Das Musterfeststellungsverfahren in der Energiewirtschaft – Ein Instrument für oder gegen Energieunternehmen?

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Mit dem zum 1. November 2018 in Kraft getretenen Musterfeststellungsklageverfahren (§§ 606 ZPO ff.) ist das für die Energiewirtschaft bedeutende Zivilprozessrecht zu Sammelklagen weiterentwickelt worden. Dabei ist das Gesetz ausschließlich zugunsten von Verbrauchern ausgestaltet worden, sodass Energieversorgungsunternehmen hier umfassendere Risikovorsorge durch aktuelle Vertragsbedingungen und spezialisierte Rechtsberatung treffen müssen. Auch für kleine und mittelständische Energieversorgungsunternehmen besteht Bedarf für Sammelklagen, sodass im Rahmen der laufenden europarechtlichen Fortentwicklung des Instruments eine Reform zugunsten der Energieversorgungsunternehmen wünschenswert ist.

 

Mit dem zum 1. November 2018 in Kraft getretenen Gesetz zur Einführung einer zivilprozessualen Musterfeststellungsklage, sollen Verbraucher bei der Durchsetzung von Ansprüchen und Rechten gegen größere Unternehmen gestärkt werden. Bereits am Tag des Inkrafttretens erhob der Bundesverband der Verbraucherzentralen (bzbv) gegen den VW-Konzern eine Musterfeststellungsklage und auch die Schutzgemeinschaft für Bankkunden hat bereits eine Klage gegen die firmeninternen Banken der Automobilhersteller eingereicht.


Die prozessrechtlichen Grundlagen der Musterfeststellungsklage sind in §§ 606 – 614 Zivilprozessordnung (ZPO) geregelt, wonach ausschließlich „qualifizierte Einrichtungen im Rahmen eines Präzedenzverfahrens das Bestehen von Ansprüchen oder Rechtsverhältnissen zwischen Verbrauchern und einem Unternehmen” durch Urteil feststellen lassen können. Neben klassischen Verbraucher-, Umwelt- und vor allem Mieterverbänden sind bereits erste energiespezifische Verbände, wie der Bund der Energieverbraucher e.V., der Bezahlbare Energie e.V. und die deutsche Gesellschaft für Sonnenenergie e.V. (DGS) in der Liste qualifizierter Einrichtungen zur Vorgängerregelung des Unterlassungsklagegesetzes anerkannt.


Dabei ist die Klagebefugnis auf typische Verbraucherverbände beschränkt, da neben einer Mindestgröße und dem satzungsgemäßen Ziel der Vertretung von Verbraucherinteressen unter anderem auch eine maximal fünfprozentige Finanzierung durch Unternehmenszuwendungen erforderlich ist (§ 606 Abs. 1 Satz 2 ZPO).


Vielen Verbände der Erneuerbaren Energien und KWK-Branche ist der Zugang zum Instrument der Musterfeststellungsklage deshalb aufgrund ihrer Finanzierungsstruktur verwehrt, obwohl diese häufig neben Unternehmen auch in erheblichem Umfang Verbraucher vertreten.


Darüber hinaus werden oftmals auch kleine und mittelständische Unternehmen von Rechtsstreitigkeiten mit mächtigen Großkonzernen, Behörden oder dem Staat abgehalten, weil dem einzelnen Unternehmen die Mittel zur Durchsetzung seiner Ansprüche über mehrere Instanzen fehlen oder Durchsetzungsaufwand und wirtschaftlicher Wert des Einzelanspruchs in keinem angemessenen Verhältnis zueinander stehen. So gestalten sich die Kräfteverhältnisse bei Rechtsstreitigkeiten zwischen Kleinunternehmen wie Betreiber von kleinen EE-und KWK-Stromerzeugungsanlagen und Übertragungsnetzbetreibern oder Behörden wie beispielsweise dem BAFA ähnlich wie bei den von den §§ 606 ff. ZPO umfassten Verbraucherstreitigkeiten. Insofern wäre eine Ausweitung des Instruments zugunsten von Unternehmen sachgerecht.


Hat ein Verbraucherverband Musterfeststellungsklage erhoben, so wird das Verfahren in einem Musterfeststellungs-Klageregister im Internet veröffentlicht. Betroffene Verbraucher können sich dann in einem einfachen, kostenfreien Verfahren in einem Klägerregister eintragen lassen. Das Urteil des Musterfeststellungsverfahrens wirkt dann zugunsten und zulasten aller im Klageregister eingetragenen Verbraucher (§ 613 Abs. 1 ZPO). Im Falle eines Vergleichs können die angemeldeten Verbraucher innerhalb eines Monats nach Bekanntmachung aus dem Vergleich austreten. Während der Rechtshängigkeit der Musterfeststellungsklage können im Klageregister gemeldete Verbraucher keine parallelen Klagen zum selben Klagegegenstand erheben. Damit führt die Musterfeststellungsklage auch aus Sicht der beklagten Unternehmen zu einer Entlastung von einer Vielzahl paralleler Klagen und der hiermit verbundenen Aufsummierung des Prozesskostenrisikos. Insbesondere auch die gesetzliche Festlegung eines Höchststreitwerts von 250.000 Euro (§ 48 Abs. 1 S. 2 GKG) senkt das Prozesskostenrisiko für die beklagten Unternehmen erheblich.


Neu ist die nun im Laufe der Aufarbeitung des Dieselskandals unter zunehmendem politischen Druck umgesetzte Idee der „Sammelklage” in der deutschen Energiewirtschaft nicht. So haben Verbraucherverbände im Rahmen des Unterlassungsklagengesetzes (UKlaG) bereits in der Vergangenheit allgemeine Geschäftsbedingungen von Energieversorgungsunternehmen beklagt. Zudem haben Kapitalanleger – insbesondere im Bereich der Wind- und Solarfinanzierung – Musterverfahren nach dem Kapitalanlagen-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) geführt. Unter anderem hatte hier ein Musterverfahren gegen das Photovoltaikunternehmen Conergy AG in der Vergangenheit für Schlagzeilen gesorgt.


Insbesondere kleine und mittlere Unternehmen der Energiebranche, wie Stadtwerke, unabhängige Stromdiscounter und kleine Verteilnetzbetreiber könnten in Zukunft unter zunehmenden Druck geraten, sobald Verbraucher berechtigte oder unberechtigte Zweifel an der Rechtmäßigkeit der komplexen, von ausufernder, teilweise widersprüchlicher Rechtsprechung geprägten Vertragsstrukturen von Strom-, Gas- oder Wärmeversorgungsverhältnissen über eine Musterfeststellungklage geltend machen. Führt dabei ein Verbraucherverband oder sogar mehrere überregionale, bundesweit tätige Verbraucherverbände das Verfahren, können sich die Kräfteverhältnisse hier leicht in das Gegenteil der vom Musterklageverfahrensrecht unterstellten Standardsituation verkehren. Insofern steigen die Risiken aus veralteten Versorgungsbedingungen, die nicht mehr den aktuellen verbraucherschutzrechtlichen Standards entsprechen. Aufgrund der laufenden Verschärfung durch Rechtsprechung, Gesetzesnovellierungen, insbesondere im Bereich des von den informationstechnischen Entwicklungen getriebenen Datenschutzes, wächst die Bedeutung einer regelmäßig Prüfung und ggfs. Anpassung der Versorgungsvertragsbedingungen. Dabei führt die Klageführung durch spezialisierte Verbände zu einer Professionalisierung der Verfahren, sodass auch Versorgungsunternehmen sich nur noch durch spezialisierte Rechtsanwaltskanzleien vertreten lassen sollten.

 

Neben dem neu eingeführten nationalen Musterfeststellungsverfahren hat die EU-Kommission bereits im April dieses Jahres ein europäisches Modell für Sammelklagen ins Gespräch gebracht, welches auf den gleichen Prinzipien wie das aktuelle deutsche Modell aufbaut, aber deutlich unkomplizierter und weitergehender sein soll. Eine entsprechende EU-Richtlinie könnte den nationalen Gesetzgeber dazu zwingen, das noch neue Instrument des Musterfeststellungsverfahrens zugunsten von mittelständischen Unternehmen weiter zu entwickeln. Die Verfahrensordnung der Clearingstelle EEG / KWKG und die zahlreichen Hinweis- und Empfehlungsverfahren zeigen, dass hier gerade in der Energiewirtschaft ein hoher Bedarf besteht. Dabei hat der Gesetzgeber mit der Beschränkungen der Verfahren auf Private (vgl. § 32a Abs. 1 KWKG 2017) vor allem im Bereich des KWKG, bei dem 90 Prozent aller Streitigkeiten gegen das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) geführt werden, einen wichtigen Regelungsbereich offen gelassen. Insofern könnte Europa dazu beitragen, eine erhebliche Rechtsschutzlücke zu schließen und das Grundrecht effizienten Rechtsschutzes zu stärken.

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Joachim Held

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