Linienverkehrsgenehmigungen als öffentliche Dienstleistungsaufträge

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Eine Linienverkehrsgenehmigung ist ab dem 3. Dezember 2009 als öffentlicher Dienstleistungsauftrag nach Art. 2 lit. i) VO 1370 anzusehen.
 
Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinen beiden Urteilen vom 29. Oktober 2009 (BVerwG, 29.10.2009, 3 C 1.09 und 3 C 2.09, Rn. 29) klargestellt, dass die Betriebspflicht (§ 21 PBefG), die Beförderungspflicht (§ 22 PBefG) und die Tarifpflicht (§ 39 i.V.m. § 45 Abs. 2 PBefG) gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen sind. Sie treffen einen Linienverkehrsdienst unabhängig davon, ob er nach bisherigem nationalen Rechtsverständnis eigenwirtschaftlich oder gemeinwirtschaftlich betrieben wurde. Es kommt daher nicht darauf an, ob die Initiative zur Durchführung der Verkehrsleistungen vom Unternehmer (bislang eigenwirtschaftliche Verkehre) oder von der Behörde (bislang gemeinwirtschaftliche Verkehre) ausgeht. Entscheidend ist, dass die Erbringung von Linienverkehrsleistungen durch den Unternehmer nach § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 PBefG eine personenbeförderungsrechtliche Genehmigung erfordert und ihm diese durch die nach § 11 PBefG zuständige Behörde nicht ohne die Übernahme der Betriebs-, Beförderungs- und Tarifpflicht erteilt werden darf. Eine Ausnahme bilden lediglich die in § 45 Abs. 3 i.V.m. § 43 PBefG genannten Verkehre, bei denen die Genehmigungsbehörde auf die Einhaltung dieser Pflichten ganz oder teilweise verzichten kann. Ansonsten unterliegen alle Linienverkehre nach § 42 PBefG den gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen in Form der Betriebs-, Beförderungs- und Tarifpflicht.
 
Damit führt das Bundesverwaltungsgericht die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, 24.7.2003, Rs. C-280/00 („Altmark Trans”), Rn. 47) aus der „Altmark Trans-Entscheidung” fort. Der Europäische Gerichtshof hatte bereits im Jahre 2003 judiziert, dass auch eigenwirtschaftliche Genehmigungen dem Unternehmer gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen auferlegen. Diese Auffassung war durch Urteile des Hessischen (Hessischer VGH, 18.11.2008, 2 UE 1476/07, Rn. 36 ff.) und des Baden-Württembergischen (VGH Baden-Württemberg, 31.3.2009, 3 S 2455/06, Rn. 49.) Verwaltungsgerichtshofs in den letzten Jahren bestätigt worden.
 
Seit dem Inkrafttreten der VO 1370 am 3. Dezember 2009 erfüllt eine Linienverkehrsgenehmigung folglich alle Merkmale, die die VO 1370 an einen öffentlichen Dienstleistungsauftrag stellt. Art. 2 lit. i) VO 1370 verlangt für das Vorliegen eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags lediglich einen rechtsverbindlichen Akt zwischen einer zuständigen Behörde und einem Betreiber eines öffentlichen Dienstes, durch den der Betreiber mit der Erbringung öffentlicher Verkehrsdienste betraut wird, die gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen unterliegen. Als öffentlicher Dienstleistungsauftrag kann nach dem ausdrücklichen Wortlaut (1. Spiegelstrich) gemäß der Rechtsordnung der Mitgliedstaaten auch eine Verwaltungsregelung für den Einzelfall angesehen werden. Das trifft auf einen Verwaltungsakt nach deutschem Rechtsverständnis (§ 35 VwVfG) wie die Erteilung einer Linienverkehrsgenehmigung zu.
 
Hingegen ist es für das Vorliegen des Begriffs des öffentlichen Dienstleistungsauftrags gemäß Art. 2 lit. i) VO 1370 nicht entscheidend, ob eine Linienverkehrsgenehmigung als ein ausschließliches Recht nach Art. 2 lit. f) VO 1370 zu qualifizieren ist. Die gelegentlich vertretene Argumentation, eine Genehmigung sei kein ausschließliches Recht und deshalb liege kein öffentlicher Dienstleistungsauftrag vor, verkennt die Voraussetzungen, welche Art. 2 lit. i) VO 1370 an das Vorliegen eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags stellt.
 
Ob eine Linienverkehrsgenehmigung ein ausschließliches Recht darstellt, ist bislang umstritten. Die Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. Oktober 2009 betrafen noch die alte Rechtslage und mussten zu dieser Frage keine Stellung nehmen. Den Begriff des ausschließlichen Rechts kennt nur die ab 3. Dezember 2009 gültige VO 1370, nicht die bis 2. Dezember 2009 gültige Verordnung (EWG) Nr. 1191/69 (nachfolgend VO 1191 genannt). Die vom Bundesverwaltungsgericht gewählten Begründungen in beiden Urteilen legen den Schluss nahe, eine Linienverkehrsgenehmigung als ausschließliches Recht zu qualifizieren. Für die Einschränkungen, denen der Unternehmer mit den durch die Genehmigung verbundenen gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen in Form der Betriebs-, Beförderungs- und Tarifpflicht unterliegt, erhält er von der Behörde im Gegenzug das ausschließliche Recht zur Erbringung der Linienverkehrsdienstleistungen und ist während der Laufzeit der Genehmigung auf seiner Linie zeitlich begrenzt vor Konkurrenz geschützt (§ 13 Abs. 2 PBefG). Andernfalls wären die Unternehmer zwar mit den gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen in Form der Betriebspflicht (§ 21 PBefG), der Beförderungspflicht (§ 22 PBefG) und der Tarifpflicht (§ 39 i.V.m. § 45 Abs. 2 PBefG) betraut, bekämen dafür aber im Gegenzug keinen umfassenden Konkurrenzschutz in Form eines ausschließlichen Rechts. Ein solches Ergebnis stünde im Widerspruch zum allgemeinen Verständnis und zur seit Jahrzehnten geübten Praxis über den ÖPNV in Deutschland.
 
Gelegentlich wird behauptet, eine Linienverkehrsgenehmigung lasse sich nicht als ausschließliches Recht qualifizieren, weil § 13 Abs. 2 Nr. 2 c) PBefG ein Ausgestaltungsvorrecht des Genehmigungsinhabers vorsieht. Der Genehmigungsinhaber könnte während der Laufzeit seiner Genehmigung einer Konkurrenzsituation ausgesetzt sein, die er nur durch sein Ausgestaltungsvorrecht abwehren könne. Das Ausgestaltungsrecht des Genehmigungsinhabers führt aber nicht dazu, der Linienverkehrsgenehmigung ihren ausschließlichen Charakter abzusprechen. Es liegt nämlich allein in der Hand des Genehmigungsinhabers, ob er von seinem ihm gesetzlich eingeräumten Ausgestaltungsvorrecht Gebrauch machen will. Macht er davon Gebrauch, bleiben Konkurrenten auf derselben Linie ausgeschlossen.
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