5-D Strategieinterview mit Marcus Steurer, Geschäftsführer der infa fürth Unternehmensgruppe

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Verantwortung der Stadtwerke für das Gelingen der Energiewende

Rödl & Partner: Welche gesellschaftliche und unternehmerische Verantwortung tragen Stadtwerke für das Gelingen der Energiewende?


Marcus Steurer: Als Stadtwerke oder Energieversorger sind wir der Garant der Energiewende. Ohne uns kann eine Energiewende nicht stattfinden. Wir sind Derjenige, der die Energie als Netzbetreiber vom Erzeuger zum Verbraucher bringt, egal wie und wo sie erzeugt wird. Wenn wir da nicht zukunftsorientiert agieren, dann wird die Energiewende nicht gelingen können. Darüber hinaus sind wir als Stadtwerke auch sehr nahe an der Politik dran und können so auf die Kommunalpolitik, aber auch auf die Landes- und Bundespolitik durch Verbände Einfluss nehmen. Als Stadtwerkevertreter und Vorstandsmitglied der VKU Landesgruppe Bayern muss ich hier kritisieren, dass die Politik leider oft zu wenig auf uns hört. Obwohl wir über ein sehr großes Know-how verfügen und klar sagen können, was in Bezug auf die Energiewende Sinn bzw. keinen Sinn macht, fragt die Politik nur die großen Versorger wie beispielsweise eine E.ON Bayern oder vielleicht noch die N-ERGIE. Die kleinen Stadtwerke, von denen wir in Deutschland ca. 1.000 haben, werden dagegen oft nicht angehört, welche Konsequenzen die Energiewende für sie mit sich bringt. Zwar sind wir z.B. von dem Thema Kohleausstieg nicht direkt betroffen, aber wir müssen ebenfalls mit den Folgen daraus leben. 

Auswirkungen des Klimaschutzprogramms 2030 der Bundesregierung

Rödl & Partner: Welche Auswirkungen haben die Maßnahmen des Klimaschutzprogramms 2030 der Bundesregierung auf Ihr Unternehmen?

 
Marcus Steurer: Wir sind nicht von allen Punkten des Klimaschutzprogramms direkt betroffen. Ein Thema ist natürlich die CO2-Bepreisung, die durchaus sinnvoll ist, aber im Prinzip auch nicht neu ist. Schlussendlich müssen die Kosten für CO2-Zertifikate auf den Verbraucher umgelegt werden, was die Energie noch teurer macht. Und je schmutziger der Energieträger desto teurer. Als Stadtwerke stehen wir hierbei wieder in der Pflicht, unseren Erdgaskunden diese Mehrkosten - genau wie die zahlreichen anderen Umlagen - erklären zu müssen. Damit stehen wir vor einer kommunikativen Herausforderung, ohne selbst etwas davon zu haben. Daneben wird das Thema auch Auswirkung auf unseren Vertrieb haben. 

Klimaschutzthemen der infra fürth unternehmensgruppe

Rödl & Partner: Was machen Sie in Ihrem Unternehmen um dieser Forderung nach Klimaschutz gerecht zu werden?


Marcus Steurer: Ein wichtiges Thema ist die Elektromobilität, die durch die politische Maxime auch durch das Klimaschutzpaket 2030 stark gefördert werden soll. Dahingehend bedauern wir, dass das Thema Erdgasmobilität jetzt leider stirbt, da wir die Hälfte unserer Fuhrparkflotte bereits auf Erdgas umgestellt haben und diese Technologie als hervorragende Brückentechnologie verstehen. Aber wenn die Politik nicht will und die Industrie das nicht weiter forciert, dann stirbt eben eine gute und etablierte Technik.

 

Als infra sind wir beim Thema Elektromobilität bereits seit 2012 Mitglied im Ladeverbund + - genau wie 60 weitere Stadtwerke in Nordbayern und haben im Verbund erst letzte Woche die 555-ste Ladesäule in Schwabach eingeweiht.
Das ist eine relativ große Anzahl, so dass wir derzeit innerhalb unseres Gebiets pro sieben Elektrofahrzeugen einen Ladepunkt zur Verfügung stellen und die Bundesvorgabe - pro vierzehn Elektrofahrzeugen einen Ladepunkt - weit übertreffen.

 

Die Aussage – „man könne nirgends Laden” - , die häufig von Fahrern mit Verbrennungsmotoren kommt, stimmt einfach nicht. Ich fahre selbst seit 14 Monaten ein Elektroauto und hatte noch nie Probleme damit, einen Ladepunkt zu finden, auch wenn es ggf. die Steckdose an der Hauswand eines Hotels ist. Ich habe auch die Erfahrung gemacht, dass ich mit meinem Elektroauto selbst weite Strecken, wie beispielsweise nach Südtirol, problemlos fahren kann. Ein Aufenthalt auf der Autobahnraststätte dauert meistens mindestens 20 Minuten. In dieser Zeit ist das Elektroauto fast wieder vollgeladen.

 

Als Energieversorger befassen wir uns natürlich auch weiterhin mit dem Thema Elektromobilität, da es unserem ureigenen Kerngeschäft der Energieversorgung entspricht und stellen auch die Ladeinfrastruktur sukzessive und simultan zur steigenden Anzahl der Elektrofahrzeuge bereit, auch wenn wir damit derzeit noch nichts verdienen.

 

Für Privathaushalte bieten wir Wallboxen an. Unternehmen können ganze Ladeinfrastrukturlösungen von uns beziehen. Zukünftig werden Arbeitgeber Ladeinfrastruktur vorhalten müssen, wenn sie für Ihre Mitarbeiter weiter attraktiv bleiben wollen. Sonst kommen die Mitarbeiter schlicht und einfach nicht mehr.

 

Ein weiteres wichtiges Thema ist die Förderung des ÖPNV im Bereich Klimaschutz. Als ÖPNV Anbieter ist das ein sehr wichtiges Thema für uns. Wir haben bereits drei E-Busse, die überraschend gut laufen, waren Vorreiter in Bayern und beschaffen in den kommenden zwei Jahren sechs weitere E-Busse. Damit ersetzen wir sukzessive unsere Busflotte gegen möglichst klimafreundliche Alternativen, schauen aber auch immer wieder, was es neben E-Bussen an neuen Alternativen gibt. 

Sichtweise auf die aktuelle Wasserstofftechnologie

Rödl & Partner: Was sagen Sie zu Wasserstoff?


Marcus Steurer: Obwohl derzeit Wasserstoff in aller Munde ist, halte ich das Thema für Stadtwerke aktuell noch zu verfrüht, um als gesetzt zu gelten, auch wenn wir es selbst auf unserer Agenda haben. Wir befinden uns beim Thema Wasserstoff noch sehr weit im Bereich der Forschung & Entwicklung. Es gibt aktuell keine Wasserstofftechnik die massentauglich ist. Natürlich gibt es den ein oder anderen Wasserstoffbus. Aber das sind Einzelprodukte, die funktionieren. Es gibt noch keine Infrastruktur. Wasserstoff ist zwar ein wahnsinnig spannendes Thema, aber derzeit noch viel zu teuer und ich muss mich als kommunales Unternehmen fragen, ob ich mir das leisten kann und inwieweit es für mich umsetzbar ist. Wir müssen die Wirtschaftlichkeit klar im Vordergrund sehen.

 

Als Stadtwerk unterstützen wir das Thema derzeit nur, indem wir Forschungs- und Entwicklungsprojekten Daten zur Verfügung stellen können, die beispielweise durch einen echten Praxisbetrieb eines zur Verfügung gestellten Wasserstoffbusses gewonnen werden. Hier gehen wir gerne Kooperationen mit Forschungsinstituten ein. So zum Beispiel auch im Bereich des Netzumbaus hin zur dezentralen Energiewelt. Hier sind wir schon seit einigen Jahren mit dabei. Wir stellen die Netzinfrastruktur sowie eine offene Datenstruktur mit Schnittstelle zur Verfügung, so dass Forschungseinrichtungen darauf zugreifen können und ohne virtuelle Simulationen in Echtzeit sehen können, wie beispielsweise die regelbaren Ortstransformatoren funktionieren oder was passiert, wenn in einem Ortsteilnetz mittags zu viel PV eingespeist wird. Das ist unser Beitrag, den wir leisten können.

 

Grundsätzlich bin ich davon überzeugt, dass dem Elektromotor die Zukunft gehört. Es stellt sich momentan nur die Frage, wie er gespeist wird. Um die Energie bereitstellen zu können, sind wir aktuell bei der Batterietechnik und Wasserstoff ist die Alternative. Wann die Wasserstofftechnik ausgereift ist, wissen wir noch nicht.

 

Aber ich sehe das auch so: Weil wir immer nur von dem heutigen Stand der Technik ausgehen, bedeutet das doch nicht, dass neue Erfindungen und revolutionäre Technik in 5 bis 20 Jahren selbst die heutige Ladeinfrastruktur obsolet machen könnten. Vor wenigen Jahren konnte sich auch noch niemand vorstellen, dass es mal einen USB-Speicher mit Terrabytes gibt. Hier empfehle ich das Buch „Nächste Ausfahrt Zukunft: Geschichten aus einer Welt im Wandel” von Ranga Yogeshwar. Hier beschreibt er diese Themen und ein Zitat von ihm ist: „Wir betrachten das Neue mit alten Augen”. Und genau da liegt das Problem. Was wir uns heute noch nicht erklären oder vorstellen können, gibt es in unseren Augen nicht. Wir müssen lernen offen für Neues, agil und flexibel zu sein.

Umgang mit der Unsicherheit einer VUCA-Welt

Rödl & Partner: Das bedeutet aber auch, dass Sie als Geschäftsführer, der in Geschäftsmodelle und Technologien investiert, sehr stark auf Sicht fahren müssen, um diese Flexibilität aufrecht zu erhalten. Wie gehen Sie damit um, dass Sie dann nicht auf das falsche Pferd setzen?


Marcus Steurer: Das ist richtig. Darum setzen wir beispielsweise nach wie vor überwiegend auf konventionelle Busse mit Diesel-Verbrennungsmotoren mit bewährter Technik und schaffen lediglich nach und nach in geringerem Verhältnis E-Busse an. Das heißt, ich beschreite den Weg hin zu neuen Technologien, allerdings mit Augenmaß, möchte aber mit unserem Unternehmen vor allem schnell und flexibel sein. Das ist der Grund, warum wir gerade unser Unternehmen hin zu einem wendigen, agilen Unternehmen umbauen.

 

Die Welt wird so schnell. Die Coronakrise ist dafür ein perfektes Beispiel. Vor einem Jahr hätten wir uns nicht denken können, was jetzt durch die Coronakrise alles passiert ist. Wenn ich jetzt ein Unternehmen bin, dass nicht wendig ist und nicht schnell reagieren kann, dann gibt es mich vielleicht schon gar nicht mehr. Und darum müssen wir lernen schnell auf neue Einflüsse in dieser VUCA-Welt zu reagieren.

 

Ein gutes Beispiel für Agilität ist beispielsweise Trigema, die als Textilhersteller in der Coronakrise ihre Produktion kurzerhand auf Mund- und Nasenmasken umgestellt haben. Das finde ich super. Die unternehmerische Herausforderung liegt darin, dass ich als Unternehmen erkenne, wo ich momentan in der Wirtschaft meinen besten Beitrag leisten kann und dabei auch für das neue Produkt oder Geschäftsmodell den entsprechenden Geldfluss zurückbekomme. 

Umgang mit dem Spannungsfeld: Langfristige Investitionspolitik versus Agilität

Rödl & Partner: Ist das nicht ein Widerspruch, dass Sie einerseits ressourcenbedingt auf Sicht fahren und trotzdem schnell im Wandel sein zu wollen?


Marcus Steurer: Mir ist bewusst, dass das auf den ersten Blick unlogisch erscheint und so klingt, als ob wir den Entwicklungen hinterherlaufen. Aber für mich widerspricht es sich das dann nicht, wenn ich ein langfristiges Ziel und eine Vision habe. Ein langfristiges Ziel ist ein Siebenjahresziel. Mein langfristiges Ziel ist beispielsweise, meinen ÖPNV langfristig klimaneutral aufzustellen. Um dieses langfristige Ziel zu erreichen, muss meine Busflotte mittelfristig mit einer bestimmten Quote zu unserem klimaschonenden Mobilitätskonzept beitragen. Für das „Wie” kann es in den nächsten Jahren völlig unterschiedliche Konzepte geben. Vielleicht sind es mehr E-Busse, dann vielleicht auch Wasserstoffbusse oder gar ganz neue Mobilitätskonzepte.

 

Man kann das mit Bergsteigen vergleichen. Als Bergsteiger ist es mein Ziel, auf diesen Gipfel zu kommen. Ich kann mir dazu einen Weg aussuchen und diesen Stur gehen. Jetzt kann es sein, dass es auf dem Weg ein Steinschlag gab, was ein vorankommen unmöglich macht. Nun kann ich entweder wieder umkehren oder ich erkunde einen neuen Weg, um auf den Gipfel zu kommen. Zu keinem Zeitpunkt vergesse ich mein Ziel, auch wenn ich eventuell einen Umweg gehen muss. Und genau da liegt der Unterschied zwischen einem trägen und agilen Unternehmen. Ein träges Unternehmen kennt nur den einen Weg und ist in Anbetracht des Steinschlags aufgeschmissen. Ein träges Unternehmen kapituliert und sagt, dass es das Ziel nicht mehr erreichen kann. Dann werden vielleicht Arbeitskreise gebildet, wie man diesen Stein aus dem Weg schaffen kann. Ein agiles Unternehmen sucht dagegen neue Wege und Möglichkeiten das Ziel dennoch zu erreichen. 

Methodik zur Transformation in ein agiles Unternehmen

Rödl & Partner: Wie sieht dann Ihre Transformation hin zu einem agilen Unternehmen aus und auf welche Methodik greifen Sie dabei zurück?


Marcus Steurer: Mit Hilfe der Methode „Objectives and Key Results”, die wir stadtwerkegerecht in „Ziel und Maßnahmenplanung” umbenannt haben, führen wir gerade ein modernes Management ein, das die einzelnen Aufgaben von Teams und Mitarbeitern mit Unternehmensstrategie, -plänen und -vision verknüpft. Dabei definieren wir langfristige Ziele für die einzelnen Geschäftsbereiche und schauen uns die Prozesse an. Im Bereich Netz gibt es beispielsweise die Prozesse Planung, Bau, Betriebsführung sowie Störungsbeseitigung. Jedes Stadtwerk hat diese Prozesse. Nachdem wir jetzt alle Prozesse der einzelnen Geschäftsbereiche beleuchtet haben, haben wir verschiedene Doppelungen identifiziert, die wir jetzt als zentrale Dienstleistung innerhalb unserer Wertschöpfung zusammenführen. Im Mittelpunkt steht immer die Leistung und der Nutzen, den wir für unsere Kunden erbringen. Für jedes langfristige Ziel der einzelnen Geschäftsbereiche gibt es jetzt Prozessverantwortliche, die das langfristige Ziel mit Maßnahmen und zeitlichen Meilensteinen unterlegen.

 

Mit Hilfe einer Software, die wir gerade einführen, überprüfen wir den Zielerreichungsgrad und können so die verschiedenen Prozesse, bezogen auf unsere Ziele, besser steuern. Wenn etwas nicht funktioniert, wie geplant, sucht der Prozessverantwortliche zusammen mit seinem Team nach neuen Lösungsansätzen. Alle Prozessverantwortlichen berichten regelmäßig über ihre Erfolge, Hürden oder auch Misserfolge, indem Sie ihre Ergebnisse präsentieren. Dabei kann es sein, dass ein Ziel von dem jeweiligen Prozessverantwortlichen aufgrund von externen Einflüsse nicht erreicht wird und ihn keine Schuld trifft. Aber wir wissen durch den regelmäßigen Abgleich rechtzeitig Bescheid und können so schneller darauf reagieren. 

Von Hierarchien zu Prozessverantwortlichen

​Rödl & Partner: Heißt das, dass Sie die üblichen statischen Hierarchien durch Prozessverantwortliche ersetzen?


Marcus Steurer: Das ist unser langfristiges Ziel. Aktuell haben wir noch eine klassische hierarchische Struktur. Langfristig wollen wir die hierarchischen Strukturen viel flacher machen. Wir möchten die Kultur dahingehend verändern, dass jeweils der Mitarbeiter mit der entsprechenden Prozesskompetenz gefragt wird, um die jeweiligen Ziele zu erreichen. Und wenn sich jemand zu einem bestimmten Thema bzw. Prozess auskennt, wird er der Prozessverantwortliche. 

Kulturwandel nachhalten

Rödl & Partner: Lässt sich dieser starke Kulturwandel mit langjährigen und altgedienten Mitarbeitern so auch umsetzen? Wie wollen Sie den Kulturwandel nachhalten?


Marcus Steurer: Ja das ist natürlich nicht ganz so einfach wie es klingt. Aber diesen Kulturwandel haben wir vor etwa drei Jahren angestoßen und verstehen ihn als einen langfristigen Veränderungsprozess. Der Kulturwandel hat begonnen und funktioniert. Jetzt geht es darum diese neue Kultur nachzuhalten.

 

Auch wenn dieser Veränderungsprozess gerade wieder etwas abgeflacht ist, haben wir seit Februar eine neue Mitarbeiterin für die interne Unternehmenskommunikation eingestellt. Diese Mitarbeiterin tut nichts anderes als für interne Unternehmenskommunikation da zu sein. Sie wird dieses Thema wieder aufgreifen. Momentan führt sie Interviews mit den verschiedenen Mitarbeitern und erkundigt sich nach ihrem Befinden bzw. zu der subjektiv empfundenen IST-Situation. Aus den Ergebnissen werden wir eine Strategie entwickeln, wie wir zukünftig intern miteinander kommunizieren. Sie wird auch als Kommunikationsprozessverantwortliche dafür verantwortlich sein, dieses Thema bei den Mitarbeitern nachzuhalten. 

Digitalisierung bei der infra fürth unternehmensgruppe

Rödl & Partner: Wie stehen Sie dem Thema Digitalisierung Ihres Unternehmens gegenüber?


Marcus Steurer: Wir haben das Thema Digitalisierung bewusst nicht im Bereich IT sondern als einen eigenen strategischen Prozess angesiedelt. Wir beschäftigen uns mit allen Themen der Digitalisierung, aber wir machen die Digitalisierung ja nicht, sondern die Digitalisierung kommt und wir müssen damit umgehen. Der Kunde will mit uns digital kommunizieren und darum müssen wir auch die digitalen Kanäle bedienen. Hierbei muss man externe und interne Digitalisierung unterscheiden. Extern haben wir seit Jahren ein Kundenportal, was wir derzeit ganz neu überarbeiten und intern gibt es bei uns schon lange keine Laufzettel mehr. Genehmigungsverfahren bei Beschaffungen laufen komplett über eine Software und wir haben auch PDF-Formulare, die ich digital unterschreiben kann. Wir hinterfragen permanent die verschiedenen Prozesse und suchen nach neuen digitalen Lösungen.

 

Ein Beispiel, was mir in Bezug auf die Digitalisierung und auch zum Thema Agilität besonders gut gefällt, ist unser neues Online-Ticket-Buchungssystem für unser Freibad, das wir aufgrund der Corona Vorgaben einführen mussten. Ich bin sehr stolz auf meine Mitarbeiter, dass wir innerhalb von 10 Tagen die SaaS-Lösung von DIPKO voll integriert hatten und seitdem über 42.000 Tickets verkauft und damit über 145.000 Euro umgesetzt haben. Wir haben jetzt 7.500 Kundenkonten, denen ich über diese 360-Grad Kundenplattform weitere Produkte anbieten kann. So kann ich beispielsweise zukünftig ein ÖPNV-Ticket mit einem ermäßigten Bäderticket verknüpfen und vieles mehr. Wir haben in diesem neuen Portal bald mehr Nutzer als in einem klassischen Kundenportal. Und das innerhalb von nur wenigen Wochen.

 

Darüber hinaus haben wir seit 15 Jahren eine IT Zertifizierung. Ein Teil unseres Managementprozesses ist es auch, jedes Jahr unsere IT-Strategie zu überprüfen. Der Weg geht langsam immer mehr zur Cloudlösung, anstatt ein eigenes Rechenzentrum zu betreiben. Klar laufen unsere Hauptanwendungen immer noch in unserem Rechenzentrum, aber wir arbeiten mit Microsoft 365 und auch unsere E-Mail-System liegt nicht mehr bei uns. Das macht uns auch mobiler.

Coronakrise: Umgang mit Home Office und Kurzarbeit

Rödl & Partner: Welchen Bedarf hat die Coronakrise in Ihrem Unternehmen sichtbar gemacht?


Marcus Steurer: Durch Corona haben wir gemerkt, dass Home Office für uns kein großes Thema war und auch nicht ist. Nicht weil wir es nicht wollen, sondern weil es die Mitarbeiter gar nicht wollen. Den klassischen Home Office Arbeitsplatz gibt es bei uns nicht, sonst müsste ich gemäß den Arbeitsplatzrichtlinien alles zur Verfügung stellen.

 

Darum haben wir angeboten, ein Laptop zur Verfügung zu stellen. Unsere Mitarbeiter müssen im Home Office dann ihre Stunden unabhängig einer festen Kernarbeitszeit aufschreiben, weil es mich nicht interessiert, wann sie die geforderte Arbeitsleistung erbringen das Arbeitsergebnis ist ja das Wichtigste. Es ist ja gerade der Vorteil des mobilen Arbeitens, dass sich die Mitarbeiter Ihre Zeit selbst einteilen können.

 

Wir haben ca. 600 Mitarbeiter und davon sind ca. 200 Busfahrer. Die betrifft eine Home Office Lösung sowieso nicht. Von den übrigen 400 Mitarbeiten haben vor Corona lediglich 25 Home Office genutzt. Also eine sehr geringe Anzahl. Aber nicht, weil wir es nicht erlaubt haben, sondern weil die Mitarbeiter kein Interesse daran hatten und gerne ins Büro kommen oder in die Kantine gehen und eben auch den sozialen Kontakt schätzen.

 

Als Corona kam, haben wir uns gefragt, welcher Arbeitsplatz überhaupt für das Home Office geeignet ist und dabei 150 Arbeitsplätze identifiziert. Diesen 150 Mitarbeitern haben wir es freigestellt, im Home Office zu arbeiten. Das Problem war dann nur, dass wir nicht genügend Laptops hatten und der Markt ausverkauft war. Wir hatten nur 60 Laptops und haben dann angeboten, die Laptops zu tauschen oder über die Arbeit mit dem privaten Rechner remote über CITRIX zu verrichten. Das haben viele Mitarbeiter dann auch gemacht, aber selbst in der Hochphase hatten wir lediglich 80 Mitarbeiter gleichzeitig im Home Office und konnten so die Abstandsregeln in den Büros problemlos einhalten. Aktuell haben wir ca. 35 Mitarbeiter im Home Office und sehen für Home Office bei uns nach wie vor keinen großen Bedarf. Denn anders als beispielsweise Siemens sparen wir uns durch Home Office auch keine Kosten ein.

 

Insgesamt haben wir uns bemüht und entschieden, dass Thema Corona mit einer gewissen Ruhe zu bearbeiten. Man lernt in der Krise den Charakter der Menschen kennen. Wenn alles ruhig und normal läuft, kann sich jeder so verstellen, dass er sozial adäquat funktioniert. Aber sobald eine Krise kommt, zeigt sich das wahre Ich. Der eine ist sehr entspannt, der andere sehr ängstlich oder negierend. Und das hat man auch an den unterschiedlichen Reaktionen der Geschäftsführer gemerkt.

Auch Unternehmen haben sehr unterschiedliche Charaktere in der Geschäftsführung. So haben manche Kurzarbeit angemeldet und diese staatliche Maßnahme für sich genutzt und Geld von der Bundesregierung bezogen. Wir haben keine Kurzarbeit beantragt, hatten aber auch den Vorteil, dass die Bademeister nicht direkt bei uns angestellt sind.

 

Das einzige was wir nicht gemacht haben, ist, dass wir für mehrere Wochen keine Zähler ausgewechselt haben. Aber wenn etwas kaputt war, mussten wir trotzdem raus.
Im Busbetrieb haben wir bis auf zwei Wochen mit Notfahrplan unsere Leistungen trotz der geringen Beförderungszahlen weiter aufrecht erhalten.

 

Die Verwirrung und Demotivation von Kurzarbeit bei den Mitarbeitern steht für uns in keinem Verhältnis zu dem Aufwand und der kurzen Zeit von zwei Wochen, für die wir vielleicht Kurzarbeit beantragen hätten können. So haben wir unsere Mitarbeiter lediglich dazu angehalten, auch mal Dinge zu erledigen, die im laufenden Geschäftsbetrieb regelmäßig liegen bleiben. Die Mitarbeiter haben es uns dann dadurch gedankt, dass wir die geringsten Krankheitsquoten hatten, die wir jemals erlebt haben. 

Smart-City-Leistungen / Breitband-Telekommunikation bei der infra fürth unternehmensgruppe

Rödl & Partner: Welche Rolle spielt für Sie das Thema Smart-City und Breitband?


Marcus Steurer: Wir bearbeiten aktuell bereits das Thema LoRaWAN und haben ein LoRaWAN-Netz in Kooperation mit der N-ERGIE aufgebaut und beginnen jetzt testweise Sensorik zu verbauen.
Auf unseren Gästeparkplätzen können sie die gelben Sensoren auf dem Boden sehen, die uns zeigen, wie lange Sie bei uns parken. Wir testen diese LoRaWAN-Sensorik gerade mit einem Fürther Start-Up. Diese Park-Sensorik scheint für uns zwar zunächst eher uninteressant, aber es wäre eine Dienstleistung, die wir für die Kommune oder Firmen erbringen können.

 

Smart City ist im klassischen Sinn kein Geschäftsfeld. Es bringt mir erstmal nichts Parksituationen, Verkehrsflüsse, Zustände von Bäumen oder Füllstände von Mülltonen zu erfassen. Aus den gewonnen Daten können jedoch wichtige Erkenntnisse gewonnen werden. Zukünftig könnte dies daher eine Dienstleistung für Unternehmen oder die Kommune sein. Das halten wir für spannend.

 

Was wir dagegen nicht machen, weil wir spüren, dass es unsere Kunden auch nicht nachfragen, sind Smart-Home Lösungen. Man hört immer, wie wichtig dieses Thema sei, aber es gibt auch noch keine etablierte Smart Home Lösung. Amazon Alexa macht in dieser Hinsicht etwas, aber wir müssen uns aktuell fragen, ob wir wirklich der Anbieter für eine Smart Home Lösung sein wollen und können. Ich erweitere mein Know-how auch nicht so schnell auf ein Niveau von Amazon oder der Telekom, dieses datengetriebene Geschäftsmodell in einen gewinnbringenden Nutzen zu verwandeln.

 

Auch das Thema Breitband-Telekommunikation bearbeiten wir aus historischen Gründen nicht. Wir haben hier in der Vergangenheit nichts gemacht und der Wettbewerb ist inzwischen so groß, dass wir in Anbetracht der hohen Investitionskosten und des damit verbundenen Aufwands nicht erkennen können, wie sich das eines Tages rechnen kann. 

Status quo des Fachkräftemangels durch die demografische Entwicklung

Rödl & Partner: Mit Blick auf den demografischen Wandel: Was tun sie um einem drohenden Fachkräftemangel zu begegnen und sich im Wettbewerb um Mitarbeiter zu profilieren?


Marcus Steurer: Das ist ein sehr spannendes Thema, da der demografische Wandel auch immer als eine sehr große Herausforderung gesehen wird. In unserem Unternehmen stelle ich allerdings fest, dass wir aktuell noch keine größeren Probleme mit Fachkräftemangel haben. Und dies liegt aus meiner Sicht daran, dass wir mit Maßnahmen wie beispielsweise der Altersteilzeit frühzeitig begonnen haben, unsere Belegschaft zu verjüngen. Darüber hinaus haben wir in den letzten Jahren das Thema der Arbeitgebermarke forciert und in das Thema Arbeitgeberattraktivität investiert.

 

So bekommen wir auf unsere Stellenausschreibungen nach wie vor sehr viele und gute Bewerbungen. Jetzt in der Corona-Phase sowieso. Allein bei den Azubis, für die wir jedes Jahr ca. 5 Stellen ausschreiben, gingen die Bewerbungen eine Zeitlang bis auf 20 Bewerbungen pro Stellenausschreibung zurück. Nachdem wir dann nicht immer schnell genug auf die Bewerbungen reagiert haben, hatten die aussichtsreichsten Kandidaten dann bereits woanders einen Ausbildungsplatz gefunden. Allerdings haben wir unsere Reaktionszeit wieder stark verkürzt und jetzt keine Probleme mehr damit. Aktuell bekommen wir wieder annähernd 60-80 Bewerbungen auf einen Ausbildungsplatz.

 

Ich bin davon überzeugt, dass alle Stadtwerke attraktive Arbeitgeber sind, die ihre Attraktivität aber auch richtig kommunizieren müssen. Dass wir keinen Fachkräftemangel haben, liegt jedoch sicher auch an unserer guten städtischen und geografischen Lage. In ländlicheren und strukturschwachen Lagen kann dies natürlich anders aussehen. 

Aktuelle Herausforderung der Personalpolitik

Rödl & Partner: Welches Thema nimmt dann hinsichtlich Ihrer Personalpolitik derzeit eine wichtige Rolle ein?


Marcus Steurer: Unsere aktuelle Herausforderung liegt derzeit vielmehr in unserer Personalverjüngung als in dem Problem einer Überalterung. Unsere jungen Mitarbeiter ticken völlig anders und passen damit grundsätzlich ideal zu unserem neuen Prozessuniversum. Dennoch stellt es eine große Herausforderung dar, diese neue, ungewohnte Mentalität dieser jungen Leute in unsere bestehenden Strukturen zu integrieren. So hat mir eine junge Kollegin bereits nach zwei Tagen nach ihrem ersten Arbeitstag in großer Runde widersprochen. Sie hatte am Ende zwar recht, aber zu meinen Anfängen, hätten wir uns das nicht getraut, dem Geschäftsführer zu widersprechen. Ich fand das spannend, weil es mir zeigt, mit welchem Selbstverständnis die jungen Leute heute agieren, ticken und denken. Sie denken und handeln viel agiler im Sinne Ihrer Aufgaben und agieren auch hinsichtlich ihrer eigenen Work-Life-Balance beim Thema Home Office mit großem Selbstverständnis sehr flexibel. Damit ist der Wechsel von den klassischen Strukturen hin zu diesem modernen, agilen Denken die eigentliche Herausforderung. 

Notwendige Rahmenbedingungen für die junge Generation an Mitarbeitern

Rödl & Partner: Welche Rahmenbedingungen muss man dann für die junge Generation an Mitarbeitern schaffen, um sie einerseits ins Unternehmen zu integrieren und andererseits ihren Ansprüchen gerecht zu werden?


Marcus Steurer: Die jungen Mitarbeiter brauchen viel Freiheit. Sie wollen Verantwortung, die man ihnen geben muss. Und sie wollen eine Umgebung, in der sie das Gefühl haben, sie können etwas verändern und gestalten. Und zwar sehr schnell und sehr aktiv gestalten. Unabhängig davon auf welcher Hierarchiestufe sie sich gerade befinden. Die jungen Leute denken nicht in Hierarchien, sondern in zu erfüllenden Aufgaben. Und wenn sie den hierarchisch und formell höheren Autoritäten widersprechen oder etwas kritisieren, tun sie das aus der Sache heraus und meinen das nicht negativ oder kontraproduktiv. Und darum wollen wir auch langfristig von diesen Hierarchien weg und hin zu allgemeinen Leitungsfunktionen. Dabei spielt für mich die Bezeichnung einer Abteilungsleitung oder Teamleitung keine Rolle, sondern vielmehr die Funktion der Leitung selbst. Ich leite irgendetwas und bin daher auch dafür verantwortlich. Und diese Verantwortlichkeit für die Leitung von irgendetwas in den Mittelpunkt zu stellen, statt einem hierarchischen, formellen Titel ist die große Herausforderung und trifft sicher auch bei altgedienten, autoritär geprägten Abteilungs- oder Teamleitern immer wieder auf Widerstand. Aber ich möchte nach und nach die formellen Titel gegen allgemeine Leitungsfunktionen ersetzen. 

Themen der Diversifizierung der infra fürth unternehmensgruppe

Rödl & Partner: Welche Maßnahmen ergreifen Sie hinsichtlich der Diversifizierung, um sich die Chancen daraus erfolgreich zu erschließen?

 

Marcus Steurer: Quartiersversorgung ist ein hoch spannendes Thema, dem wir uns jetzt auch angenommen haben. Seit Jahren bedienen wir das Thema Mieterstrom und gehören bei diesem Thema zu den Top-10-Anbietern in Deutschland. Dies liegt daran, weil wir bereits sehr früh und unter rechtlich unklaren Bedingungen damit begonnen haben. Wir sind darüber hinaus gerade dabei, das Thema Post-EEG-Ära für alte PV-Anlagen zu erschließen.

 

Ein Thema, das wir als Stadtwerke völlig verpennt haben, ist das Thema Photovoltaik.
Als damals zwischen den Jahren 2005 bis 2010 der Photovoltaikboom war, haben wir nicht erkannt, wieviel Geld mit Photovoltaikanlagen zu verdienen ist und dieses Geschäft den Installateuren und Importeuren überlassen, die sich damit eine goldene Nase verdient haben. Unsere damalige Einstellung oder Haltung, dass die Photovoltaikanlage meinen Stromverkauf wegnimmt und damit Teufelszeug ist, war einfach falsch. Hier mussten wir einen Paradigmenwechsel vollziehen und nehmen heute neue Themen und Entwicklungen wesentlich positiver und proaktiver auf.

 

Heute verkaufen wir auch ganz erfolgreich seit ca. 5 Jahren Photovoltaikanlagen mit Speicher. Dabei verkaufen wir inzwischen mehr Photovoltaikanlagen mit Speicher als ohne. Als Stadtwerke vertrauen uns unsere Kunden bei diesem Thema auch aufgrund unserer vertrauensvollen Unternehmensmarke und bleiben uns so treu.

 

Ein weiteres Thema sind Kooperationen, die wir schon seit Jahren mit befreundeten Stadtwerken leben. Und da sehe ich auch eine gewisse Einzigartigkeit, nachdem es vermutlich nur wenige Branchen gibt, wo Marktteilnehmer so stark kooperieren, um sich neue Themen zu erschließen. Dies wollen wir auch zukünftig weiter forcieren. 

Zahlungsausfälle in der Coronakrise

Rödl & Partner: Wie sind Sie als Stadtwerk bislang durch die Coronakrise gekommen?

 

Marcus Steurer: Wir sind bislang als Stadtwerke mit weniger als einem halben blauen Auge durch die Coronakrise gekommen. Zu Beginn hatten wir Angst, als durch das Corona-Gesetz die Stundungserlaubnis kam, aber es haben nur eine Handvoll Kunden mit weniger als 10.000 Euro davon Gebrauch gemacht. Dann hatten wir zwar zehnmal so viele Trittbrettfahrer, die einfach nicht bezahlt haben. Nachdem wir dann aber etwas verzögert Mahnungen versendet haben, haben diese dann in der Regel auch bezahlt. Wir sind mit den Liquiditätsproblemen unserer Kunden insgesamt sehr offen umgegangen und haben stets Gesprächsbereitschaft signalisiert. Bei leistungsgemessenen Kunden der Industrie sind durch den Produktionsstillstand auch die Kosten herunter gegangen, so dass diese auch keine Probleme damit hatten, ihre Rechnungen zu begleichen. Insgesamt stellen wir keinen Anstieg von Zahlungsausfällen fest und kommen damit bislang ohne große Blessuren durch die Krise. Es gibt keinen Anlass zum Jammern.   

Highlightprojekte und -themen der deutschen Stadtwerkelandschaft

​Rödl & Partner: Welches Projekt oder Thema, innerhalb der deutschen Stadtwerkelandschaft, erachten Sie als besonderes Projekt-Highlight?


Marcus Steurer: Das ist schwierig, weil ich glaube, dass wir viele Themen und Projekte, die wir spannend finden, auch auf der Agenda haben. Für mich ist die gesamte deutsche Stadtwerkelandschaft ein großes Projekt, bei dem ich begeistert bin, wie wandelbar wir doch sind. Wir haben uns in den vergangenen Jahren ständig verändernden Rahmenbedingungen angepasst und haben das Optimum dabei rausgeholt. Dabei waren wir auch schon mehrmals totgesagt.

 

 

Wir bedanken uns sehr herzlich bei Herrn Steurer für seine Zeit und das spannende Gespräch!

 

 

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