszenario zugrunde liegen. 

Stadtwerke und Energieversorger können aus den bisherigen Ergebnissen dennoch Rückschlüsse für ihre Geschäftsentwicklung im Bereich der Erdgas- und Wärmeversorgung ziehen. Der Großteil der Studien deutet darauf hin, dass im Jahr 2030 noch keine nennenswerten Wasserstoffpotenziale für die Wärmeversorgung zur Verfügung stehen. Mittelfristig sollten also keine allzu großen Hoffnungen in das Dekarbonisierungspotenzial von Wasserstoff in der Wärme gesetzt werden. Der erhöhte Einsatz von Wärmepumpen scheint mittelfristig für den Wärmesektor sinnvoller als der Einsatz von Wasserstoff.

In der langfristigen Sicht bis 2045 können sich abhängig von dem komplexen Zusammenspiel aus Importen und Eigenerzeugung von Wasserstoff, Entwicklung der Stromerzeugung sowie der Strom- und Gasnetze und den daraus resultierenden Brennstoff- und Energiepreisen unterschiedliche Bedarfs- und Verfügbarkeitspfade von Wasserstoff ergeben. Alle Studienergebnisse rücken die individuelle Lösungsfindung im Wärmebereich in den Fokus. Geeignete Instrumente sind dafür die kommunale Wärmeplanung, die Erarbeitung von spartenübergreifenden Klimaschutzkonzepten, die Diversifizierung von Geschäftsbereichen und nicht zuletzt auch das Förderprogramm „Bundesförderung effiziente Wärmenetze”. Dabei sollten alle möglichen Wärme- und Sektorenkopplungstechnologien untersucht werden und dabei auch die Potenziale der Elektrifizierung quantifiziert und die Investitionen in die Infrastruktur langfristig bewertet werden. Denkverbote sollten dabei nicht existieren. Es lohnt sich ein Blick auf die lokale Wertschöpfung und die industriellen Partner und Potenziale, um ggf. erste Erfahrungen mit dem bislang raren und umstrittenen Produkt „Wasserstoff” zu sammeln. 

Die individuelle Situation vor Ort sollte dabei ganzheitlich analysiert werden. Dazu gehört eine Bestandsaufnahme der Ist-Situation, eine Unternehmens- und Umfeldanalyse sowie nach Möglichkeit die Erarbeitung eines individuellen Stärken- und Schwächen-Profils. Dabei sollten auch Themen wie demografischer und struktureller Wandel sowie Finanzierungsmöglichkeiten und Fördermittelanalysen abgedeckt werden. 


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1 AG Energiebilanzen (2021): „Auswertungstabellen zur Energiebilanz Deutschland”.
2 BDEW (2021): „Die Energieversorgung 2020. Jahresbericht”.
3 Fraunhofer Institut (2021): „Metastudie Wasserstoff – Auswertung von Energiesystemstudien. Link: Metastudie Wasserstoff – Auswertung von Energiesystemstudien – Fraunhofer ISE. 
4 Fraunhofer Institut (2022): „Bottom-Up Studie zu Pfadoptionen einer effizienten und sozialverträglichen Dekarbonisierung des Wärmesektors”. 


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