Einfluss der Verschuldung auf die Kapitalkosten: der neue IDW-Bewertungshinweis

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veröffentlicht am 20. Februar 2024 | Lesedauer ca. 6 Minuten


Im stetigen Wandel der Unternehmensbewertungspraxis hat das Institut der Wirt­schafts­prü­fer in Deutschland (IDW) den Bewertungshinweis „Berücksichtigung des Verschuldungsgrads bei der Bewertung von Unternehmen“ am 6. September 2023 veröffentlicht und dadurch den analogen Praxishinweis vom 12. September 2018 aktu­ali­siert. Die Änderungen erfordern ein noch tieferes Verständnis von der Verschuldung eines Unternehmens und ihre komplexen Auswirkungen auf den Unternehmenswert und stellen Unternehmensbewerter vor weitere praktischen Herausforderungen. Dieser Beitrag geht auf die wesentlichen Aspekte des neuen IDW-Be­wer­tungs­hin­wei­ses ein und beleuchtet wesentliche Implikationen – und sogar neue Komplikationen – im Alltag der Unternehmensbewertung.



Das Konzept



Quelle: Eigene Darstellung

Grundsätzlich gilt, dass mit zunehmender Verschuldung die gewichteten Kapitalkosten eines Unternehmens zunächst sinken, solange das Unternehmen gering oder branchenüblich verschuldet ist. Dies liegt daran, dass Fremdkapital steuerliche Vorteile mit sich bringt.

Bei hoch verschuldeten und überhöht verschuldeten Unternehmen erhöht sich infolge einer weiter zu­neh­men­den Verschuldung das Risikoprofil des Unternehmens überproportional und wirkt sich negativ auf den Un­ter­nehmens­wert aus. Eine deutlich höhere Verschuldung (im Vergleich zur Branche) kann zu finanziellen Schwie­rig­kei­ten und einem höheren Insolvenzrisiko führen. Dies kann wiederum die Eigenkapitalkosten erhöhen, da die Eigenkapitalgeber eine höhere Rendite für das gestiegene Risiko fordern.

Eine pauschale Bewertungsmethode für alle Unternehmen – unabhängig von deren Verschuldungsgrad – kann zu verzerrten Bewertungsergebnissen führen. Bruttomethoden (Englisch: Entity oder Enterprise Value) bieten im Vergleich zu Nettomethoden (Englisch: Equity Value) eine realistischere Sicht auf die Kapitalkosten im Kontext der gesamten Kapitalstruktur. Im neuen IDW-Bewertungshinweis werden notwendige Un­ter­schei­dungen beim Umgang mit der Verschuldung im Rahmen der Unternehmensbewertung klargestellt.


Kategorisierung von Unternehmen nach Verschuldungsgraden

Der IDW-Bewertungshinweis führt eine systematische Kategorisierung von Unternehmen ein, um die Aus­wir­kungen von unterschiedlichen Verschuldungsgraden auf die Risikoprofile und Kapitalkosten adäquat zu berücksichtigen. Diese Kategorisierung basiert auf der Höhe des Verschuldungsgrads sowie der Beurteilung des Ausfallrisikos und zielt auf die Identifizierung der zutreffenden Bewertungsmethode ab, die den spe­zi­fi­schen Risiken und Bedingungen jedes Unternehmens Rechnung trägt. Demzufolge kategorisiert der IDW-Bewertungshinweis die Unternehmen in normal verschuldet, gering verschuldet, hoch verschuldet und überhöht verschuldet.


Quelle: IDW Praxishinweis

  • Normal verschuldete Unternehmen: Für diese Unternehmen gilt die übliche Behandlung des Fremdkapitals bei den Kapitalkosten. Es wird angenommen, dass diese Unternehmen unendlich fortgeführt werden. Sowohl Brutto- als auch Nettomethoden eignen sich für die Bewertung.
  • Gering verschuldete Unternehmen: Diese Unternehmen sind ebenso wie normal verschuldete Unternehmen von keinen signifikanten Ausfallrisiken bedroht. Daher weist die Unternehmensbewertung keine Be­son­der­hei­ten in dieser Hinsicht auf, ähnlich wie bei normal verschuldeten Unternehmen.
  • Hoch verschuldete Unternehmen: Diese Unternehmen sind signifikanten Ausfallrisiken ausgesetzt. Der IDW-Bewertungshinweis empfiehlt die Verwendung von Bruttomethoden wie APV (Englisch: Adjusted Present Value) oder WACC (Englisch: Weighted Average Cost of Capital) für die Bewertung, da Nettomethoden zu unvertretbar hohen Eigenkapitalkosten führen können. Bruttomethoden wie APV ermöglichen eine explizitere und separate Berücksichtigung des Steuervorteils von Zinsaufwendungen und der zusätzlichen Kosten von finanziellen Notlagen.


Im Rahmen der APV-Methode wird ein Unternehmen in zwei Teilen bewertet. In einem ersten Schritt werden die Cashflows des hypothetisch unverschuldeten Unternehmens mit den unverschuldeten Eigenkapitalkosten diskontiert. In einem zweiten Schritt wird der Barwert des Steuervorteils infolge der Fremdkapitalfinanzierung hinzugefügt. Diese Trennung kann besonders nützlich sein, um die Risiken und Vorteile, die mit hohen Be­stän­den an Fremdkapital verbunden sind, genau abzubilden. Zum Wert des Eigenkapitals gelangt man schließlich durch Subtraktion des Wertes des Fremdkapitals.

  • Überhöht verschuldete Unternehmen: Bei diesen Unternehmen wird in der Bewertung angenommen, dass kein positiver Fortführungswert ohne erfolgreiche Restrukturierungsmaßnahmen besteht. Der Ver­schul­dungs­grad wirkt sich erheblich auf die Kapitalkosten aufgrund des hohen Ausfallrisikos aus.



Quelle: Eigene Darstellung


Auswirkungen von Fremdkapital auf die Kapitalkosten

Jede Kategorie impliziert unterschiedliche Risikoprofile, sowohl im operativen als auch im finanziellen Sinne, die sich direkt auf die Auswahl der Bewertungsmethode samt Berechnung der Kapitalkosten und die re­sul­tie­ren­den Bewertungsergebnisse auswirken.

Im IDW-Bewertungshinweis werden folgende Auswirkungen beleuchtet.


Der Einfluss auf den Betafaktor

Der Betafaktor, der die Kovarianz der Aktienrenditen eines Unternehmens im Vergleich zum Gesamtmarkt misst, spielt eine zentrale Rolle bei der Ermittlung der Eigenkapitalkosten, insbesondere innerhalb des Capital Asset Pricing Models. Dabei wird der Verschuldungsgrad eines Unternehmens typischerweise in der Be­rech­nung des gehebelten Betafaktors (Englisch: Levered Beta) berücksichtigt. Dieser angepasste Betafaktor ist ausschlaggebend für die Bewertung des Risikos, das mit dem Eigenkapital des Unternehmens verbunden ist, und bezieht sowohl operative als auch kapitalstrukturelle Risiken mit ein.

Bei überhöht verschuldeten Unternehmen kann ein erhöhter Betafaktor zu einer verzerrten Bewertung führen, da in solchen Fällen das finanzielle Risiko, anstelle des operativen Risikos, überwiegend abgebildet wird.


Auswirkungen hinsichtlich der Risikoprämien bei FK-Zinssätzen bzw. FK-Kapitalkosten

Grundsätzlich gilt, dass jeder FK-Zinssatz eine Risikoprämie beinhaltet, die u.a. das Ausfallrisiko und das systematische Risiko des Unternehmens widerspiegelt. Diese Risikoprämie wird üblicherweise Credit Spread genannt. Sie wird dem risikolosen Zinssatz hinzugerechnet und steigt mit zunehmendem systematischem Risiko, das mit einem höheren Verschuldungsgrad einhergeht.


Auswirkungen bei der Berücksichtigung des Debt Beta

Der IDW-Bewertungshinweis sieht die indirekte Bestimmung des Debt Beta (das Risikomaß des Fremdkapitals) auf Basis verfügbarer Marktdaten vor. Die Berücksichtigung des Debt Beta ist wesentlich für Unternehmen, bei denen der Credit Spread, berechnet als Differenz zwischen den FK-Kosten und dem risikolosen Zinssatz, signifikant ist.
 
Bei der Bewertung von gering und normal verschuldeten Unternehmen ist das Ausfallrisiko i.d.R. ver­nach­lässig­bar. Daher kann in der Praxis bei der Berechnung des Credit Spread vereinfachend auf beobachtbare FK-Zinssätze, anstelle von erwartete FK-Kosten, abgestellt werden (FK-Zinssätze – RF).
 
Bei hoch verschuldeten Unternehmen ist jedoch das Ausfallrisiko materiell und daher müssen die zuerst die erwarteten FK-Kosten berechnet bzw. die FK-Zinssätze um das Ausfallrisiko angepasst werden. Erst dann kann der Credit Spread als Differenz zwischen den erwarteten FK-Kosten und dem risikolosen Zinssatz adäquat berechnet werden (FK-Kosten – RF).
 
Folglich wird der Credit Spread ins Verhältnis zur Marktrisikoprämie (Differenz zwischen der Rendite des Marktportfolios (RM) und dem risikolosen Zinssatz (RF)) gesetzt.



Fokus auf direkte und indirekte Insolvenzkosten

Die Betonung der direkten und indirekten Insolvenzkosten durch den IDW ist entscheidend. Während direkte Kosten greifbarer und oft quantifizierbar sind, können indirekte Kosten langfristig schädlicher sein und die strategische Positionierung und den betrieblichen Erfolg des Unternehmens beeinflussen.

Indirekte Insolvenzkosten beziehen sich insbesondere auf die weniger greifbaren, aber oft weitreichenden Auswirkungen finanzieller Schwierigkeiten auf den operativen Bereich. Diese Kosten sind das Resultat aus den negativen Reaktionen und Verhaltensänderungen der Stakeholder, die sich aus der Wahrnehmung der fi­nan­ziellen Instabilität ergeben. Zu den betroffenen Stakeholder gehören Kunden, Lieferanten, Kreditgeber, Investoren und Mitarbeiter.

  • Kundenvertrauen und Marktposition: In Krisenzeiten verlieren die Kunden möglicherweise das Vertrauen in die Fähigkeit eines Unternehmens, seine Produkte oder Dienstleistungen dauerhaft anzubieten. Dies kann zu einem Rückgang der Kundennachfrage führen, die Marktposition des Unternehmens schwächen und letztlich das EBITDA senken.
  • Lieferanten und Kreditbedingungen: Lieferanten könnten strengere Zahlungsbedingungen verlangen oder sich zurückziehen, wenn sie das Risiko einer Insolvenz als zu hoch einschätzen. Dies kann die Pro­duk­tions­kos­ten erhöhen, die Lieferketten unterbrechen und letztlich das EBITDA verringern.
  • Kreditkosten: Eine sich verschlechternde Wahrnehmung der Kreditwürdigkeit kann es für ein Unternehmen schwieriger und teurer machen, neues Kapital zu beschaffen. Kreditgeber und Investoren können höhere Zinssätze verlangen oder sich ganz aus der Finanzierung zurückziehen.


Die Insolvenzkosten haben einen zirkulären Effekt, wie die folgende Abbildung zeigt. Die Insolvenzkosten führen zu geringeren Erträgen, die sich wiederum negativ auf die Kapitalkosten auswirken.  


Quelle: IDW Praxishinweis


Kritik und Empfehlungen

Anwendung des Peer Group Verschuldungsgrads für den WACC

Der Ansatz im IDW-Bewertungshinweis zur Bewertung operativ gesunder, jedoch überhöht verschuldeter Unternehmen durch Anpassung ihrer Kapitalstruktur an einen marktüblichen Verschuldungsgrad bedeutet

  • entweder die Angleichung der Kapitalstruktur an den durchschnittlichen Verschuldungsgrad der Peer Group während einer Referenzperiode und möglicherweise nachfolgender Perioden
  • oder die Verwendung des gewichteten durchschnittlichen Kapitalkostensatzes (WACC) der Peer Group für alle Perioden.


Obwohl diese Ansätze praktische Vorteile haben, gibt es mehrere kritische Punkte und potenzielle Risiken zu berücksichtigen.

Die grundlegende Annahme hierbei ist, dass die Kapitalstrukturen der Peer Group Unternehmen geeignete Benchmarks darstellen. Das muss jedoch nicht in allen Fällen zutreffend sein. Unternehmen innerhalb derselben Branche können aufgrund von Unterschieden in Geschäftsmodellen, Risikoprofilen, Wachs­tums­mög­lich­kei­ten und Managementstrategien sehr unterschiedliche Kapitalstrukturen aufweisen. Die Anwendung einer „Standard“-Kapitalstruktur könnte zu verzerrten Bewertungsergebnissen führen.

Außerdem kann die Kapitalstruktur eines Unternehmens und seiner Vergleichsunternehmen erheblich von den herrschenden Marktbedingungen beeinflusst werden. Beispielsweise können Unternehmen in einem Nie­drig­zins-Umfeld eher geneigt sein, Schulden aufzunehmen, was in einem Hochzins-Umfeld nicht nachhaltig sein könnte. Die Angleichung von Kapitalstrukturen ohne Berücksichtigung dieser Bedingungen kann zu unangemessenen Bewertungsergebnissen führen.

 


Empfehlung:
Bewerter müssen die Angemessenheit von Vergleichen mit Peer Groups kritisch beurteilen. Ein individueller und dynamischerer Ansatz, der bspw. Szenario- und Sensitivitätsanalysen beinhaltet, kann eine genauere und robustere Bewertung liefern.


 

Ausfallrisiko vs. Credit Spread

Im IDW-Bewertungshinweis zeigt sich eine Inkonsistenz in der Behandlung des Ausfallrisikos, die ein kon­zep­tio­nelles Dilemma offenbart. Einerseits wird das Ausfallrisiko bei Unternehmen mit geringer oder normaler Verschuldung als vernachlässigbar eingeschätzt, was darauf hindeutet, dass es keine bedeutende Rolle in den FK-Zinssätzen und FK-Kosten spiele würde. Andererseits wird durch die Berücksichtigung eines Debt Beta und somit eines Credit Spread, der eine Ausfallrisikokomponente beinhaltet, implizit die Bedeutung des Aus­fall­ri­si­kos für Unternehmen mit geringer oder normaler Verschuldung anerkannt. Die gleichzeitige Verwendung beider Ansätze ohne eine klare methodologische Erläuterung führt zu einer konzeptionellen Inkonsistenz, die die Glaubwürdigkeit der Unternehmensbewertung untergraben kann.

 


Empfehlung:
Um diese Inkonsistenz zu vermeiden, ist das Ausfallrisiko sowohl direkt in den FK-Kosten als auch indirekt in den EK-Kosten, anhand der Berücksichtigung des Debt Beta, stets anzupassen. Bei der Umrechnung der FK-Zinssätze werden die Ausfallwahrscheinlichkeit und die Verwertungsquote berücksichtigt, um die be­wer­tungs­re­le­van­ten FK-Kosten zu ermitteln. Ein weiterer Ansatz sieht die Bereinigung der unsystematischen Risiken im Credit Spread bei der Berechnung des Debt Beta. Grundsätzlich ist bei der Berücksichtigung eines Debt Beta zu beachten, dass das Debt Beta – das Risikomaß des Fremdkapitals – nicht höher als das Unlevered Beta – das Risikomaß des Eigenkapitals – liegen darf. Wenn solche Inkonsistenzen auftreten, sind diese auf die Nichtanpassung des Ausfallrisikos bzw. der unsystematischen Risiken zurückzuführen. Es ist anzumerken, dass bei einer Unternehmensbewertung, die auf konsistente Annahmen fußt, alle Bewertungsmethoden – APV, WACC, Equity Value – zum gleichen EK-Wert führen müssen.


 

Fazit

Die sachgerechte Berücksichtigung des Verschuldungsgrads und des Ausfallrisikos erhöht die Komplexität der Unternehmensbewertung. Sie erfordert ein tiefes Verständnis der Kapitalstruktur des Unternehmens und der Marktbedingungen. Die Bewertung wird sensitiver gegenüber Marktbedingungen, insbesondere Zins­schwan­kungen, die sich erheblich auf hoch verschuldete Unternehmen auswirken können.

Die Empfehlung des IDW-Bewertungshinweises, Bruttomethoden für hoch verschuldete Unternehmen zu verwenden, stellt eine bedeutende Änderung dar. Dieser Ansatz ermöglicht eine schärfere Trennung und ein besseres Verständnis von den operativen Risiken, Kapitalstrukturrisiken und Ausfallrisiken.

Letztlich bietet der neue IDW-Bewertungshinweis einen detaillierten Ansatz für die Analyse der Auswirkungen von Fremdkapital auf die Kapitalkosten bei der Unternehmensbewertung. Wichtige Hinweise und praktische Handhabungen für die Berechnung von Kapitalkosten werden klargestellt sowie wertvolle Anhaltspunkte für eine Gesamtschau der Insolvenzrisiken und damit verbundenen Kosten beleuchtet. Jedoch gibt es auch punktuelle – u.E. problematische – Vereinfachungen und Inkonsistenzen, die den Bewerter vor neuen Heraus­for­derungen stellen. Was sich sicherlich für den Bewerter nicht ändert: Jede Unternehmensbewertung ist ein Einzelfall mit seinen Besonderheiten.

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