Rekommunalisierung in der Wasserwirtschaft – Ist die „Flucht ins Gebührenrecht“ der richtige Weg?

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Im Bereich der Strom- und Gasnetze ist das Thema Rekommunalisierung seit geraumer Zeit „en vogue” und wird, je nach Zeitpunkt des Auslaufens bestehender Konzessionen wohl auch noch bis auf Weiteres zu strukturellen Veränderungen der Versorgungssituation führen. Eine ähnliche, im Kern aber nicht vergleichbare Diskussion ist derzeit auch bei der Wasserwirtschaft wahrzunehmen, einem der letzten Refugien der öffentlichen Daseinsvorsorge klassischer Prägung. Die Anlässe, das Thema Rekommunalisierung zu diskutieren, könnten dabei nicht unterschiedlicher sein. Im Fall von Strom und Gas sind die Rekommunalisierungen in der Regel das Ergebnis eines aktiv von den kommunalen Entscheidungsträgern verfolgten Prozesses, motiviert durch die Überzeugung, dadurch im Sinne des lokalen Allgemeinwohls zu agieren.
  
In der Wasserwirtschaft wird das Thema Rekommunalisierung hingegen im Wesentlichen erkennbar unter dem Aspekt der „Flucht vor dem Kartellrecht”, also als unfreiwilliger Reflex diskutiert und mehr oder weniger hektisch umgesetzt. Die Frage, ob zu rekommunalisieren ist, entspringt also regelmäßig nicht der Erkenntnis, dass sich nach der Rekommunalisierung eine Verbesserung für den Bürger oder den städtischen Haushalt einstellt, sondern vielmehr der Sorge, gravierende Nachteile gegenüber dem Status quo der Versorgung mit Trinkwasser vermeiden zu müssen.
  
Das ist nicht überraschend und angesichts aktueller Entwicklungen und Diskussionen durchaus nachvollziehbar. Nach der bestehenden Rechtslage muss sich ein Unternehmen, das Preise verlangt, grundsätzlich gegenüber den Kartellbehörden über die Höhe seiner Preise rechtfertigen, ein Unternehmen das Gebühren verlangt, dagegen gegenüber der in der Regel deutlich zurückhaltenderen Kommunalaufsicht. Das gilt umso mehr, da das „Bedrohungspotenzial“ in diesem Fall nicht von einem „gierigen” Privatinvestor oder einem besonders aggressiven Marktverhalten mit nachteiligen Wirkungen auf die Versorgungssicherheit oder Versorgungsqualität ausgeht, sondern von etablierten und bewährten staatlichen Behörden, die genau wie die lokal verantwortlichen Vertreter eines Wasserversorgers oder einer Kommune auch die Gewährleistung des Wohls der Allgemeinheit zur Aufgabe haben.
  
Den Kommunen, die derzeit über die Rekommunalisierung nachdenken, wird gerne entgegen gehalten, sie verhielten sich falsch, sie müssten doch lediglich die Anforderungen der Kartellbehörden erfüllen. Das geht allerdings am eigentlichen Problem der Branche vorbei. Das scharfe Schwert des Kartellrechts, das nicht für die Situation der öffentlichen Daseinsvorsorge konzipiert und entwickelt worden ist, zwingt vielerorts derartige Überlegungen auf. Wer bei dieser Diskussion jenseits juristischer Entscheidungen im Ergebnis Recht hat, die Kartellbehörden, die behaupten, die Wasserpreise seien deutlich zu hoch oder die Wasserversorger, die beständig wiederholen, sie hätten mit ungünstigen Rahmenbedingungen zu kämpfen und keine vernünftige Möglichkeit, ihre Preise zu senken, kann allgemein nicht beantwortet werden und wird insgesamt auch nicht intensiv und sachlich genug diskutiert. Wie immer wird die Wahrheit in den meisten Fällen wohl irgendwo zwischen den beiden Positionen liegen.
  
Dennoch ist ein Fehler im System erkennbar, wenn der einzige Weg, spürbare Nachteile für den Bürger zu vermeiden, in einer „Flucht ins Gebührenrecht” besteht. Unabhängig davon wird eine solche Entscheidung möglicherweise lediglich einen Zeitgewinn bedeuten. Der Gesetzgeber wird voraussichtlich über kurz oder lang reagieren und die Kartellaufsicht auf Gebührenrechner ausdehnen oder andere Maßnahmen ergreifen, um die Angemessenheit von Wasserentgelten auf den Prüfstand zu stellen.
  
In der Diskussion sollte deshalb – bis auf die Fälle, bei denen wegen laufender Verfahren tatsächlich akuter Handlungsbedarf besteht – mehr Energie darauf verwendet werden, welche konkreten Verbesserungspotenziale vor Ort bestehen und in welchen Zeiträumen sie zu verwirklichen sind. Erste Tendenzen in diese Richtung sind erkennbar, aber noch nicht flächendeckend vertreten.
  
Herausforderungen für die Wasserwirtschaft, die dabei beachtet werden müssen, gibt es hier genug: Klimawandel, Investitionsstau und Demografie sind Stichworte, die sich in diesem Zusammenhang zunehmend Bahn brechen und in zahlreichen Regionen Sorgenfalten verursachen. Instrumente, die Potenziale zu ermitteln und Verbesserungsmöglichkeiten zu erkennen, liegen vor.
  
Benchmarking wird in der Branche seit über zehn Jahren nahezu flächendeckend betrieben und führt nachweisbar zu spürbaren Verbesserungen. Möglichkeiten, eine nachvollziehbare Kalkulation der Entgelte zu erarbeiten und in kurzen Abständen zu aktualisieren, sind jederzeit vorstellbar und die strukturierte Auseinandersetzung mit den Herausforderungen der Zukunft und den notwendigen Maßnahmen zur Sicherstellung einer sicheren und nachhaltigen Versorgung können individuell aktiv und ohne der Hektik eines Fluchtszenarios angegangen werden. Es wäre wünschenswert, wenn die Branche diese Verbesserungen z.B. infolge einer weiterhin aktiven Teilnahme an Benchmarkingprojekten noch häufiger realisieren würde und die entsprechende Kommunikation über die erreichten Verbesserungen deutlich aktiver gestalten würde. „Tue Gutes und rede drüber” mag für manchen in der Branche noch ungewohnt sein, aber ohne eine bessere Transparenz der Anstrengungen der Wasserversorger wird eine Diskussion auf Augenhöhe mit den Kartellbehörden und deren Mitstreitern nicht möglich sein.
    
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Jörg Schielein

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