Chancen und Risiken bei der Überwachung der Lieferketten von Medizinprodukten

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veröffentlicht am 25. Oktober 2023 | Lesedauer ca. 5 Minuten


Medizinprodukte sind in der Regel das Ergebnis von komplexen internationalen Liefer- und Warenströmen, bevor sie von deutschen Unternehmen oder anderen Trägern des Gesundheitswesens wie Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen hergestellt, vertrie­ben, erworben und verwendet werden.



Mit dem am 1. Januar 2023 in Kraft getretenen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) – kurz auch „Lieferkettengesetz“ – stellt sich in der Medizinprodukte-Branche die Frage, in welchem Maße Lieferketten zu überwachen und kontrollieren sind. Diese Thematik gewinnt insbesondere aufgrund der noch in diesem Jahr geplanten europäischen Lieferketten-Richtlinie, die eine einheitliche Regelung für alle Mitgliedstaaten der EU schafft, an enormer Bedeutung.

Daher untersucht der folgende Beitrag die Regelungen des deutschen Lieferkettengesetzes und dessen Aus­wir­kungen auf die Akteure des Medizinprodukte-Sektors sowie des Gesundheitswesens.


Geltungsbereich

Die Regularien des Lieferkettengesetzes gelten für alle Unternehmen unabhängig von ihrer Rechtsform, die ihre Hauptverwaltung, ihre Hauptniederlassung, ihren Verwaltungssitz oder ihren satzungsmäßigen Sitz in Deutsch­land haben und in der Regel mindestens 3.000 Arbeitnehmer im Inland beschäftigen. Dabei sind auch ins Ausland entsandte Arbeitnehmer mitumfasst.

Unternehmen, dessen Hauptniederlassung sich zwar im Ausland befindet, die aber eine Zweigniederlassung in Deutschland haben und ebenfalls mindestens 3.000 Arbeitnehmer im Inland beschäftigen, müssen das Lieferkettengesetz ebenfalls beachten.

Insbesondere die deutsche Medizintechnik-Branche wird von mittelständischen Unternehmen dominiert (Lieferkettengesetz: Was Deutschland fordert und was die EU vorbereitet; Zahlen, Fakten & Publikationen.), sodass diese von den Vorgaben des Lieferkettengesetzes zunächst verschont blieben. Jedoch müssen ab dem 1. Januar 2024 auch Betriebe mit mehr als 1.000 Arbeitnehmern den Anforderungen des Lieferkettengesetzes nachkommen, sodass auch in diesen die Überwachung der Lieferketten ein wichtiges Anliegen wird.


Regelungsinhalt

Ziel des Lieferkettengesetzes ist die Übernahme von Verantwortung der Unternehmen für die Einhaltung von Menschenrechten und Sicherung von Umweltbelangen entlang ihrer Lieferketten. Dadurch sollen menschen­rechtliche oder umweltbezogene Risiken vorgebeugt oder minimiert sowie die Verletzung menschenrechts­bezogener oder umweltbezogener Pflichten beendet werden.

Zur dessen Durchsetzung konstituiert das Lieferkettengesetz mehrere Sorgfaltspflichten.

So müssen Unternehmen unter anderem:

  • ein Risikomanagement etwa durch die Benennung eines Menschenrechtsbeauftragten einrichten (§ 4 Abs. 1 LkSG),
  • regelmäßig Risikoanalysen durchführen (§ 5 LkSG),
  • Präventionsmaßnahmen im eigenen Geschäftsbereich und gegenüber unmittelbaren Zulieferern durchführen (§ 6 LkSG),
  • Beschwerdeverfahren einrichten (§ 8 LkSG)
  • sowie Sorgfaltspflichten in Bezug auf Risiken bei mittelbaren Zulieferern umsetzen (§ 9 LkSG).


Die Reichweite der Sorgfaltspflichten bestimmt sich nach der Definition des Begriffs „Lieferkette“. Dieser ist weit auszulegen. Dabei handelt es sich um „die von einem Unternehmen produzierte Leistung und erfasst alle Schritte, die im Inland und im Ausland zu der Herstellung eines Produktes oder zu der Erbringung einer Dienstleistung notwendig sind, wie zum Beispiel der Transport oder die Zwischenlagerung von Waren“ (RegE BT-Drucksache 19/28649 vom 19.4.2021, S. 40).

Diese Pflichten müssen im eigenen Geschäftsbereich eingehalten werden, aber auch für das Handeln eines unmittelbaren Geschäftspartners in der Lieferkette sowie weiterer mittelbarer Zulieferer gewährleistet werden. Der eigene Geschäftsbereich umfasst jede Tätigkeit des Unternehmens zur Erreichung des Unternehmensziels (Hopt/Leyens, 42. Aufl. 2023, LkSG § 2 Rn. 11). Daher sind im Ergebnis alle Bereiche relevant, die die Geschäftstätigkeit und -ziele des Unternehmens betreffen.

So haben beispielsweise Betreiber von Kliniken bei der Behandlung eines Patienten bei der Verwendung von bestimmten Medizinprodukten – wie einem Herzkatheter – beim Einkauf die Zulieferer unter Berücksichtigung von menschenrechtsbezogenen und umweltbezogenen Aspekten auszuwählen und sich dessen Einhaltung der Menschen- und Umweltrechten ggf. vertraglich zuzusichern (§ 6 Abs. 4 Nr. 1 – Nr. 2 LkSG). Unmittelbare Zulie­fer­er der Kliniken im Sinne des LkSG sind Unternehmen, die Medizinprodukte, Halbfertigerzeugnisse, Produkt­tei­le oder Rohstoffe liefern und zu denen eine unmittelbare Vertragsbeziehung besteht. Gegenüber den un­mittel­ba­ren Zulieferern muss die nach dem LkSG geforderte Risikoanalyse regelmäßig erfolgen. Dagegen besteht bei mittelbaren Zulieferern – d.h. solche, zu denen gerade keine vertragliche Beziehung besteht – eine anlassbezogene Pflicht zur Risikoanalyse.
 
Das LkSG beeinflusst jedoch nicht nur den Bereich der eigenen von den Kliniken erbrachten Dienstleistung. Nimmt ein Krankenhaus eine Dienstleistung – wie bspw. die Gebäudereinigung sowie den Betrieb einer Kantine – in Anspruch, so sind dessen Erbringer ebenfalls im Rahmen einer Risikoanalyse zu untersuchen und zu bewerten (Urband/ Wollin, Das Krankenhaus, 12.2022, 1144-1147 (1146).


Risiken

Die Verletzung der nach dem LkSG vorgesehenen Sorgfaltspflichten führt zu keiner zivilrechtlichen Haftung (§ 3 Abs. 3 LkSG). Laut dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung begründet das Gesetz eine „Bemühenspflicht“ und „keine Erfolgspflicht oder Garantiehaftung“ (RegE BT-Drucksache 19/28649 vom 19.4.2021, S. 2). Unterneh­men müssen „nur“ nachweisen, dass sie die gesetzlich vorgesehen Sorgfaltspflichten umgesetzt haben. Sie müssen dagegen nicht garantieren, dass in ihren Lieferketten keine Menschenrechte oder umweltbezogene Pflichten verletzt werden (RegE BT-Drucksache 19/28649 vom 19.4.2021, S. 41).

Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle überprüft, ob das Lieferkettengesetz eingehalten und durchgesetzt wird (§ 19 LkSG). Erfüllen Unternehmen ihre nach dem LkSG vorgesehenen Sorgfaltspflichten nicht, folgen Sanktionen in Form von Bußgeldern (vgl. § 24 LkSG). Ein Bußgeld bis zu 800.000 Euro kann gegen natürliche Personen erhoben werden. Ein Verstoß seitens einer juristischen Person oder Personenvereinigung mit einem durchschnittlichen Jahresumsatz von mehr als 400 Millionen Euro kann mit einer Geldbuße bis zu 2 Prozent des durchschnittlichen Jahresumsatzes geahndet werden. Folglich wäre bei einem Umsatz von 400 Millionen Euro ein Bußgeld von bis zu 8 Millionen Euro möglich.

Eine weitere Herausforderung besteht für Unternehmen aus der Medizinprodukte- und Medizintechnologie-Branche aufgrund der Geltung von weiteren Regularien, die die Qualität und Sicherheit der Produkte sichern sollen. Dazu zählen beispielsweise die Bestimmungen des ISO 13485 und der europäischen Medizin­pro­dukte­ver­ord­nung (Medical Device Regulation, MDR) sowie des Medizinprodukterecht-Durchführungsgesetzes (MPDG). So sieht die MDR u. a. eine Risikobewertung und -analyse sowie ebenfalls eine Überwachung der Lieferkette vor. Unternehmen müssen gewähren, dass alle an der Produktion von Medizinprodukten beteiligten Lieferanten die Anforderungen der MDR erfüllen.


Chancen

Das Lieferkettengesetz bestimmt keine starren Regeln, wie die Unternehmen ihre Sorgfaltspflichten erfüllen sollen. Vielmehr wird diesen ein weiter Spielraum bei der Umsetzung gegeben.

Die Einhaltung der Sorgfaltspflichten beschränkt sich auf das für das jeweilige Unternehmen individuell Machbare und Angemessene (RegE BT-Drucksache 19/28649 vom 19.4.2021, S. 41; Hopt/Leyens, 42. Aufl. 2023, LkSG § 3 Rn. 2). Die Angemessenheit ist von verschiedenen Kriterien abhängig wie z.B. der Art und dem Umfang der Geschäftstätigkeit, dem Einflussvermögen des Unternehmens auf den unmittelbaren Verursacher eines menschenrechtlichen oder umweltbezogenen Risikos, der typischerweise zu erwartenden Schwere der Verletzung sowie der Art des Verursachungsbeitrages des Unternehmens zu dem menschenrechtlichen oder umweltbezogenen Risiko (vgl. § 3 Abs. 2 LkSG).

Zur Implementierung eines Prozesses, der die Einführung und Durchsetzung der nach dem LkSG erforderlichen Maßnahmen schafft, wird das Thema Compliance im Unternehmen an enormer Bedeutung gewinnen. Jedes Unternehmen des Gesundheitswesens und aus dem medizintechnischen Sektor wird dadurch veranlasst, seine Compliance-Abteilung zu stärken und auszuweiten. Dies wird das Bewusstsein für menschenrechtliche und umweltschützende Belange der Mitarbeiter innerhalb des Unternehmens intensivieren.

Darüber hinaus gewinnt ein Unternehmen nach außen an Attraktivität für potenzielle neue Arbeitnehmer sowie auch Kunden, wenn es sich ernsthaft um die Einhaltung gewisser Standards bei der Wahl seiner Zulieferer bemüht.

Gleichzeitige besteht bei Unternehmen – insbesondere dessen Geschäftstätigkeit von einer komplexen und vielschichtigen Lieferkette geprägt ist – die Chance, die innerbetriebliche Digitalisierung voranzutreiben, um beispielsweise die durch das LkSG konstituierte Pflicht zur Risikoanalyse zu vereinfachen und zu beschleunigen.

Auch wenn die Durchsetzung der Sorgfaltspflichten in einem Unternehmen zunächst einen enormen Arbeits­auf­wand sowie hohe Kosten verursacht, wird dessen Wettbewerbsfähigkeit insgesamt langfristig gestärkt.

All die regulierenden Anforderungen, die insbesondere für Medizinprodukte gelten, im Unternehmen selbst zu erfüllen, einzuhalten und für die gesamte Lieferkette zu kontrollieren, stellt eine große Herausforderung dar. Die Durchsetzung der Sorgfaltspflichten des LkSG ist zunächst mit einem enormen Arbeitsaufwand sowie hohen Kosten verbunden. Langfristig wird sich aber die Wettbewerbsfähigkeit – vor allem auch vor dem Hintergrund der Verabschiedung einer europäischen Lieferketten-Richtlinie – der deutschen Unternehmen der Medizin­pro­duk­te-Branche und des Gesundheitswesens steigern.



Quellen:

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